Jeff Bridges in „The Old Man“: Was vom Agenten übrigbleibt

Streaming Mehr als nur ein Politthriller: „The Old Man“ mit Jeff Bridges in der Hauptrolle – seiner ersten in einer Serie! – erstaunt mit leisen Zwischentönen und psychologischen Details. Unser Autor Michael Pekler kann dem viel abgewinnen
Ausgabe 40/2022

Dan Chase (Jeff Bridges) ist nicht zufrieden. Schon gar nicht mit seinem neuen Arzt. Er möchte wieder von dessen Mutter behandelt werden, doch die ordiniert nach siebenundzwanzig Jahren aus Altersgründen nur noch donnerstags. Für Chase eine unvorstellbare Work-Life-Balance. Zufrieden ist der Witwer immerhin mit dem Ergebnis der Untersuchung. Chase sorgt sich nämlich um seine kognitiven Fähigkeiten, seit seine Frau, die ihn in Albträumen verfolgt, an der Huntington-Erkrankung starb. Aber noch funktioniert sein Gedächtnis: Der nächste Arzttermin, aber das erzählt er auf dem Nachhauseweg nur seinen beiden Hunden, findet an einem Donnerstag statt.

The Old Man (derzeit auf Disney+) ist der passende Titel für diese Serie. Nicht nur weil Jeff Bridges – in seiner ersten Serienhauptrolle – als vor Jahrzehnten untergetauchter CIA-Agent und „grumpy old man“ mit weißem Vollbart von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Sondern weil Chase sich zunehmend die Frage stellen muss, in welcher Rolle er vor den vielleicht letzten Vorhang treten will.

The Old Man basiert auf dem gleichnamigen Roman von Thomas Perry und ist auf den ersten Blick ein routinierter Politthriller mit handfesten Gewalteinlagen, die ersten beiden Episoden hat man Spider-Man-Regisseur Jon Watts inszenieren lassen. Ein Terrain also, das durch Liam Neeson eigentlich ausreichend bearbeitet ist. Auch ist Perry nicht unbedingt dafür bekannt, dass er in seinen populären Buchreihen, etwa der Jane-Whitefield-Serie, die leisen Zwischentöne und eine psychologische Feinzeichnung favorisiert. Umso erstaunlicher und angenehmer, dass sich in The Old Man solche finden. Was hauptsächlich dem ambivalenten Charakter der Hauptfigur geschuldet ist: Chase ist weder der unschuldig Verfolgte noch der einsame Rächer.

So sind es mitunter nahezu alltagsphilosophische Lebensweisheiten, die der Alte, vor allem in Telefonaten mit der lange Zeit unsichtbaren Tochter, von sich gibt – aber auch zu hören bekommt.

Als der erste Auftragskiller in seinem Haus auftaucht, setzt sich Chase fluchtartig nach Westen ab und trifft dabei auf eine Frau, die Vermieterin des Häuschens, in dem er untertauchen wollte. Sie mag seine Hunde nicht, aber dann serviert ihr Chase ein fantastisch gutes Rührei.

Einen Augenblick lang könnte es mit den beiden funktionieren – und die Serie in die falsche Richtung abbiegen. Doch alles bleibt richtig: Ein romantisches Paar werden die beiden nicht. Auch nicht Bonnie und Clyde. „In jeder Geschichte gibt es einen Bösen“, meint Zoe (Amy Brenneman) beim ersten gemeinsamen Abendessen, das sie als Date bezeichnen. „Vielleicht kann aber nur derjenige diese Rolle spielen, der sich selbst nicht so sieht.“ Worauf Chase nichts zu sagen hat, weil er die Antwort ohnehin kennt.

Eingebetteter Medieninhalt

Natürlich ist es höchst unglaubwürdig, dass ausgerechnet ein alter Mann das FBI und einige Profikiller wochenlang alt aussehen lässt. Doch The Old Man setzt das keineswegs als gegeben voraus. Denn Chase kann sich auf Unterstützung verlassen, sei es durch seine Hunde oder einen Maulwurf, der ihm im Geheimdienst zuarbeitet. Und wenn es in der Serie tatsächlich zu einem Kampf mit vollem Körpereinsatz kommt, dauert dieser doch sehr altersgemäß eine gefühlte Ewigkeit.

In zahlreichen Rückblenden sieht man, wie das undurchsichtige Rollenspiel bereits für den jungen Chase (Bill Heck) im Afghanistan-Krieg gegen die Sowjets begann und warum die alte Feindschaft mit einem mächtigen Warlord und die privaten Verwicklungen mit dem ehemaligen Dienstgeber (großartig: John Lithgow) unauflösbar sind. Und während diese Puzzleteile aus dem Hindukusch ein Bild seiner Vergangenheit ergeben, zerstören sie jenes, das sich Dan Chase für die Gegenwart ausgemalt hat.

Es ist kein Zufall, dass der amerikanische Individualismus immer wieder solche Geschichten und einen Einzelgänger wie Dan Chase als ambivalenten Helden hervorbringt. Auch The Old Man ist eine Serie über eine vorgetäuschte Identität, mit der man, wie Chase, möglicherweise sein halbes Leben verbringt. Doch man braucht kein Leben gelebt zu haben wie Chase, um sich selbst die entscheidende Frage stellen zu können: Wie viel ist übrig geblieben von dem Menschen, der man werden wollte?

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