Zwei Tage vor den Parlamentswahlen am 25. September sind zwei wahlpolitische Fixpunkte absolut geklärt. Der erste: die Rechte wird siegen - ohne jeden Zweifel. Der zweite betrifft jene, die sich als "Linke" dem Wahlvolk empfehlen und auf verlorenem Posten stehen, was jedermann seit längerem bewusst ist. Der Sieg der Rechten wird vermutlich so hoch ausfallen, dass die Quasi-Linke der Linksallianz (SLD) um ihre parlamentarische Existenz fürchten muss - die fatalistische Tendenz wäre nur durch ein Wunder aufzuheben. Für den nach dem Verhältniswahlrecht rekrutierten 460-köpfigen Sejm müssen die Sozialdemokraten der SLD die Fünf-Prozenthürde nehmen, was nicht vollends unmöglich ist - für den im Mehrheitsmodus gewählten Senat mit s
enat mit seinen 100 Mitgliedern scheinen sie hingegen ohne Chance. Das ist die Lage vier Jahre nach einem gewaltigen Sieg des Linksbündnisses, das seinerzeit mit fast 44 Prozent der Stimmen den Sejm eroberte (s. Übersicht).Auf den Hund gekommen ist die Linke, weil sie längst keine Linke mehr ist, sondern sich einem strikt neoliberalen Kurses in der Wirtschafts- und Sozialpolitik verschrieben hat. Auch in der Familien-, Bildungs-, Gesundheits- und Minderheitenpolitik tat sie genau das, was der römisch-katholischen Kirche und "unserem Papst" lieb war. Und sie betrieb durch die Teilnahme am Irak-Krieg eine Außenpolitik, die an Hörigkeit gegenüber der Bush-Administration kaum zu überbieten schien. Mit anderen Worten, die SLD regierte gegen den demoskopisch oft genug erfassten Willen der Mehrheit und wollte zu allem Überfluss von einem Führungspersonal nicht lassen, das seinen Anteil nicht schuldig blieb, wenn es galt, Vertrauen zu verspielen. Leszek Miller, nach der Sejm-Wahl von 2001 Parteichef und Premier, gab 2004 angesichts des öffentlichen Unmuts und des versiegenden Rückhalts im eigenen Lager die Regierungsgeschäfte an Marek Belka ab, einen Favoriten von Präsident Kwasniewski und bekennenden Neoliberalen."Wenn die SLD will, dass Birnen am Weidenbaum wachsen, so werden sie dort auch reifen", hatte Miller 2001 auf einem Parteikongress gerufen und die Delegierten jubeln lassen. Von Nachfolger Belka, innig mit dem US-Finanzkapital verbunden, wusste man nie, ob er je Mitglied der SLD war. Vor einigen Monaten jedenfalls wechselte er wie sein Wirtschaftsminister zu den "Demokraten" - einem Aufguss der 2001 an der Fünf-Prozenthürde gestrauchelten Freiheitsunion (UW). Dass sich Belka von der Partei absetzt, deren Regierung er führt, ist nur ein Indiz von vielen für den Zerfall der polnischen Linken, die sich gleich mehrfach gespalten präsentiert. Außer der SLD gibt es seit etwa einem Jahr die Sozialdemokratie der Republik Polen, eine Gruppierung, die sich unter dem bis dahin amtierenden Sejmmarschall Marek Borowski von der SLD in der Hoffnung distanzierte, als Bewegung von Dissidenten "glaubwürdiger" zu sein (nach den letzten Umfragen sind sie chancenlos). Eine im Oberschlesischen ansässige Polnische Partei der Arbeit (aus der radikalen Gewerkschaft August 80 entstanden), steht tatsächlich links, aber auch recht verlassen da. Und die neue SLD-Führung unter dem 30-jährigen Wojciech Olejniczak, der sich "von der Volksrepublik Polen unbelastet" fühlt und daraus ein Hauptargument im Wahlkampf schmiedet, will mit ihr nichts zu tun haben. Linke Slogans werden schließlich auch von der bäuerlich orientierten Samoobrona (Selbstverteidigung) verkündet, die wieder auf zehn Prozent spekuliert, doch von einem Zusammengehen mit der SLD nichts wissen will.Im siegestrunkenen Lager der Rechten stehen die Bürgerplattform (PO) und die Gerechtigkeitspartei (PiS) in erklärter Rivalität, nicht nur wegen der Abstimmung über den Sejm, sondern auch wegen der 14 Tage später anberaumten Präsidentenkür. Um das Amt des Staatsoberhauptes ringen Donald Tusk (PO) und Lech Kaczynski (PiS). Vermutlich werden beide Parteien koalieren müssen, um regieren zu können, doch gilt bekanntlich: Der Erste nimmt alles! Womit zunächst einmal die Schlüsselpositionen im Kabinett gemeint sind. Wer dort den Ton angibt, ist für Polens Geschicke alles andere als gleichgültig. Die Bürgerplattform - größtenteils eine umgebaute Wahlaktion Solidarnosc (AWS), die das Land gemeinsam mit der Freiheitsunion (UW) von 1997 bis 2001 regiert hat - plädiert für einen stringent neoliberalen Kurs. Die Gerechtigkeitspartei, deren Gebrüder Kaczynski als Führungsduo seit 1989/90 kein unbeschriebenes Blatt mehr sind, will mit einem straff geführten Staat den Weg zur "IV. Polnischen Republik" ebnen. Für die dazu notwendige Verfassungsänderung braucht man freilich (mit der Bürgerplattform) eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Sejm und Senat. Wird dies verhindert, könnte es Polen erspart bleiben, noch einmal ein Regimes erfahren zu müssen, wie es Marschall Józef Pilsudski zwischen 1926 und 1935 etabliert hatte. Die begründete Warnung vor dem Rückgriff auf das Muster des autoritären Staates kann der SLD im Augenblick helfen, Stimmen zurück zu gewinnen, auch wenn sie gerade durch den Rückzug ihres bisherigen Präsidentschaftskandidaten, Wlodzimierz Cimoszewicz, schwer getroffen ist.Adam Michnik schreibt dazu in der Gazeta Wyborcza, mit einer "massiven Treibjagd" habe die Rechte den "unabhängigen", jedoch von der SLD unterstützten Bewerber zur Aufgabe gezwungen. Lügen und Verleumdungen, Dokumentenfälschungen und "präparierte" Zeugen wurden aufgeboten, um Cimoszewicz im wahrsten Sinne des Wortes weg zu ekeln. Der gab - mit Rücksicht auf seine Familie - entnervt auf, ließ seine potentielle Wählerschaft im Stich und zog sich auf sein Anwesen in der Wildnis des Bialowieza-Waldes zurück. Ein symptomatischer Vorgang, der andeutet, was der Linken in einer IV. Republik blüht.Sitzverteilung im Sejm und im Senat(2001-2005)SejmSenatDemokratische Linksallianz (SLD-UP)21775Bürgerplattform (PO/liberalkonservativ.)6618Bewegung "Samoobrona" (Selbstbefreiung)522Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS/rechtsnationalistisch)472Bauernpartei (PSL)413Liga Polnischer Familien (LPR/nationalklerikal)350Andere10
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