Jetzt erst recht

netzpolitik.org Von der Bundesanwaltschaft wurde eine juristische Drohkulisse aufgebaut, die bei näherer Betrachtung wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Das hat positive Nebeneffekte
Angeklagt: netzpolitik.org-Autor Andre Meister (li) und Bloggründer Markus Beckedahl. Nun soll der Fall ruhen, bis ein Gutachten geklärt hat, ob Ermittlungen angemessen wären
Angeklagt: netzpolitik.org-Autor Andre Meister (li) und Bloggründer Markus Beckedahl. Nun soll der Fall ruhen, bis ein Gutachten geklärt hat, ob Ermittlungen angemessen wären

Foto: Christian Mang/ imago

Der Generalbundesanwalt und das Bundesamt für Verfassungsschutz haben sich dazu entschlossen, ein großes Fass aufzumachen und damit dafür gesorgt, dass das Blog netzpolitik.org und seine beiden Protagonisten zwei Tage lang zum Topnachrichtenthema der Republik geworden sind. Formelle Ermittlungen wegen des Verbrechenstatbestands des Landesverrats gegen zwei Blogger, die nur das tun, was man von Journalisten erwartet, nämlich fragwürdige Geheimdienstaktivitäten zu beleuchten, ist etwas, was nicht nur die Medien in Wallung versetzt.

Von der Bundesanwaltschaft wird eine juristische Drohkulisse aufgebaut, die bei näherer Betrachtung wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Jeder durchschnittlich begabte Jurist wird spätestens nach kurzem Studium eines Kommentars zum Strafgesetzbuch erkennen, dass die Blogger in den beiden Artikeln, um die es in dem Verfahren geht, keine Staatsgeheimnisse im Sinne des Gesetzes veröffentlicht haben und vor allen Dingen auch keine Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt haben. Diese Gefährdung der äußeren Sicherheit des Staates müsste sogar so erheblich sein, dass sie eine Verschiebung der allgemeinen Machtposition Deutschlands im internationalen Gefüge bewirkt. Eine solche Annahme ist angesichts der von netzpolitik.org veröffentlichten Informationen gänzlich abwegig.

Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem betont, dass die öffentliche Bekanntmachung von Staatsgeheimnissen durch die Presse grundsätzlich unter anderen Gesichtspunkten zu betrachten ist, als ein gemeiner Landesverrat durch Agenten oder Spione. Genau das sollte auch der Generalbundesanwalt zur Kenntnis nehmen.

Es ist letztlich müßig, darüber zu diskutierten, ob man sich bei der Bundesanwaltschaft tatsächlich erhofft hat, mit einem derartigen Tatvorwurf Exekutivmaßnahmen – die von Durchsuchungsanordnungen bis hin zu Maßnahmen der TK-Überwachung gegen die beiden beschuldigten Blogger reichen könnten – begründen zu können. Das wird die Öffentlichkeit ohnehin nie erfahren.

Was aber zu diskutieren bleibt, ist die Frage, wer den Interessen des Staates mehr schadet, die Blogger oder Generalbundesanwalt Range. Es ist jedenfalls nicht die Aufgabe der dem Legalitätsprinzip verpflichteten Bundesanwaltschaft, ein Verfahren nur aus Gründen der Verbundenheit mit dem Verfassungsschutz einzuleiten, weil diesem die zunehmende Berichterstattung ein Dorn im Auge ist.

Generalbundesanwalt Range, dem der Begriff des „Streisand-Effekts“ offenbar gänzlich unbekannt ist, könnte mit seinem Vorgehen allerdings das Gegenteil dessen bewirkt haben, was er und Verfassungsschutzpräsident Maaßen beabsichtigt hatten. Bei Journalisten und Bloggern dürfte sich eher eine Jetzt-erst-recht-Stimmung breitmachen, während bei vielen Bürgern die kritische Haltung gegenüber den Geheimdiensten und ihren undurchsichtigen Aktivitäten weiter zunehmen könnte. Vor allen Dingen wurde dem überwiegend spendenfinanzierten Blog netzpolitik.org eine Aufmerksamkeit verschafft, die es sonst in der breiten Öffentlichkeit kaum erlangt hätte. Mit der durch das Ermittlungsverfahrens ausgelösten Solidaritätswelle dürfte der Generalbundesanwalt den längerfristigen Fortbestand des Blogs gesichert haben. Und zumindest das, muss man als positiven, aus Sicht der Bundesanwaltschaft unfreiwilligen Nebeneffekt begrüßen.

Das Verfahren bietet zudem Anlass, darüber nachzudenken, ob die Vorschriften über den Landesverrat und die Gefährdung der äußeren Sicherheit reformbedürftig sind. Diese Strafnormen sind nicht auf die aktuelle Medienberichterstattung zugeschnitten, weil sie aus einer Zeit stammen, in der es noch überhaupt keine Pressefreiheit im heutigen Sinne gab. Aus diesem Grund fehlt ihnen auch ein aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendiges Berichterstattungsprivileg, das der Gesetzgeber unmittelbar in das Strafgesetzbuch aufnehmen sollte.

Thomas Stadler ist Fachanwalt für IT- Recht und betreibt das Blog internet-law.de zum Thema Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

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