Jenseits vom Schwelen

Sachbuch Bernd Riexingers Buch über Klassenpolitik kommt mit vielsagenden Lücken daher
Ausgabe 40/2018
Bernd Riexingers Abneigung gegen Sarah Wagenknecht ist so groß, dass er kein einziges Mal ihren Namen nennt
Bernd Riexingers Abneigung gegen Sarah Wagenknecht ist so groß, dass er kein einziges Mal ihren Namen nennt

Foto: imago/Christian Ditsch

Schwer, nicht gleich mit Kapitel fünf zu beginnen. Denn das verheißt Kabale, Gossip, Popcornstimmung. Solidarität ohne Grenzen: Klasse – Migration – Identität(en). Eigentlich will Bernd Riexinger in seinem Buch eine Neue Klassenpolitik entwerfen. Wenn er aber schon im Inhaltsverzeichnis ein Reizwort ans nächste reiht, kann es ihm tatsächlich nur um den vermeintlichen Streit zwischen Identitätspolitik und sozialer Frage in der Linkspartei gehen.

Der Bundesvorsitzende spielt dabei eine seltsame Rolle. 2012 schmiedete der linke Parteiflügel mit Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht einen Plan. Um zu verhindern, dass neben Katja Kipping auch der zweite Vorsitzendenposten mit Dietmar Bartsch an einen Vertreter des ostdeutschen Reformlagers geht, zauberte man den südwestdeutschen Gewerkschafter Riexinger aus dem Hut, wenngleich ihn damals kaum jemand kannte. Sechs Jahre später hat sich daran wenig geändert, obwohl sich die Partei und Riexinger stark verändert haben. Mit Lafontaine will dessen einstiger Günstling heute nichts mehr zu tun haben, stattdessen befindet er sich in strategischer Allianz mit Kipping. Gemeinsam bilden sie einen Gegenpol zu den Bundestagsfraktionsvorsitzenden Bartsch und Wagenknecht, was zeigt: Die starre Unterscheidung zwischen linkem Flügel und Reformlager ergibt für diese Partei gar keinen Sinn mehr. Zu allem Überfluss ist nicht einmal ganz klar, wo Riexinger jenseits machttaktischer Scharmützel inhaltlich steht.

Wer die Lektüre des Buches doch vorne beginnt, kommt während der ersten vier Kapitel aus dem Staunen kaum heraus: Aufruf zum Klassenkampf, Marx-Zitate, Lob des Rheinischen Kapitalismus, Kritik an Mietenexplosion, Wettbewerbsprinzip im Bildungs- und Gesundheitssektor, Prekarisierung der Arbeitswelt. Es klingt wie abgeschrieben aus den Bestsellern einer gewissen Sahra Wagenknecht. Wer sich nicht auskennt, fragt sich da zwangsläufig: Wieso um alles in der Welt wirkt diese Partei so zerstritten wie keine andere?

Eine Antwort gibt das Popcornkapitel. Riexingers Abneigung gegen die Lieblingsfeindin der Parteiführung ist so groß, dass er hier (wie im ganzen Buch) kein einziges Mal Wagenknechts Namen nennt. Pappkamerad ist Bernd Stegemann, den die Medien zum Vordenker der Sammlungsbewegung Aufstehen ernannt haben. Der, so Riexinger, wolle die Arbeitsmigration begrenzen und diffamiere „Vertreter*innen der ,offenen Grenzen‘“ als naiv. Außerdem behaupte er, die Linke habe „die Arbeiterklasse“ vernachlässigt, und sich dem postmodernen Linksliberalismus zugewandt.

Für Riexinger totaler Quatsch, denn man habe seit Jahren jeden Wahlkampf „nahezu ausschließlich mit sozialen Themen bestritten“. Das liest sich wie eine Immunisierungstrategie. Riexinger erkundet an keiner Stelle den Umstand, dass die von ihm geführte Linkspartei bei zehn Prozent dümpelt, während die vor allem in sozialpolitischen Fragen kaum von der FDP zu unterscheidende AfD von Erfolg zu Erfolg stolpert.

Ähnlich trickreich agiert der Parteichef, wenn er schreibt: „Die Aufgabe der Linken ist es nicht, den Einsatz für Minderheiten gegen die Klassenfrage auszuspielen, sondern Emanzipationskämpfe der Menschen zu unterstützen.“ Die von Wagenknecht oder Stegemann gestellte Diagnose, gegen die sich das wendet, teilt sogar Didier Eribon, seit Rückkehr nach Reims Darling aller deutschen Linksliberalen. Sie besagt, dass linke Parteien in den vergangenen Jahrzehnten das Märchen vom Ende der Klassengesellschaft geglaubt und fast nur noch bei Minderheitenrechten wichtige politische Siege errungen haben. Daraus leitet Riexinger die Behauptung ab, der klassenpolitische Teil der Linken wolle den Kampf gegen Sexismus und Rassismus aufgeben.

Auf der anderen Seite zeigt das Buch aufschlussreiche Lücken: kein Wort über die in der Partei schwelenden Debatten um ein linkes Einwanderungsgesetz oder ein bedingungsloses Grundeinkommen. Gehören diese Themen etwa nicht zu einer Neuen Klassenpolitik? Bei beidem vertritt Riexinger bislang eine andere Haltung als Kipping. Spätestens hier drängt sich der Verdacht auf, dass Riexinger den Machtkampf in seiner Partei schriftlich fortsetzt. Er will Wagenknechts Einfluss zurückdrängen und möchte darum Kipping nicht angreifen. Als Parteivorsitzender ist das natürlich sein gutes Recht. Als Leser fühlt man sich verschaukelt.

Info

Neue Klassenpolitik. Solidarität der Vielen statt Herrschaft der Wenigen, Bernd Riexinger, VSA-Verlag 2018, 160 S., 14,80 €

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