FREITAG: Bei unserem letzten Gespräch zum Thema Stammzellen 2005 haben Sie explizit erklärt, dass Sie keinen Veränderungsbedarf zur bestehenden Gesetzeslage sehen. Mittlerweile unterstützen Sie federführend die Verschiebung des Stichtags für die Einführung embryonaler Stammzellen auf Mai 2007. Warum dieser Gesinnungswandel?
RENÉ RÖSPEL: Das ist kein Gesinnungswandel, vielmehr ist im Mai 2007 klar geworden, dass die jetzt zur Verfügung stehenden Zellen nicht mehr lange für Forschungszwecke geeignet sind. Ich habe 2002, nachdem ich grundsätzlich gegen den Import gestimmt habe, den Kompromiss mitgetragen, den Forschern in begrenztem Umfang Stammzellen zur Verfügung zu stellen. Dieser Kompromiss kann nun aber nur gehalten werden, wenn man diesen Stichtag einmalig verschiebt.
Es wurde aber auch der Verdacht laut, dass die beteiligten Forscher vor allem Kosten umgehen wollen, weil die derzeit verfügbaren Stammzellen aufgrund der Patente sehr teuer geworden sind.
Das ist möglich, aber kein wesentliches Argument für die jetzige Debatte. Der primäre Grund ist die schlechte Qualität der derzeit verfügbaren Zellen. Von Forschern wird berichtet, dass die Vergleichbarkeit der Ergebnisse von Forschungsprojekten etwa durch Zellmutationen zunehmend schwieriger wird. Wenn wir jetzt also einmalig den Stichtag verschieben, werden die Forscher die nächsten Jahre genügend Stammzellen zur Verfügung haben, um sagen zu können, diese Forschung ist aussichtsreich oder nicht. Dann sind sie unter Beweispflicht.
Sie sehen also nicht die Gefahr, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft in fünf Jahren wieder kommt und sagt, es gebe zu wenig oder nur unbrauchbares Material?
Nein, die DFG sagt ja selbst, momentan existierten weltweit 500 Stammzelllinien. Man könnte dann auch nicht mehr argumentieren, es ginge kein Anreiz für die Produktion von neuen Stammzelllinien aus. Das würde eine ganz neue ethische Diskussion provozieren.
Forscher in Kalifornien behaupten, sie seien erstmals beim Embryonenklonen erfolgreich gewesen. Zwei anderen Teams ist es gelungen, Hautzellen zu pluripotenten Stammzellen zu reprogrammieren. An das letztere Verfahren werden große Hoffnungen geknüpft, auch, weil es embryonale Stammzellforschung überflüssig machen würde. Ist die ganze derzeitige Diskussion damit nicht obsolet geworden?
Die induzierten pluripotenten Stammzellen der Teams von Yamanaka und Thomson sind natürlich sehr erfolgversprechend. Allerdings sagt Yamanaka, dessen explizites Ziel es ist, embryonale Stammzellen überflüssig zu machen, dass man sie noch eine Weile brauchen wird. Von daher ist es schwierig, ihn als Kronzeugen dafür aufzurufen, man benötige sie nun gar nicht mehr. Natürlich hätte ich mir gewünscht, ganz andere wissenschaftliche Wege zu gehen, aber wir haben 2002 nun einmal diesen politischen Kompromiss geschlossen, um die Stammzelldebatte zu befrieden, und ich fühle mich daran gebunden. Also geben wir den Forschern nun eben einen Nachschlag. Es wird aber weiterhin keinen Anreiz geben, durch Forschung Embryonen zu zerstören, das kann man mit der einmaligen Verschiebung des Stichtages sicherstellen.
Der ehemalige DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker hat aber gerade eben wieder erklärt, dass embryonale Stammzellen nicht nur als Vergleichsmaterial, sondern auch zu therapeutischen Zwecken genutzt werden sollen.
Das sehe ich in weiter Ferne. Ich rede über Grundlagenforschung, deren Erkenntnisse auf die adulten Stammzellen übertragen werden könnten. Therapeutische Ansätze sind, glaube ich, ziemlich unrealistisch, zumindest solche, die die Patienten wirklich erreichen.
Gilt das auch für die induzierten pluripotenten Stammzellen?
Auch da gibt es eine Reihe von Problemen, die unabhängig von der Herkunft sind, zum Beispiel Stammzellen so stabil zu halten, dass man sie wie ein Arzneimittel einsetzen kann. Stammzelllinien entwickeln sich nun einmal und bergen bisher ungelöste Probleme wie Tumor-Enstehung und Abstoßungsreaktionen. Unbeantwortet ist auch die Frage, wie man das für eine größere Gruppe von Patienten überhaupt finanzieren will. Das alles sind aber nachgeordnete Fragen, wichtig bei der jetzigen Entscheidung sind ethische Erwägungen. Für mich kommt die Zerstörung von Embryonen nach wie vor nicht in Frage, das ist nicht zu rechtfertigen.
Einmal angenommen, ein Verfahren wie es Lanza von der Firma ACT anwendet, also ein Embryonenklonen, bei dem der Embryo nicht zerstört wird, wäre Erfolg versprechend. Das würde wesentliche gegen das Klonen vorgebrachte Argumente erledigen.
Auch wenn bei dieser Forschung der Embryo nicht zerstört wird, ist es Forschung am Embryo, und es handelt sich um ein Klonverfahren. Das ist eine Grenzüberschreitung, die ich mir hierzulande nicht vorstellen kann. Davon abgesehen, hat Lanza gar keinen Beweis erbracht, dass sich aus diesem Verfahren Stammzellen gewinnen lassen.
Wenn man die Diskussion über die letzten Jahre beobachtet, drängt sich der Eindruck auf, dass das Trommelfeuer der Wissenschaftler und ihrer Lobbyorganisationen nun Wirkung auf die Politik gezeigt hat.
Das stimmt insofern, als dass es ohne die Intervention der Wissenschaftler keine neuerliche Debatte und keine Änderung des Stammzellgesetzes geben würde. Ich finde das aber auch nicht schlimm, denn es bleibt die Entscheidung des Parlaments, und man muss sehen, wie man den einmal gefundenen Kompromiss erhalten kann. Das bedeutet aber auch, dass es nun für die Politik 2:0 steht, wir haben uns zwei Mal bewegt und die Bringschuld liegt nun auf der Seite der Forschenden.
Neben der Verschiebung des Stichtags soll auch die Strafandrohung für Forscher aufgehoben werden, die an Stammzellen arbeiten, die nach dem gültigen Stichtag gewonnen wurden. Mir ist aber kein einziger Fall bekannt, wo Wissenschaftler nach dem Stammzellgesetz belangt worden wären.
Mir auch nicht. Es wird aber immer wieder berichtet, dass es Verunsicherungen gibt in der Frage, inwieweit man sich an Forschungskooperationen beteiligen kann. Deshalb soll das auf eine rechtlich klarere Grundlage gestellt werden. Die Strafandrohung war 2002 eine in letzter Sekunde von Teilen der Union eingebrachte Regelung, sonst hätte der Kompromiss keine Mehrheit gefunden. Ich glaube, sie hat sich nicht bewährt und macht auch keinen Sinn.
Die Situation im Bundestag ähnelt ein wenig der vor sechs Jahren: Es gibt mehrere interfraktionelle Anträge, die reichen vom völligen Importverbot bis hin zur völligen Freigabe des Stammzellimports. Rechnen Sie überhaupt mit Mehrheiten, wer wird sich durchsetzen?
Ich glaube, dass unser Antrag gute Chancen hat durchzukommen.
Umfragen deuten darauf hin, dass die Bevölkerung mehrheitlich gegen embryonale Stammzellforschung ist.
Da muss man immer berücksichtigen, wie gefragt worden ist. Wenn man zum Beispiel fälschlicherweise danach fragt, ob mit der Forschung an Embryonen schwere Krankheiten geheilt werden können, ist das Bild ganz anders, dann ist die Mehrheit dafür. Ich bin bei der Einschätzung solcher Umfragen sehr zurückhaltend.
Das Gespräch führte Ulrike Baureithel
René Röspel ist Biologe und seit 1998 Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Bis 2005 war er Vorsitzender der Bioethik-Enquete, seither Mitglied im Parlamentarischen Beirat des Deutschen Bundestags für Fragen der Bioethtik in den Lebenswissenschaften.
Embryonale Stammzellen
werden entweder gewonnen aus geklonten Embryonen oder Embryonen aus der künstlichen Befruchtung beziehungsweise beim Schwangerschaftsabbruch; weltweit liefern sich Forscher einen Wettlauf beim Embryonenklonen, im Januar behauptete der US-Forscher Andrew French, er habe einen menschlichen Embryo aus Fibroblasten der Haut geklont; sein Landsmann Robert Lanza dagegen will embryonale Stammzellen von einem Embryo gewonnen haben, ohne diesen dabei zu zerstören. Bei allen Klonverfahren benötigen die Forscher weibliche Eizellen. Um dieses Problem zu umgehen, hat die britische Aufsichtsbehörde HFEA den dortigen Forschern kürzlich erlaubt, menschliches Erbgut in die Eizellen von Kühen zu verpflanzen, um Embryonen zu Forschungszwecken zu gewinnen.
Ein weiterer, auch in Deutschland verfolgter Weg ist die Reprogrammierung von menschlichen (Haut-)Zellen zu so genannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS). Dieses Verfahren, bei dem keine Embryonen benötigt werden, ist den Teams um James Thomson (Wisconsin) und Shinya Yamanaka (Kyoto) gelungen.
Das Stammzellgesetz
Das im Januar 2002 verabschiedete Stammzellgesetz steht nach seiner Überprüfung 2007 diese Woche wieder auf der Agenda des Parlaments. Ähnlich wie schon vor sechs Jahren liegen mehrere Anträge, die jeweils von Abgeordneten verschiedener Fraktionen unterstützt werden, zur Entscheidung vor.
Die größte Aussicht hat ein Antrag für die einmalige Verschiebung des Stichtags, der von Bundeskanzlerin Merkel, Justizministerin Zypries, Forschungsministerin Schavan, aber auch von einigen der Stammzellforschung grundsätzlich eher kritisch gegenüberstehenden Abgeordneten unterstützt wird. Eine Reihe von Abgeordneten ist der Auffassung, dass sich die gegenwärtige Lösung in der Praxis bewährt habe, und will überhaupt keine Veränderung; höchstens die Strafandrohung für deutsche Forscher, die im Ausland an Embryonen forschen, soll zurückgenommen werden. Die FDP dagegen will der Forderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft folgen und den Stichtag streichen; das findet auch unter einigen wenigen Abgeordneten anderer Fraktionen Unterstützung. Auf der anderen Seite wirbt der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe für eine völliges Importverbot, mit der Begründung, alternative Forschungswege böten inzwischen größere Aussichten auf Erfolg.
Die Debatte hat an Schärfe gewonnen, nachdem die Vertreter der beiden christlichen Kirchen unterschiedliche Positionen bezogen haben: der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Huber hat sich für die Verschiebung des Stichtags ausgesprochen, während der bis vor kurzem amtierende Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, gegen eine Änderung ist.
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