Am Abend des Valentinstags 1975 sah Dr. Bernard Berger noch einmal nach seinem Patienten. Der kregle 93-Jährige hatte sich einer lästigen Hautkrankheit wegen ins Southampton Hospital einweisen lassen. Die Besuchszeit war vorbei, und wahrscheinlich würde der alte Herr noch arbeiten, denn Ende Februar sollte der neue Roman abgeschlossen sein.
Wiewohl ganz offensichtlich nicht mehr der junge Hüpfer, der er kaum 70 Jahre zuvor noch gewesen war, hatte der aus England stammende Autor sein Arbeitspensum seit dieser Zeit stets streng eingehalten. Seine Haltung entsprach der Candides: Es ist notwendig, seinen Garten zu bestellen. Zeit seines Lebens tat er ununterbrochen und erfolgreich das, was er liebte und konnte: „Ein Buch nach dem anderen zu schreiben, das ist mein Lebe
mein Leben… Ich schreibe ein Buch, und dann noch ein Buch, und dann noch ein Buch.“ Ein glücklicher Mann.Das Schreiben ging ihm nicht mehr ganz so leicht von der Hand. Er war selbstkritisch genug zu wissen, dass seit einigen Jahren die Qualität seiner Romane seinen eigenen Standards nicht mehr genügte. Aber das war kein Grund, das Arbeiten einzustellen. Sein Arzt fand ihn daher, ausgerüstet mit Pfeife und Tabak, in einem bequemen Sessel sitzend, das Manuskript in Reichweite.Doch der Roman blieb unvollendet. Sir Pelham Grenville „Plum“ Wodehouse war tot. Die zivilisierte Welt hatte ihre heiterste Stimme verloren. Der Verlust wurde in Deutschland nicht einmal richtig zur Kenntnis genommen.Es ist kaum zu überblicken, wie oft deutsche Verlage an diesem Autor gescheitert sind. Zwischen den Kriegen waren einige hübsche, aber längst vergessene Ausgaben erschienen. Die Nachkriegsausgaben waren eine einzige Enttäuschung. Ullstein, Fischer, Rowohlt, Goldmann, Heyne, alle hatten es probiert und irgendwann wieder bleiben lassen.Bekloppte Upper ClassAllein die Reihe bei Dtv wirkte zuweilen gelungen. Wodehouse war also kein Unbekannter, aber nie wirklich populär. Seine Werke wurden in seichtesten Verlagsprogrammen versteckt und versandeten als minderwertige Strandlektüre. Verstolperte Übersetzungen der vor allem syntaktisch vertrackten Sprache besorgten den Rest, um das Ansehen des Autors zu ruinieren. Was als Billigware produziert wird, das wird als Ramsch wahrgenommen!Natürlich ist Wodehouse ein kategoriales Problem in einem Land, das den Unterschied zwischen Höhenkamm- und Trivialliteratur zur Glaubensfrage macht . Die eingebildeten Sorgen des englischen Landadels; Irrungen und Wirrungen von Bekloppten der Upper Class; die Eitelkeiten von Künstlern und Medienschaffenden; Probleme, die sich aus dem Codex ergeben, dass ein Mann keine Verlobung ausschlagen darf, die eine Dame ihm anträgt - vielleicht ist das Versagen der deutschen Verlage auch darin begründet, dass in diese Komik kein tieferer Sinn hinein zu lügen ist.Hinzu kommt Wodehouses weitgehend unspektakuläres Leben. Er inszenierte sich nicht als im Grunde seines Herzens trauriger Clown, eine Rolle, die in Deutschland zur Komikgenehmigung jahrzehntelang obligatorisch war und immer noch gern gepflegt wird.Seit 1902 waren über 90 Romane und Erzählungsbände erschienen, einige Theaterstücke, zahlreiche journalistische Arbeiten, Libretti und Liedertexte für sehr erfolgreiche Musicals und vieles andere mehr. Nur selten erlaubte Wodehouse sich oder seinen Figuren Anflüge von echter Melancholie.Der überwiegende Teil seines Werkes ist von kalter, fast mathematischer Schönheit. Die Herzlosigkeit seiner Komik hat die Rezeption im gefühlsbesoffenen Deutschland lange erschwert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Teil dieser Kühle auf einem völligen Mangel an Empathie beruht. Dieser Mangel sollte ihn in Teufels Küche bringen.Mit Deutschland ist die einzige ernsthafte Krise in Wodehouse‘ Leben verbunden. Im Mai 1940 hatte die Wehrmacht das Gebiet Frankreichs besetzt, in dem P.G. und Ethel Wodehouse zu der Zeit lebten. Noch nicht ganz sechzig Jahre alt wurde er in ein Lager nach Tost in Oberschlesien verlegt, wo er ein friedliches Jahr verbrachte, größtenteils schreibend wie ein Besessener.Ein amerikanischer Reporter aus Berlin, der über die Zustande in Gefangenenlagern berichtete, stolperte quasi über Wodehouse, der ihm ein Interview gab und einen Artikel über sein Leben in Gefangenschaft zusteckte. Mit typischem Wodehouse-Humor wurden die Zustände verniedlicht. Nach der Publikation in der Saturday Evening Post wurde den Deutschen klar, was für ein willkommener Narr ihnen da zur Verfügung stand.Sie fragten ihn nach der Entlassung aus der Haft aus Altersgründen, ob er nicht Lust habe, ähnliche Texte für Radiosendungen zu schreiben, die in die USA ausgestrahlt werden sollten. Wodehouse sagte zu, in aller Naivität beseelt von dem Gedanken, seinen Freunden Lebenszeichen geben zu können. Er lebte mit seiner Frau dann bei Bekannten in Deutschland und ab 1943 wieder in Frankreich. Seine über alles geliebte Stieftochter Leonora sah er nicht wieder. Sie starb 1944.Die Tragweite seines Entschlusses, die Wirkung, die diese Arbeit für die Nazi-Propaganda im bedrängten England zeitigen sollte, der verheerende Eindruck eines weitgehend sorgenfreien Lebens beim Feind, all diese Selbstverständlichkeiten wurden Wodehouse erst im Lauf der nächsten Jahre schmerzhaft klar.Lange wurde er, obwohl von allen Kollaborationsvorwürfen freigesprochen und schlimmstenfalls als Trottel zu bezeichnen, als Verräter oder unsicherer Kantonist gesehen. Er sollte England nicht wieder betreten und nahm 1955 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Ansonsten lebte er nach einigen Startschwierigkeiten sein Leben wie bisher, möglicherweise noch distanzierter.Die Verleihung des Adelstitels kurz vor seinem Tod war auch das Zeichen einer späten Versöhnung Englands mit seinem größten Humoristen. Es ist bezeichnend, dass diese Geschichte hierzulande wenig bekannt ist. Bedenkt man, wie viele Debatten hierzulande um Künstler und ihr Verhalten im Dritten Reich rotieren, ist auch das eine Merkwürdigkeit.Deutschland war mithin ein schlechtes Pflaster für Wodehouse. Und dann, im Sommer 2000, quasi aus dem Nichts, die Zürcher Ausgabe von Jetzt oder nie!: ein elegantes Format, ein schicker Einband, geblümtes Vorsatzpapier. Vor allem aber eine fabelhafte Übersetzung, bei der sofort klar war, dass Wodehouse, der Meister des englischen Satzbaus und der verrutschten Metapher, nach über siebzig Jahren Übersetzungsgeschichte in Thomas Schlachter endlich seine deutsche Stimme gefunden hatte – frisch, elegant und dem Original in Geist und Rhythmus adäquat, ohne es sklavisch nachzuahmen. Nun erwachte auch das Feuilleton. Ganz klar: Hier meinte es ein Verlag ernst.Bei dieser Seriosität ist es geblieben. Jahr für Jahr erscheint zuverlässig ein Band. Mal handelt es sich um Neuübersetzungen, dann wieder – so wie beim jüngsten Band – um längst fällige Erstübersetzungen. Eine Begründung für die Auswahl, gar ein Editionsplan ist nicht zu erkennen. Vielleicht ist das ganz gut so, denn durch dieses Zufallsprinzip gibt es nun eine Sammlung von Werken, die verschiedene Zugänge zum Werk ermöglicht. Zu den schönsten Stücken in Wodehouse‘ Œuvre gehören die Mulliner-Geschichten, von denen nunmehr ein erster Band erschienen ist.Hier sieht man, wie souverän Wodehouse die kleine Form beherrschte. Im Schankraum der Gaststätte Angler’s Rest residiert Mr. Mulliner, ein geschwätziger Herr, dessen einziges Sinnen und Trachten darin besteht, seiner Umgebung lehrreiche Geschichten aufzuzwingen. Noch der geringste Vorwand wird von diesem Plagegeist genutzt, jedwedes Gespräch zu einer Erzählung über die Fährnisse seiner weitläufigen Verwandtschaft umzubiegen: wie gesagt, Liebestaumel, Verwicklungen, Jagdleben, Golf und dergleichen mehr. Wodehouse versteht es, auch fadenscheinigste Inhalte in verwickelte Plots zu gießen und sprachlich aufzuhübschen.Kapriolen des SatzbausDamit aber ist das Jubiläumsjahr für die Zürcher nicht erledigt. Der bereits 2002 erschienene Roman Ohne mich, Jeeves ist nun vollständig von Felix von Manteuffel eingelesen worden, eine Ko-Produktion des Verlags mit dem Hessischen Rundfunk. Nun liegt es an Wodehouse‘ Sprachgewalt, dass seinen Texten der Medienwechsel gemeinhin nicht bekommt, wie sich bei Hörspielen und Filmen zeigt. Man vermisst die Stimme des Erzählers, die Kapriolen des Satzbaus und die schiefen Bilder der beschreibenden Passagen.Anders ist es beim Hörbuch. Und Manteuffel, der sich dem Vernehmen nach um diese Aufgabe gerissen hat, kann alles und gibt alles. Und nie übertreibt er. Seine Beherrschtheit lässt den Irrsinn des Personals und vor allem des Erzählers Bertie Wooster noch strahlender funkeln.Kurz und gut, im Jubiläumsjahr der Reihe gibt es doppelten Grund zur kindlichen Freude. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es auf dieser Welt ein größeres und gleichzeitig unschuldiges Vergnügen gibt. Aber es ist nicht sehr wahrscheinlich.
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