Jetzt ist Zahltag

Literatur Bei Ute Cohen wird selbst der Sex zum Objekt knallharter Verhandlungen
Ausgabe 12/2020
Poor Dogs heißt Ute Cohens zweiter Roman; der Titel trifft, nicht nur, weil am Ende ein Hund dran glauben muss, um einen perfiden Plan scheitern zu lassen
Poor Dogs heißt Ute Cohens zweiter Roman; der Titel trifft, nicht nur, weil am Ende ein Hund dran glauben muss, um einen perfiden Plan scheitern zu lassen

Foto: Jim Watson/AFP/Getty Images

Zu den Poor Dogs, den „armen Hunden“, in einer Portfolioanalyse „zählen alle Produkte, die aktuell und in Zukunft schlechte Aussichten auf Erfolg haben“. Die Cash Cow dagegen, die „Geldkuh“, muss gemolken werden, so lange wie möglich. Bei den Question Marks, „Fragezeichen“, muss man schauen, wie sie sich entwickeln, die Stars sprechen für sich, ihr Erfolg leuchtet. Entwickelt wurde die Aufteilung von Produkten in Stars, Cash Cows, Question Marks und eben Poor Dogs in den 1970er Jahren von der Boston Consulting Group. Bis heute gilt die BCG-Matrix als „ein unverzichtbarer Klassiker im Marketing“, googelt man. Die Matrix, möchte man hinzufügen, ist offenbar ein probates Modell auch zur Beurteilung menschlicher Ressourcen, bis in die frühen 2000er Jahre hinein gerne auch „Humankapital“ genannt.

Poor Dogs heißt Ute Cohens zweiter Roman; der Titel trifft, nicht nur, weil am Ende ein Hund dran glauben muss, um einen perfiden Plan scheitern zu lassen. Denn dieser raffinierte Psychothriller ist auch eine bitterböse Satire aus dem sogenannten Wirtschaftsleben, Ähnlichkeiten zum hochgelobten ZDF-Mehrteiler Bad Banks, dessen zweite Staffel vor Kurzem anlief, nicht ausgeschlossen.

Eva und André treffen bei der Arbeit für die Unternehmensberatung McCrowley aufeinander. Und sie landen im Bett, nicht nur einmal. André legt sich mächtig ins Zeug, damit aus der Affäre etwas Dauerhaftes wird. Jeden Tag Rosen, ein Liebesbrief auf handgeschöpftem Papier, das ganze romantische Programm. Schließlich der Erfolg der Investition: Man heiratet, ein Sohn wird geboren. Ab da ist Zahltag, es wird knallhart kalkuliert und ab- und aufgerechnet. Auch in Sachen Sex, der hier als Ware und Zahlungsmittel fungiert.

Für André, den sephardischen Juden aus Frankreich, ist die Ehe mit der katholischen deutschen Eva ein Karriereprojekt. Beide, die „Tochter eines vertriebenen Sudetendeutschen“ und den „Abkömmling eines nordafrikanischen Einwanderers“, eint, neben einem heftigen sexuellen Begehren, der Wille zum sozialen Aufstieg. Davon ist André überzeugt, aber nicht so sehr, dass er andere Optionen verfallen ließe. Und die heißen mal Dana, später Swetlana oder auch Ariane, ein „Portfolio, das sich perfekt zur Gewinnmaximierung“ eignet, wie er selbstzufrieden bilanziert, die Question Marks, Fragezeichen, werden pragmatisch aussortiert. Vom bevorstehenden Exitus der Cash Cow, der sich letztendlich als ausgesprochen profitabel erweisen wird, ahnt er nichts. Eva hingegen, schmerzgeplagt, pillensüchtig und kurz zuvor noch als Poor Dog abqualifiziert, wird zum Star: „Knielanger Bleistiftrock, eine schlichte weiße Bluse und Heels. Dezentes Make-up.“ Die Fassade hält. Zumal Eva selbst, allen Vorstellungen von weiblicher Souveränität zum Trotz, gerne daran glauben möchte.

Herpes kroch über sie

Ute Cohen erzählt diese Geschichte einer zerstörerischen Beziehung in den Zeiten des beschleunigten Derivatehandels aus der Sicht ihrer Protagonisten vorwiegend als erlebte Rede und inneren Monolog. Für André wählt sie eine metaphernsatte Mischung aus Businessjargon und Größenwahn: „Aus seinen Spreadsheets rankten sich Schlingpflanzen, die aus einer sterilen Ödnis erwuchsen, einem Procter & Gamble verseuchten Grund ...“ Eva hingegen leidet weniger unter megalomanen Visionen als unter realen Schmerzen, sei es, als sie sich bei einem Einsatz im postsowjetischen Russland eine üble Infektion einfängt oder während ihrer Schwangerschaft. Auch hier findet die Autorin drastische Sprachbilder: „Herpes kroch über Evas Lippen, fraß sich fest an ihrer Haut. Myriaden von Viren in einer Flüssigkeit,ndie aus Bläschen quoll über die Unterlippe hinab zum Kinn, Brandzeichen, Stigmata eines amerikanischen Götzen: McCrowley.“

Wo André Wachstum halluziniert, sieht Eva Verfall. Beide agieren wie Marionetten in einem sinnlosen System. Mit Poor Dogs verleiht Ute Cohen, die Kolumnistin des Freitag, der Sozialpsychologie des Finanzkapitalismus literarisches Format.

Info

Poor Dogs Ute Cohen Septime Verlag 2020, 239 S., 22,90 €

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