Im Jahr 1978, als Karol Wojtyla zum Papst gewählt wurde, neigte sich die Emanzipationsbewegung der sechziger Jahre ihrem Ende zu, und die endlose Nacht der Reagan- und Thatcher-Politik brach an, verbunden mit einer Abwärtsspirale in wirtschaftlicher Hinsicht, die allmählich ihre teilweise bitteren Wirkungen entfaltete und einem massiven Rechtsruck in der westlichen Welt einleitete. Das so genannte Zweite Vatikanische Konzil der sechziger Jahre war sozusagen die Flower-Power-Phase der katholischen Kirche gewesen - nun aber mit dem Amtsantritt von Wojtyla war die Zeit reif, die linken Mönche, fröhlichen Nonnen und marxistischen Katholiken Lateinamerikas wieder an die Kandare zu nehmen. Diese Leute gingen auf das Konto eines Papstes namens Johannes XXIII., dessen Pont
ontifikat von 1958 bis 1963 währte und der von konservativen Katholiken bestenfalls für total meschugge, schlimmstenfalls für einen sowjetischen Spion gehalten wurde. Für die neue Aufgabe brauchte man einen, der mit den Spielregeln des Kalten Kriegs bestens vertraut war. Und der polnische Prälat Karol Wojtyla stammte aus einem Land, dessen Kirche damals wahrscheinlich zu den reaktionärsten Außenposten des Katholizismus zählte. Der polnische Klerus war extrem antikommunistisch, nationalistisch und von einer kitschigen Marienfrömmigkeit, er hatte mit Wojtyla und anderen Bischöfen vollendete Politexperten hervorgebracht. Phasenweise war kaum ein Unterschied zwischen der Kirche Polens und dem stalinistischen Apparat zu bemerken. Beide Institutionen übten Zensur aus, waren dogmatisch, hierarchisch und abgeschottet - voller Mythen und Personenkult, gefangen im Konflikt um die polnische Volksseele. Und wie so oft, wenn Gleiches auf Gleiches trifft, entstand auch hier eine tödliche Feindschaft.Das konservative Lager im Vatikan, das dem Zweiten Vatikanischen Konzil von Anfang an negativ gegenübergestanden und alles getan hatte, es zum Scheitern zu bringen, suchte sein Heil nun in Polen und überwand seine Aversion gegen einen nichtitalienischen Pontifex. Einmal an der Macht, war Johannes Paul II. sofort vehement darum bemüht, die liberalen Errungenschaften des erwähnten Konzils wieder zurückzuschrauben. Prominente Theologen wurden vor den päpstlichen Thron zitiert, um ihnen die Leviten zu lesen. Eines der wichtigsten Ziele des neuen Pontifex bestand darin, die Macht wieder in den Händen des Papstes zu vereinen - eine Dezentralisierung, die Übertragung von Verantwortung auf die Kirchen vor Ort, das alles sollte rückgängig gemacht werden. In frühkirchlicher Zeit war es üblich gewesen, dass die Laien - Frauen und Männer - ihre Bischöfe selbst wählten. Soweit wollte das Zweite Vatikanische Konzil zwar nicht gehen, doch bestand es auf dem Prinzip der Kollegialität: Der Papst sollte nicht mehr "Haupt aller Häupter" (capo di tutti capi), sondern der Erste unter Gleichen sein.Johannes Paul II. jedoch wollte keinen als gleichgestellt anerkennen. Schon als junger Priester war Karol Wojtyla bekannt für sein übersteigertes Vertrauen in die eigene spirituelle Kraft, den eigenen Verstand. Graham Greene hatte einen Traum, in dem er die Schlagzeile las: "Jesus Christus von Johannes Paul heiliggesprochen". Die Bischöfe wurden nach Rom zitiert - nicht, um brüderlich beraten zu werden, sondern um Befehle zu erhalten. Extrem rechte Mystiker und Franco-Anhänger empfingen päpstliche Ehrungen - während lateinamerikanische Befreiungstheologen abgekanzelt wurden. Diese absolute Machtkonzentration auf Rom führte zur Entmündigung der Kirchen vor Ort. Die Geistlichen waren in ihrer Initiative gelähmt, ständig wanderte ihr nervöser Blick gen Rom.An diesem Punkt - als die lokalen Kirchen am wenigsten in der Lage waren, eine Krise eigenverantwortlich zu meistern - kam in den USA ein Kindersexskandal ans Licht, in den Priester verwickelt waren. Und wie reagierte Johannes Paul II.? Er belohnte den nordamerikanischen Kardinal, der den Skandal hartnäckig unter den Tisch gekehrt hatte, mit einem bequemen Posten in Rom.Das größte Vergehen dieses Papstes bestand allerdings nicht in seiner Mitschuld an der Vertuschung jenes Skandals und nicht in seiner Neandertaler-Haltung beim Thema Frauen, sondern in jenem grotesken Zynismus, mit dem der Vatikan den Gebrauch von Kondomen verdammte und als "Kultur des Todes" verurteilte. Diese Kondome hätten unzählige Katholiken in den Entwicklungsländern vor einem schrecklichen Aids-Tod bewahren können. Mit dieser Blutschuld an den Händen sieht der Papst seiner ewigen Belohnung entgegen - für die christlichen Kirchen eine der größten Katastrophen, seit Charles Darwin.Terry Eagleton ist Professor für Kulturtheorie an der Manchester University / dokumentiert aus dem Guardian vom 4.4.2005.