Joker

Normalisierung à la Schröder Aussöhnung mit dem Krieg?

Gerhard Schröder ist nicht alles, aber ohne Gerhard Schröder ist alles nichts. Auf diese Formel kann man das Ergebnis der Bundestagsabstimmung vom vergangenen Freitag bringen. Hatte der skrupulöse Großbürger Gustav Heinemann, wegen seines Widerstands gegen Konrad Adenauers Remilitarisierungspolitik zum sozialdemokratischen Bürgerpräsidenten aufgestiegen, das Dilemma der Politik noch auf die Formel gebracht: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts, hatte der SPD-Aufsteiger mit seinem coup d´etat wieder einmal brachial klar gemacht, welcher politische Aggregatzustand ihm am wichtigsten ist: der eigene. Mit der urplötzlich gezückten Karte der Vertrauensfrage hat sich der Kanzler zum zentralen Machtjoker der Berliner Republik aufgeschwungen. Als Vehikel diente ihm dabei die Kriegsfrage. Ihre Prägewirkung ist nicht zu unterschätzen. Schon bei der Einweihung des Reichstages 1999 wurde der Kosovo-Einsatz zum "Gründungsakt" der Berliner Republik stilisiert. Die Verkoppelung der Vertrauens- mit der Afghanistanfrage zwei Jahre später verfestigt den Eindruck von der Unausweichlichkeit des Militärischen. Hätte Schröder rechte SPD-Kanaler mit der Vertrauensfrage zu rot-grüner Staatsräson gezwungen, wenn die gegen den Atomausstieg gestänkert hätten?

Nun kann man nicht sagen, dass der nahkampfbegabte Kanzler ein zähnefletschender Militarist wäre. Dem potentiellen Rivalen Rudolf Scharping warf er bei der Regierungsbildung die Bundeswehr wie einen abgenagten Knochen vor die Füße. Auch so ein Akt erzwungener Gefolgschaft. Seitdem war ihm die Truppe höchstens als Sparbüchse interessant. Das merkwürdige Beharren des Zivilgesellschaftstheoretikers Schröder auf dem Militär als Motor deutscher Normalisierung nun mit bella figura zu bejubeln, wie dieser Tage Katharina Rutschky, weil der Kanzler nach der Abstimmung die SPD-Abweichlerin Christa Lörcher umarmte, grenzt ebenso an einen intellektuellen Offenbarungseid, wie die Feststellung des US-Philosophen Richard Rorty, er könne sich eine künftige Weltgesellschaft nur unter westlichen Vorzeichen vorstellen. Letzten Sonntag tat er in Berlin die Idee eines Dialogs der Kulturen kurzerhand mit den Worten ab: "Wir haben nichts zu lernen von Theokratien".

Muss die Linke also den Krieg neu bedenken, wie der amerikanische Philosoph Michael Walzer kürzlich meinte? Man kann zweifeln, ob das fundamentale Nein zu jedweder Militäranwendung wie zur Zeit der Wiederbewaffnung und der atomaren Planspiele der siebziger Jahre für alle Konflikte der postnuklearen Epoche taugt - Stichwort Ruanda. Doch nur weil die US-Einsätze die Taleban in die Knie gezwungen haben, ist nicht bewiesen, dass eine Kombination von Polizeimaßnahmen und politischem Druck unwirksam gewesen wäre. Und wenn schon in den USA überlegt wird, ob dem Land der Krieg erspart geblieben wäre, hätte man die Taleban seinerzeit anerkannt, sollten deutsche Intellektuelle diesen Einsatz nicht zum Endkampf deutscher Moral bejubeln. Ein beklagenwerter Kollateralschaden des Krieges ist die Mutation des Merkur zum Mars. Ins politische Standardrepertoire sollten Intellektuelle "begrenzte militärische Schläge" nicht aufnehmen, wie kürzlich einige Schriftsteller um Hans-Christoph Buch meinten. Die Toten, die auch sie hinterlassen, sind nämlich so konkret wie die des World Trade Center. Sie sollten ausnahmsweise lieber aufpassen, dass die Protokollzusätze des Bundestagsmandats nicht nur Fiktion bleiben. Darauf zu achten, dass das Militär nicht zum jederzeit an jedem Ort ausspielbaren Joker der Politik avanciert, hat nichts damit zu tun, den Zustand der Unschuld nicht verlieren zu wollen, wie Henryk M. Broder noch einmal meinte, die Skrupel von Kriegsgegnern durch den Kakao der Spiegel-Häme ziehen zu müssen, sondern damit, neue Schuld zu verhindern.

Das "rot-grüne Projekt", das man nun retten muss, hat außer vagen Ankündigungen über ein paar Konfliktpräventionsprojekte nicht so wahnsinnig viel zu bieten bei der Transformation des Militärischen. Wo blieb der Aufschrei des Außenministers, als die USA ankündigten, Osama bin Laden vor ein amerikanisches Militärgericht zu stellen? Ein Beitrag zur Verrechtlichung der internationalen Beziehungen ist das nicht. Es gibt keinen Grund, sich mit dem Politikmittel Krieg auszusöhnen. Aber allen Grund, das Nachdenken über Alternativen zu forcieren. Ohne die Hoffnung, dass es einen Ausweg gibt aus der Kultur des Mitmachens und des Sich-Fügens in alle vorgefundenen Zwänge ist alle Politik nichts.

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