Ein Bereich der Gesellschaft folgt immer irrationalen Regeln, ob in Diktaturen, Monarchien oder Demokratien - das Schlapphut-Milieu. Und immer gibt´s was zu lachen und etwas zum Gruseln, wenn man sich mit Geheimdiensten beschäftigt.
Den BND stellt man sich am Besten als Narrenschiff vor. Norbert Juretzko, BND-Aussteiger, SPD-Funktionär, berichtet in seinem Buch Bedingt dienstbereit von Weinkrämpfen eines Abteilungsleiters, dem ein Fehler in der Spesenabrechnung vorgeworfen wurde. Die gehässige Bemerkung eines Kollegen reichte, um einen Nervenzusammenbruch herbeizuführen. Juretzko wurde in den achtziger Jahren als ausgebildeter Fallschirmjäger zum Durchschnüffeln der DDR-Post eingesetzt. Wenn Tante Erna schrieb, in Senftenberg sei der Senf knapp, war d
Senf knapp, war das eine Wirtschaftsmeldung, wurde nach Pullach gemeldet und brachte eine extra Prämie. Die Stasi schickte ihre Agenten in den achtziger Jahren nach Pullach zur praktischen Abschlussprüfung, erfährt man. Juretzko hatte sich die Arbeit eines Agenten anders vorgestellt. Erst nach dem Fall der Mauer durfte er an die unsichtbare Front, die abziehenden sowjetischen Streitkräfte ausspionieren. Ein Großauftrag: Zusammen mit fünfzig CIA-Kollegen drei Kisten mit Messtechnik vergraben, eine Kiste möglichst zwischen den Gleisen eines Provinzbahnhofs auf der Insel Rügen. Die Jungs schafften das. Der Leiter des Bahnhofs wurde eingeweiht, er war einverstanden mit der Aktion. Später gibt´s ein Dankschreiben von Präsident Bush sen., von den Chefs beim BND aber eine Rüge, weil gegen irgendeine Vorschrift verstoßen wurde bei der Heldentat.Ein Agent hat keine Freunde. Norbert Juretzko stieg in den neunziger Jahren zu einem der wichtigsten Agentenführer des BND auf, zuständig für Osteuropa, insbesondere die GUS-Staaten. Am Ende seiner Karriere resignierte er. "Ich habe im BND sowohl ein Menschenbild als auch eine rechtsstaatliche Haltung vorgefunden, die sich nicht mit unserer Staatsphilosophie in Einklang bringen lassen." Das ist noch höflich ausgedrückt. "Saddam Husseins Folterspezialisten wurden vom BND ausgebildet, jetzt arbeiten sie für die US-Besatzungsmacht", lautet eine Zeitungsmeldung der letzten Wochen. Historische Zusammenhänge, die Heiner Müller meinte, als er schrieb, die Sonne der Folter scheine auf allen Kontinenten gleich.Ein Buch über den Verrat nennt Juretzko seinen Bericht. "Verrat der Quellen für uns, Verrat von Mitarbeitern des BND für andere Dienste, Verrat des eigenen Rechtsstaats durch die Politik". Wie das passiert, schildert er detailliert unter anderem als Teilnehmer einer Geheimsitzung im Bundeskanzleramt. Das Thema: Ist Volker Foertsch, der Sicherheitschef des BND, ein Verräter, hat er jahrzehntelang Staatsgeheimnisse an den russischen FSB verraten? Eine brisante Angelegenheit, bekannt als "Rübezahl"- oder "Foertsch-Affäre". Juretzko betreute "die russische Quelle", einen wichtigen Zeugen beim Verdacht gegen Foertsch.Eric Gujer, Deutschlandkorrespondent der Neuen Züricher Zeitung, geht in seinem Buch Kampf an neuen Fronten - Wie sich der BND dem Terrorismus stellt ebenfalls auf diese Affäre ein. Gujer gilt seit Jahren als ein geschätzter Gesprächspartner hochrangiger deutscher Sicherheitsbeamter, er ist Mitglied des "Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland", wo deutsche Geheimdienstler über aktuelle Sicherheitsprobleme debattieren.Ein "Lügengespinst" nennt er die Rübezahl-Affäre, Juretzko habe als "rangniederem Offizier" der Einblick in die größeren Zusammenhänge gefehlt. Gleichzeitig bestätigt er jedoch dessen Erfolge in der Aufklärungsarbeit - "Die Bundeswehr profitiert noch heute davon, wenn sie bei Auslandseinsätzen auf Geräte sowjetischer Herkunft stößt." Der Leser wird zum Schiedsrichter.Geradezu lyrisch beschreibt Gujer, das Foertsch schon immer damit gerechnet hatte, des Verrats bezichtigt zu werden. "Er stellte sich vor, wie es wäre, wenn er verdächtigt würde, ein Spion des sowjetischen KGB zu sein. Er schloss nicht einmal aus, dass er selbst zu einem Spion werden würde. Wer Verräter enttarnen will, muss sich in deren Denken hineinversetzen, auch auf die Gefahr, dass er sich der eigenen Seite entfremdet." In einem literarischen Werk würde so der Verräter sprechen, es bliebe nicht bei der Vorstellung, einer zu sein.Gujer spricht fast wie ein alter Ego des Verdächtigen: "Als Kind stellte er sich vor, blind zu sein, weil dies das Schlimmste war, was er sich ausmalen konnte". Foertsch´s Nervosität, seine Wutausbrüche, die ihn unter anderem für Juretzko so verdächtig machten, werden mit privatem Unglück erklärt."Jahrzehntelang herrschte ein ungesundes Klima aus Paranoia und zugleich Kameraderie", meint auch Eric Gujer über das Innenleben beim BND. "Der Geheimschutzbeauftragte von Weitershausen hielt den BND Ende der neunziger Jahre nicht mehr für einen professionellen Nachrichtendienst, der Geheimnisse bewahren konnte". Personalquerelen wie in jedem Schrebergartenverein legten die Arbeit ganzer Abteilungen lahm. "Geheimdienstler sind immer Beamte und nur selten Helden", meint Gujer.Wer einen Geheimdienst gründen möchte, kann Gujers Buch getrost als Dienstanleitung kaufen. Man hat phasenweise den Eindruck, einer Agenten-Schulung beizuwohnen. "Der Agent macht seinen Verbindungsführer dafür verantwortlich, dass er zum Verräter geworden ist. Spione sind Jongleure des Wortes. Sie reden, weil sie Angst haben; weil sie ihre Führungsoffiziere nicht enttäuschen möchten; weil sie ihre Wichtigkeit demonstrieren wollen." Die Instrumentarien, mit denen Abhängigkeiten hergestellt werden, fußen auf den Erkenntnisgewinnen humaner Wissenschaften. Auch aus Schüchternheit kann jemand zum Verräter werden, wie man am Beispiel eines russischen Diplomaten erfährt. Er bat den BND bat, für ihn Informanten/Verräter zu werben, weil er nicht wagte, fremde Leute anzusprechen.Informationen, erklärt Eric Gujer, sind zarte Gebilde, sie werden von vielen unterschiedlichen Fachleuten begutachtet und verwaltet. Überraschend: Die allermeisten Informationen stammen aus offiziellen Quellen, aus Zeitungen, aus dem Internet. Schnüffeln heißt lesen, lesen, nochmals lesen. Deshalb bekam man auch vom Fall der Mauer nichts mit, was unter Richelieu nicht passiert wäre.Ob dieser BND uns vor Terroristen schützen wird? Natürlich nicht. Inzwischen sei die Arbeit des BND viel professioneller geworden, erklärt Gujer. Es gibt keinen Dienstschluss mehr, wie noch Juretzko klagte. Auch wurde "erstmals eine eigene Presseabteilung aufgebaut". Seit dem 11. September muss beim BND offenbar ein Quantensprung in der Professionalisierung stattgefunden haben. Man arbeitet verstärkt mit Journalisten zusammen, unterwandert auch stärker Nichtregierungsorganisationen (NGO) und humanitäre Organisationen im Kampf gegen den Terrorismus. Gujer liefert plausible Gründe dafür. Oft sind Krisengebiete von Rot-Kreuz-Helfern leichter zu erreichen als von Diplomaten. "Die NGO lehnen eine Unerwanderung ab, doch können sie diese auch nicht verhindern." Gefahrenabwehr und Gefahrenerzeugung sind oft schwer gegeneinander abzuwägen - für alle Beteiligten, auch für die Unschuldigen. "Jeder Geheimdienst ist in einer freien Gesellschaft ein Paradox. Er benutzt Mittel, die ansonsten verboten sind, Täuschung, Betrug und Diebstahl, und er ignoriert verbriefte Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis", weiß Gujer. Es gibt Widersprüche, die sich nicht auflösen lassen. "Die Auspowerung der Kontinente findet im Namen der Akropolis statt", im Namen der Menschenrechte, schrieb Jean Paul Sartre in seiner Schrift Was ist Kommunismus? Auch dieser Widerspruch ist bis heute nicht aufgelöst.Norbert Juretzko gelangt in seinem neuesten Buch Im Visier zu erschreckenden Schlussfolgerungen. Absolut glaubwürdig schildert er die Möglichkeit, dass in Deutschland Staatsverrat nicht geahndet wird, nicht geahndet werden soll, weil man den Skandal fürchtet. Statt aufzuklären, macht man sich lieber international lächerlich. Das Bundeskanzleramt soll allen Ernstes beim Chef des russischen Geheimdienst FSB gefragt haben, ob Volker Foertsch Staatsgeheimnisse an die Russen verraten habe. Der wollte das nicht bestätigen. Nicht nur Schröder hatte zu Putin absolutes Vertrauen.Juretzko, SPD-Funktionär, organisierte den Wahlkampf für Peter Struck. Die Vielzahl von plausiblen Gründen, die er für das skandalöse Innenleben des BND anführt - Widersprüche zwischen den Verwaltungsbestimmungen und den fachlichen Qualifikationen der Mitarbeiter, Sparzwang, ein System der Spesenabrechnungen, das von feindlichen Diensten leicht kontrolliert werden kann, mangelnder Schutz der Mitarbeiter und der Quellen - lässt nur die Erkenntnis zu, dass Deutschland keinen funktionierenden Auslandsgeheimdienst hat.Die politische oder staatsrechtliche Brisanz der von Juretzko geschilderten Affären möchte man als Laie nicht beurteilen, auch wenn einiges dafür spricht, dass die Bundesrepublik Deutschland ein strukturelles Sicherheitsdefizit aufweist, wenn die Chefs der Kontrollinstanzen miteinander befreundet oder persönlich voneinander abhängig sind.Norbert Juretzko, Wilhelm Dietl: Bedingt dienstbereit. Im Herzen des BND. Die Abrechnung eines Aussteigers. Ullstein, München 2004, 384 S., 24 EURIm Visier. Ein Ex-Agent enthüllt die Machenschaften des BND. Heyne, München 2006, 320 S., 19,95 EUREric Gujer: Kampf an neuen Fronten. Wie sich der BND dem Terrorismus stellt. Campus, Frankfurt am Main 2006, 250 S., 24,90 EUR
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