Jetzt schlägt zusammen, was zusammen gehört

Sportplatz Kolumne

Was unterscheidet einen Hooligan aus Leipzig von einem Hooligan aus Gelsenkirchen oder München? Beide schlagen im Umfeld von Fußballspielen unbeteiligte Personen krankenhausreif, doch werden die Handlungen des einen als Symptom und die des anderen als Ausrutscher wahrgenommen.

Zu den dominanten Themen der abgelaufenen Fußballsaison gehörten die Krawalle in ostdeutschen Stadien. Ausschreitungen in Dresden und Leipzig fanden ein breites Medienecho weit über die Sportberichterstattung hinaus. Diskutiert wurden die Verwahrlosung im Osten, die Schwäche der ostdeutschen Zivilgesellschaft und das Ausmaß der zu verhängenden Strafen. Beinahe unbeachtet blieben dagegen die schweren Ausschreitungen von Schalker und Münchner Fans. Nach der Derby-Niederlage gegen Dortmund randalierten Hunderte enttäuschter Schalker Anhänger und zettelten Schlägereien an, in deren Verlauf 70 Personen festgenommen wurden. Im anschließenden Polizei-Statement heißt es: "Die Auseinandersetzungen zwischen den Fans bewegten sich im Rahmen normaler Bundesliga-Spiele". Bereits einige Wochen zuvor hatten 70 Münchner Fans einen Bus mit Nürnberg-Fans gestürmt, wobei unter anderem die Frau des Busfahrers schwere Kopfverletzungen davontrug. Die Idee, dass der ruhmreiche FC Bayern München ein Gewaltproblem haben könnte, blieb dennoch medial tabuisiert, schließlich ist der Franz ja auch irgendwie Kaiser von Deutschland.

Die weit verbreitete Behauptung, Gewalt im Umfeld von Fußballspielen sei ein spezifisch ostdeutsches Problem, basiert, wie die erwähnten Beispiele illustrieren, auf einer verzerrten Form von Wirklichkeitswahrnehmung. Damit sollen weder die Handlungen ostdeutscher Hooligans relativiert, noch Gewalttaten entschuldigt werden. Im Umfeld des ehemaligen Stasi-Vereins BFC Dynamo Berlin gibt es zudem eine in Deutschland einmalige Szene organisierter Neonazis, deren Gewalttaten von der Vereinsführung nur unzureichend entgegengewirkt wird. Doch das Gerede über Gewalt und Fußball unterliegt einer merkwürdigen Ost-West-Kodierung, die keineswegs den Realitäten im Umfeld deutscher Fußballstadien entspricht, aber die Art und Weise, wie wir Fußball schauen, maßgeblich beeinflusst.

Ostdeutsche Fußballfans sind westdeutschen Journalisten fremd und wirken deshalb umso gefährlicher. Diese Fremdheit impliziert einen homogenisierenden Blick. Der ostdeutsche Fan ist ein Sicherheitsrisiko und Begegnungen zwischen ostdeutschen Traditionsvereinen werden folglich zu "Hochsicherheitsspielen" deklariert. Wer sich dennoch zu so einem Fußballspiel traut, dem kann es passieren, dass er von mehr als 1.000 Polizisten bewacht, bedrängt und inspiziert wird. Auch der Anblick einer Phalanx von Wasserwerfern trägt in der Regel nicht zur Entspannung der Situation bei. Dieser Logik folgend ist es kaum verwunderlich, dass Medienberichte von Spielen ostdeutscher Vereine wie das von Union Berlin gegen Dynamo Dresden Züge einer Kriegsberichterstattung aufweisen, in deren Folge die Einsatzleiter der Polizei zu den wichtigsten Interviewpartnern avancieren und es schon ein einfacher Taschendieb zu einer Schlagzeile bringen kann. Und auch wenn letztlich alles "weitgehend friedlich blieb", so fehlt nicht der Hinweis, dass die Lage dennoch "äußerst gespannt" gewesen sei.

Westdeutsche Fußballanhänger werden dagegen nicht als potentielle Gewalttäter, sondern in erster Linie als Fans wahrgenommen. Sie richten ihre kleine Gelsenkirchener Neubauwohnung in blau-weiß ein oder lassen schon ihr neugeborenes Baby als Schalke-Mitglied eintragen. Die Rivalität von Vereinen wie Dortmund und Schalke wird als Bereicherung für die Bundesliga betrachtet und die reiche Gewalthistorie dieses Derbys, der jüngst in Wattenscheid bei einem von Gelsenkirchener Hooligans gestürmten Dortmunder A-Jugend-Spiel (!) ein bizarres Kapitel hinzugefügt wurde, komplett ausgeblendet. Blutige Schlägereien zwischen westdeutschen Bundesligafans werden zwar vermeldet, jedoch als Ausnahme eingeordnet und schnell wieder verdrängt. Im DSF-Doppelpass fachsimpeln derweil Uli Hoeneß oder Franz Beckenbauer mit befreundeten deutschen Chefredakteuren bierselig über die sportliche Zukunft des FC Bayern. Solange westdeutsche Fußballfunktionäre und Journalisten die alleinige Stammtischhoheit haben, solange wird es gute und gefährliche Hooligans in Deutschland geben.


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