Jeder Türke eine Handgranate

Spätwilhelminisches Rabaukentum Deutsche Professoren retten erneut das Abendland

Wenn es um Gewalt, Krieg, Kultur und das Abendland geht, ist auf den deutschen Professor Verlass. Als sich im Kaiserreich der Krieg zügig näherte, sammelten sich deutsche Professoren in der Freien Vereinigung für Deutsche Flottenvorträge und rührten die Trommel für Aufrüstungspläne der Marine, die einen Krieg mit England unvermeidlich machten. Nach Kriegsbeginn erfanden deutsche Professoren die "Ideen von 1914" als Alternative zu den "Ideen von 1789" und verteidigten "deutsche Kultur" gegen die Franzosen, "die sich mit Russen und Serben verbündeten und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen". Der Gesang von Rettungshymnen für das Abendland sowie die schallenden Halalis gegen "die gelbe Gefahr", "die rote Gefahr" und "die Barbarei" überhaupt haben an deutschen Universitäten - sozusagen auf dem Hochsitz der weißen, nicht immer weisen Kultur - einen sicheren Standort.

Wenige haben solchen Katheder-Irrationalismus schärfer kritisiert als der weltweit renommierte Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler. Nun ist er auf dem Weg, seinen Ruf als historischer Aufklärer zu ruinieren. In Interviews mit taz und FAZ sowie einem Essay für die ZEIT hat er einfach rausgelassen, was endlich einmal gesagt sein musste. Wie ein Kreuzritter schustert er sich die Welt als Gegensatz von "Islam" und "Christentum" zusammen und stellt fest, dass jener wächst und dieses "bald weit überholt" sein wird. Dem Islam - das ist für den Experten der europäischen Sozialgeschichte klar - wurde die Herkunft "aus der Welt kriegerischer arabischer Nomadenstämme" zum Wesen.

Einmal in Fahrt gekommen, faselt es sich besonders munter weiter. Wehler diagnostiziert, wie Bayerns aller christlicher Minister Beckstein, ein "Türkenproblem" - nämlich 2,4 Millionen türkischer Einwanderer. "Diese muslimische Diaspora ist im Prinzip nicht integrierbar", weiß er. Mit empirischen Kleinigkeiten wie der Frage, wie viele der Einwanderer überhaupt Muslime sind, gibt sich Wehler gar nicht erst ab. Wenn es um Prinzipielles geht, kann der deutsche Professor auf Fakten allemal verzichten. Mit der Einwanderung von Türken muss Schluss sein - "man soll sich nicht freiwillig Sprengstoff ins Land holen". Jeder Türke eine Handgranate und jede Türkin sowieso, denn wer weiß schon, was die unter ihren Röcken und Kopftüchern so mit sich tragen. "Die" Türken - das "weiß" der spätwilhelminische Rabauke genau, sagt allerdings nicht von wem - "werden in einer Religion groß, die spezifische Integrationsbarrieren bereitstellt." Also Tür zu, denn "Muslime sind nicht integrierbar"!

Im Jargon des Lateinlehrer-Abendländertums zählt Wehler auf, was "dem" Türken fehlt, um in die EU zu kommen - "christliche Tradition, jüdisch-römische Antike, Renaissance, Aufklärung Wissenschaftsrevolutionen". Die "christliche Tradition" sähen auch andere gerne als Eintrittskarte zum Euro-Club - der Papst aus Berufsinteresse und Standesehre und als Bayern die CSU-Hinterbänkler im EU-Konvent, der eine europäische Verfassung entwerfen soll. Zwei stramme Bayern starteten bereits eine "Initiative für den Gottesbezug im Europäischen Verfassungsvertrag". Vom Papst und der CSU einmal abgesehen, ist der Rest Europas - einschließlich der kemalistischen Türkei - der aufgeklärten Meinung, dass kein Gott in die Verfassung gehört. Selbst im Ausnahmefall des deutschen Grundgesetzes kam Gott nur bis in die Präambel.

Bei den anderen Defiziten - "jüdisch-römische Antike, Renaissance, Aufklärung und Wissenschaftsrevolutionen" - sind die Gründe für Defizite der heutigen orientalischen Länder ziemlich kompliziert. Keinesfalls ist "der" Islam dafür verantwortlich: als sich die muslimischen Herrscher schon um die Sammlung, Übersetzung und Verbreitung der antiken Philosophie kümmerten oder die Mathematik und die "arabischen" Zahlen indischer Herkunft nach Europa brachten, regierten dort noch lange Analphabeten wie Karl der Große und ausgewiesene christliche Kretins.

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