FREITAG: Wie schätzen Sie den Stand des Machtkampfes am Vorabend der Parlamentswahlen ein?
EBRAHIM YAZDI: Die rechtskonservativen Kräfte haben es in den letzten 15 Jahren der Islamischen Republik, vor allem aber nach dem Tod Ayatollah Khomeinis im Jahre 1990, geschafft, nahezu alle Machtorgane des Landes zu infiltrieren. Nun aber verlieren diese Traditionalisten an Einfluss und sehen ihr Ansehen innerhalb der Bevölkerung gefährdet. Die Reformbewegung hat - unterstützt durch das politische Programm des Staatspräsidenten Khatami - eine breite Basis im Volk gefunden. An den realen Machtverhältnissen konnte sie bisher jedoch wenig ändern. Genau darum geht es jetzt.
Wo sehen Sie die "Frontlinien" dieser Auseinandersetzung?
Ich mache zwei Haupt-Strömungen aus. Zum einen das rechtskonservative Lager, mit seinen verschiedenen klerikalen Gruppierungen, die über einen starken wirtschaftlichen Einfluss verfügen und eng mit der traditionellen Handelselite Irans, den Bazaris verbunden sind. Zum anderen ein reformorientiertes Lager, das sich aus Kräften innerhalb und außerhalb der Regierung zusammensetzt.
Zur ersten gehört vor allem das Khatami-Bündnis "Front des 2. Chordad". Außerhalb der Regierung stehen religiöse und bürgerlich-liberale Kräfte, wie zum Beispiel die Freiheitsbewegung oder islamische und unabhängige Studentenverbände. Dies ist der aktivste Teil der Reformbewegung mit wachsender Distanz zum Regierungslager und deutlicher Annäherung an bürgerlich-liberale Positionen.
Worin unterscheiden sich die beiden Hauptgruppen inhaltlich?
Ökonomisch vertreten die Rechtskonservativen einen Handelsliberalismus, der im Widerspruch zur staatlich gelenkten industriekapitalistischen Entwicklung Irans steht. Ihr Hauptkonflikt mit der Regierung liegt in gesetzlichen Beschränkungen der Verwendung von Öleinnahmen für den Import von Konsumgütern. Politisch sind sie gegen jegliche Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte des Volkes. Demokratie und Islam sind für sie Antipoden und religiöse Erneuerung gilt ihnen als Häresie. Im Grunde lehnen sie selbst die Islamische Republik ab und streben ein traditionelles islamisches Verwaltungssystem an.
Der Reformflügel innerhalb der Regierung ist, was politische oder wirtschaftliche Grundfragen betrifft, durchaus heterogen. Zwar unterstützen verbal alle den Kurs Khatamis, doch im Detail gibt es da durchaus berechtigte Zweifel. Innerhalb der national-patriotischen Kräfte - egal ob religiös oder säkular - existiert ein Grundkonsens, den auch die Freiheitsbewegung teilt: Primat der Politik, Respekt für bürgerliche Grundrechte, wie sie in der iranischen Verfassung festgeschrieben sind und eine nicht-dirigistische Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Wie weit müssen Ihrer Meinung nach die politischen Reformen in Iran gehen? So weit, dass am Ende auch die verfassungsrechtlich fixierte Vorherrschaft der Geistlichkeit (Velayat-e Faghi) in Frage steht?
Die Reformbewegung ist nicht zu stoppen. Sie hängt weder von Personen noch von einer Gruppe ab. Es gibt einen Volkswillen nach Freiheit und Selbstbestimmung, der genau so stark verwurzelt ist, wie zu Beginn der Islamischen Revolution vor 21 Jahren. Im Unterschied zu 1979 will das Volk diesmal jedoch keine weitere Revolution, sondern Reformen. Auch die Verfassung ist keine göttliche Offenbarung, die nicht veränderbar wäre.
Welchen Platz sollte die schi'itische Geistlichkeit in einer solchermaßen reformierten Islamischen Republik Iran einnehmen?
Das Verhältnis der schi'itischen Geistlichkeit zum iranischen Volk hat sich in den vergangenen zwei Dekaden grundlegend geändert. Die Klerikalen stehen heute vor einer historischen Schicksalsentscheidung. Das Bedürfnis und der Zwang, ihre Rolle in der iranischen Gesellschaft neu zu bestimmen, sind unübersehbar. Mit welchem Ausgang, ist jedoch noch völlig offen.
Rechnen Sie damit, dass Ihre Partei nach den Parlamentswahlen gesetzlich zugelassen wird?
Innerhalb der reformorientierten Kräfte gibt es einen relativ breiten Konsens, dass die Zulassung konkurrierender Parteien, die auf dem Boden der Verfassung stehen, unverzichtbar ist. Das gilt auch für Freiheitsbewegung.
Wie sollte das Verhältnis Irans zu den USA aussehen?
Unsere Partei ist für direkte, offizielle und offene Gespräche mit den USA. Wir wollen die Konflikte mit Washington im nationalen Interesse Irans beilegen. Darüber aber muss in der iranischen Öffentlichkeit diskutiert werden. Unser Volk hat keine guten Erfahrungen mit inoffiziellen oder Geheimverhandlungen.
Was halten Sie von der deutschen Iran-Politik?
Die ist im ganzen realistisch begründet, wenngleich es ihr gelegentlich an Weitblick fehlt. Ich glaube, dass die strategischen Interessen unsere beiden Länder langfristig über einstimmen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die deutsche Regierung primär auf ihre kurzfristigen Interessen setzt und dafür beiderseitige Interessen opfert.
Das Gespräch führte Kambiz Behbahani
Ebrahim Yazdi spricht am 23. Februar um 18.30 Uhr im Berliner "Haus der Kirche" (Goethestrasse 26-30) als Gast des Bildungswerkes der Heinrich Böll Stiftung zu den "Perspektiven der deutsch-iranischen Beziehungen".
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