Jenseits des heiligen Rasens

Sportplatz Kolumne

"Darf ich Ihnen die Tasche tragen?" Soziales Engagement liegt, entgegen allen schwermütigen Prognosen über den Verfall von Solidarität in Deutschland, im Trend, es boomt sogar. 70 Prozent der Deutschen sollen 2004 ein Ehrenamt inne gehabt oder sich außerhalb von Vereinen aktiv engagiert haben.

Freuen wird diese Bereitschaft zum unbezahlten Bürgeramt auch Sepp Blatter, den Boss des Fußball-Weltverbandes FIFA, sowie Franz Beckenbauer, den Präsidenten des WM-Organisationskomitees (OK). Denn die wollen im nächsten Jahr bekanntlich zusammen ein großes Sportfest in Deutschland veranstalten und baten dabei um zivile Unterstützung in Form von Freiwilligen, von "Volunteers". Gleich 40.000 Menschen aus Deutschland, Europa, Burkina Faso und sogar den British Virgin Islands meldeten sich an, um das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 Die Welt zu Gast bei Freunden in die Tat umzusetzen. "Es ist schon phantastisch, wie viele Menschen jeden Alters und quer durch alle Bevölkerungsschichten sich bei der WM ehrenamtlich engagieren wollen", schwärmt der für das Volunteer-Programm zuständige OK-Vizepräsident Theo Zwanziger.

Weil aber nur 15.000 Helfer gebraucht werden, hat das Organisationskomitee der WM die Qual der Wahl. In Bewerbungsrunden werden Orientierungssinn getestet, Sprachkenntnisse erkundet, das individuelle Verständnis von Gastfreundschaft und die persönliche Motivation erfragt: Sicher ist die Euphorie, das Event von Nahem zu erleben, eine Motivation zur Teilnahme am Volunteer-Programm, auch der Stolz, seinen Teil zur Weltmeisterschaft beizutragen und die Hoffnung, vielleicht doch ein Spiel live im Stadion zu sehen, angesichts der aussichtslosen Ticket-Lage.

Wer aber im Bewerbungsgespräch einen klaren Kopf behält, könnte abkommen vom selbstlosen Pfad der Fußball-Euphorie und lieber seinem heimischen, mit Leinwand ausgestatteten Straßencafé finanziell unter die Arme greifen. Denn die Chance, bei einem Spiel dabei zu sein, tendiert gegen Null, weil die meisten Volunteers ums Stadion herum, in der Stadt oder in den Katakomben der Arena jenseits des heiligen Rasens eingesetzt werden. Sie stehen etwa hinter dem "Information-Desk" im Medienzentrum und weisen Journalisten durch die Gegend oder helfen ihnen, fürs Abendprogramm zwischen Szene-Clubs und angesagten Bars zu wählen. Auch das Arbeitspensum, das von den Freiwilligen erwartet wird, könnte dem Volunteer-bereiten Fan den Stressschweiß auf die Stirn treten lassen und ihn auf den unangenehmen, aber nicht unrealistischen Gedanken bringen, er werde von den Spielen der WM nur vom Hörensagen erfahren. Es könne durchaus sein, sagt die freundliche Dame, die sich am WM-Standort Berlin um die Auswahl der Freiwilligen kümmert, dass man unmittelbar vor und während der WM an 30 Tagen eingesetzt wird. Aber keine Sorge, es werde auch für Volunteers eine Gelegenheit geben, ab und zu einen Blick auf eine Fußball-Übertragung im TV zu werfen. Als kleines Schmankerl gibt es neben der obligatorischen Ehre und der Verpflegung, so verspricht das OK, noch die Arbeitskleidung - natürlich mit Emblem des Sponsors - umsonst. Geld, wie es sich für ehrenamtliches Engagement gehört, gibt es nicht.

Die FIFA - auch eine Art globales Organ der Zivilgesellschaft - ist allerdings nicht so klamm, wie die meisten sozialen Organisationen auf regionaler Ebene. In der WM-Periode 2003 bis 2006 erwartet die Weltfußball-Organisation Einnahmen von etwa 1,36 Milliarden Euro. Nach Abzug aller Ausgaben bleibt ihr schließlich ein Gewinn von etwa 110 Millionen Euro. Neidisch auf den hohen Andrang an Freiwilligen zur WM-Arbeit könnten einige zivilgesellschaftliche Institutionen werden, von denen viele angesichts leerer Kassen in den Kommunen vom ehernamtlichen Engagement abhängig sind. Schlange stehen die Freiwilligen trotz der Bereitwilligkeit der Deutschen zum Ehrenamt bei ihnen sicher nicht.


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