Jochens Geburtstag

Berliner Abende Kolumne

Anfang November bekam ich eine E-mail von Jochen Schmidt. Er lud mich zu seinem Geburtstag ein. Jochen pflegt das Ich in seinen Texten gern als grundsympathischen, aber schwer kranken Neurotiker darzustellen, und weil ich diese Erlebnisberichte eines tragisch-komischen Lebens gern lesen mag, brachte mich die Einladung in leichte Konflikte. Es ging nämlich nicht ganz klar daraus hervor, ob es Jochen Schmidt überhaupt recht war, dass irgendeiner seiner Einladung folgte, denn er hatte in schwärzesten Farben ausgemalt, was denjenigen erwarten würde, der zur Party käme. Die Gäste würden die Hackfleischfüllung aus den Tomaten und das Salz von den Salzstangen puhlen und bald nach Beginn der Feier hinge er außen am Balkon, während die Gäste ungeniert auf den Fußboden spuckten.

Die Frage war, sollte ich den Menschen Jochen Schmidt schützen, indem ich zu Hause blieb oder war ich daran interessiert, weiter gute Texte von ihm zu lesen, indem ich der Einladung folgte und den Menschen Schmidt dabei aufs schwerste quälte, worauf der Autor dann wieder gezwungen sein würde, um nicht aus dem Fenster zu springen, einen Text über sein grausames Leben zu schreiben. Ich entschied mich für den Autor und fuhr hin.

Es war Sonntagabend, der Tatort gerade vorbei, als ich mit dem Fahrrad den Helmholtzplatz passierte. Die Straßen waren leer. Nichtmal der Geist von Lothar Feix war unterwegs, der ja zum Glück das wohlgeordnete, in jeder Hinsicht biologisch korrekte Kleinstadtleben des einstigen Großstadtviertels ab und an mal noch durcheinanderbringt. Einzig auf der Schönhauser Allee scheint die Vorstellung von Urbanität noch nicht einem verquasten Dorf-in-der-Stadt-Traum gewichen zu sein.

Jochen Schmidt wohnt auf der anderen Seite der Schönhauser, in einem Viertel, das in den siebziger Jahren für ein Mustersanierungsprojekt ausgewählt wurde, weswegen es nach der Wende nicht soviel Renovierungsbedarf gab und sich die Luxusrenovierungen und damit auch der Austausch der Bevölkerung in Grenzen hielten. Dort hat Bionade noch nicht das Bier als Nationalgetränk abgelöst.

Ich war erstaunt, den Namen Schmidt an der Klingel zu finden. Meine These ist ja, dass Jochen Schmidt eigentlich ganz anders heißt, ähnlich wie Kurt Krömer, der in Wirklichkeit einen Namen hat, den man im hiesigen Fernsehen nur schlecht aussprechen kann. Wahrscheinlich heißt Jochen Schmidt Danilo Pipiloczowski.

"Wenn ich mir das Haus so ansehe, würde ich sagen, wir sollten es zuerst im Hinterhaus versuchen, ich kann mir nicht vorstellen, dass Schmidt im Vorderhaus wohnt", sagten zwei, die zur selben Zeit Einlass begehrten. Es gab aber kein Hinterhaus. In solchen Fällen kann man sich sicher sein, bis in die vierte Etage laufen zu müssen, um dann vor der offenen Tür einer winzigen Mittelwohnung zu stehen. Und so war es dann auch.

Unter den Gästen war eine winzige Prinzessin, die angab, Jochens Tochter zu sein, jede Menge Leute, die auf die Frage, was sie denn beruflich täten, "ich schreibe" antworteten, einer, von dem Jochen behauptete, er sei der Sohn von Heiner Müller und ein paar Geschwister, die sich zwar untereinander glichen wie ein M und XL-Ei, aber Jochen überhaupt nicht ähnlich sahen.

Während sich die meisten eng aneinandergedrängt in der Küche amüsierten oder auf dem Balkon vor Kälte zitternd rauchten, saß Jochen still in der Ecke seines Wohnzimmers und wartete auf die große unbekannte Frau, die er eingeladen hatte und die nicht kam. Ich glaube, er hatte sich mit Absicht bei der Mailadresse vertippt, um nach der Feier darüber schreiben zu können, warum das Leben so furchtbar ungerecht ist und immer die falschen Leute ihn anhimmeln.

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