A–Z Hält: Berühmt als Protestsymbol, könnte Kleber bald das Wundermittel gegen Überfälle auf Geldautomaten werden. Pippi Langstrumpf panschte daraus schon grünen Treibstoff. Wie Uhu zu seinem Namen und einmal in den „Freitag“ kam: Das Lexikon
Gehört mittlerweile zur Ausstattung der Polizei: Speiseöl zum Ablösen festgeklebter Klimaaktivist:innen
Foto: Andreas Pein/Laif
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Anzeige Der pharaoähnliche Ägypter klebt auf einem Sockel, hebt die Arme, an der Hüfte sieht man einen feinen Riss, auch seitlich am engen Rock aus Gold – die Skulptur musste geklebt werden. Mit einer ➝ Uhu-Heißklebepistole! Die zielt vom rechten Rand der Anzeige auf die schwarz-goldene Skulptur. Keine schnöde Produktwerbung, sondern eine Anzeige, die bei Kreativwettbewerben eingereicht werden sollte. Wie kam diese Marke im Januar 2012 in diese Zeitung? Offenbar liest man in einigen Kreativschmieden der Republik den „Freitag“, schätzt seine gute Druckqualität und das optische Umfeld. Und man dachte sich: Da passen wir hin. Die halbseitige Reklame sollte auch nicht teuer sein, es ging ja nicht darum, das Produkt zu verkaufen, sond
ja nicht darum, das Produkt zu verkaufen, sondern Kreativpreise zu gewinnen. Sie erschien auf der Wissensseite, wo ein Artikel fragte, ob Retortenfleisch und Grashüpfer die Menschheit retten können. Johann PlankBBundeshilfe Um das Sprengen von Geldautomaten fürderhin unattraktiv zu gestalten, wollen Banken nun auf Klebstoff zurückgreifen. Die in den Niederlanden bereits verwendete Technik soll, nachdem sich die Bundesbank dafür ausgesprochen hat, bei Sparkassenfilialen getestet werden: wird der Automat gesprengt, sollen die Geldscheine zu einem nutzlosen Klumpen verklebt werden. Geld zu einem Klumpen kleben? Ich hatte mal einen Kommilitonen, der auch Künstler war. Der hat bei der Bundesbank eine Tonne Geldschnipsel bestellt und wollte daraus Klötze formen, um eine Mauer zu bauen, die Mauer um Europa. Doch er hatte ein Problem: das Zeug klebte nicht. Er schrieb sogar dem Industrieverband Klebstoffe und bat um Hilfe. Die waren begeistert, dass sich jemand so genau für die Eigenschaften von Kleber interessierte, und schickte detaillierte Ausführungen, hilfreich war das aber nicht. Wie man Geld verklebt, ist streng geheim. Denn wer weiß, wie der Kleber funktioniert, kann ihn ja auch lösen. Leander F. BaduraDDuosan Es war der gebräuchlichste Universalklebstoff der DDR. Duosan Rapid verband so ziemlich alles und trocknete auch an ungeschickten Fingern zu hübschen Fransen zusammen. „Reich mir mal den Duosan“, hat natürlich kaum jemand gesagt damals. Man fragte nach Klebstoff, in manchen Regionen auch „Kleber“ genannt. Markennamen waren in einer Planwirtschaft außer Konkurrenz ohnehin nicht wichtig. Auch zu Kittifix griff der Bastler, wenn es ums Verbinden ging. Der Name wurde in der Punkszene Kult und wird bis heute besungen. Der ironisch-romantisierende Nachwendesong Ata, Fit, Spee von Schleimkeim enthält die Zeilen: „Kittifix, Kleber der hält / bei uns bekam man was für sein Geld.“ Das Produkt wird noch heute von einer kleinen Firma in Leipzig hergestellt. Wie viele Punkerjacken er zusammenhält, ist nicht bekannt. Duosan hingegen tauchte erst nach Jahren wieder auf – als Produkt des ➝ Uhu-Unternehmens. Er spaltet seitdem die Ostgemüter. Die einen schwören auf ihren bewährten Klebstoff, der in speziellen DDR-Shops als Original zwischen Harzer Zwiebelmettwurst und Nudossi angeboten wird. Andere beklagen, Uhu habe die Rezeptur verändert. Duosan würde jetzt Fäden ziehen und zu wenig riechen.Tobias PrüwerKKonrad Grüner Treibstoff? Ein Prototyp ließ sich schon 1970 im Kino und bald darauf im Fernsehen bestaunen. In Pippi außer Rand und Band treffen Tommy, Annika und Pippi Langstrumpf in einer finsteren Gewitternacht auf den Haushaltswarenvertreter Konrad. Sein Premiumprodukt hat die Farbe und Konsistenz von Hubba Bubba Apfel – nur dass Konrads Spezialkleber KSK sehr viel besser haftet als der softe Kaugummi (➝ Zäh). Mit Wasser vermischt in den Tank eines alten Autos gekippt, wird KSK zum Supertreibstoff, mit dem ein altes Auto nicht nur wieder fährt, sondern auch fliegen kann. Wie umweltverträglich die grüne Soße ist, die während des Flugs der Kinder aus dem Auspuff tropft, thematisiert Astrid Lindgren nicht weiter. Schön sieht sie nicht aus. Am Ende steigen Tommy, Annika und Pippi vom fliegenden Auto wieder aufs Pferd um. Christine KäppelerMMehlkleister Wie kriege ich bloß den Teig von den Händen? Mit Mehl abreiben. Scheibenkleister, diese Schmiere! Lange mit kaltem (!) Wasser spülen, eine Bürste zu Hilfe nehmen. Es geht nicht anders: Wer Brot aus dem Automaten ohne das hässliche Loch haben will, muss zwischen Aufgehen und Backen den Knethaken ziehen. Dass der warme Teig dermaßen klebt, liegt am Gluten, das für Lockerheit beim Aufgehen und dann für eine gute Kruste sorgt. So lässt sich auch Kleister herstellen, wenn man Weizenmehl mit Wasser aufkocht. Irmtraud Gutschke NNeandertaler Pech gehabt: Die Neandertaler verwendeten den ältesten bekannten Klebstoff. Mit Birkenpech fixierten sie Steinklingen an Holzschäften. Der älteste Beleg stammt aus Campitello in der Toskana. Rund 120.000 und 80.000 Jahre alt sind zwei Funde aus Inden/Altdorf in Nordrhein-Westfalen und Königsaue in Sachsen-Anhalt. Der moderne Mensch, der vor 40.000 Jahren Europa besiedelte, tat es den Neandertalern gleich. So nutzte auch Gletscherwanderer Ötzi Birkenpech, um seine Pfeilspitzen zu befestigen. Strittig ist noch, mit welcher Methode der Klebstoff hergestellt wurde. Durch simples Verbrennen der Rinde oder mittels komplexerer Verfahren in luftdichten Erdgruben, womöglich waren auch beide Prozesse schon bekannt. TPRRamones Das Debüt der Ramones, am 23. April 1976 auf Sire Records erschienen und von Craig Leon produziert, ist in vielfacher Hinsicht legendär. 14 Stücke sind darauf zu hören, die zusammen nur 29 Minuten und vier Sekunden dauern. Joey, Johnny, Dee Dee und Tommy Ramone hatten es von Anfang an ziemlich eilig. Now I Wanna Sniff Some Glue, das sechste Stück des Albums, kommt mit nur vier Songzeilen aus: „Now I want to sniff some glue / Now I want to have somethin’ to do / All the kids want to sniff some glue / All the kids want somethin’ to do.“Den Kids ist langweilig, darum geht es in dem Lied (➝ Symbiose). Sie wollen was zu tun haben. Besser Klebstoff schnüffeln, als dass gar nichts geht. Auch der Name des britischen Punk-Fanzines Sniffin’ Glue (1976 bis 1977) ist an den Ramones-Song angelehnt. Legendär ist die Antwort von Dee Dee Ramone auf die Frage, ob der Text denn authentisch sei. „Ich hoffe, niemand denkt, dass wir wirklich Klebstoff schnüffeln. Ich habe damit aufgehört, als ich acht war.“ Marc PeschkeSSymbiose Womöglich ist es der schönste von allen Songs der legendären Velvet Underground: I’m sticking with you, gesungen von Maureen, genannt Moe Tucker, der Schlagzeugerin der Männerband von Lou Reed, John Cale und Sterling Morrison. Nichts von dem abgründigen Basswummern, nichts von Drogen, Sex und Kleiderfragen, das sonst deren Songs bestimmte. Stattdessen Liebe mit einem ausgeprägten Hang zum Symbiotischen. Da sind zwei aneinandergeklebt, als wären sie aus Klebstoff. Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel, und wenn einer eine Postkutsche überfällt, macht der andere es gleich nach. Wenn einer am Baum hängt wie ein Äffchen oder ein Faultier, stellt der andere sich das auch vor. Etwas gemächlich Faultierhaftes hat auch das Arrangement, das am Ende selbst pendelt und schwingt wie zwei Tierchen am Baum. Die Stimme von Moe Tucker ist unprätentiös bis zur Kindlichkeit, zeitlos entrückt wie die Fantasie einer Liebe, in der aus zweien eins wird. Wer so liebt, muss nicht ins Weltall fliegen. Zu schön, um wahr zu sein. Beate TrögerUUhu Gelbe Tube, drei Buchstaben in schwarzen Versalien, sonst nichts – außer flüssiger, glasklarer und verstörend wohlriechender Klebstoff. Seit seiner Produkteinführung hat sich das Aussehen des Uhus (➝ Anzeige) kaum verändert. 1932 entwickelte der schwäbische Apotheker August Fischer den weltweit ersten, aus Kunstharzen bestehenden Alleskleber. Zuvor klebte man mit eher übel riechenden und brüchigen Klebern auf Fischleimbasis: Syndetikon. Damals war es Mode in der Papier- und Schreibwarenbranche, Produkte nach großen Vögeln zu benennen (wie Pelikan), und so kam der Eulenvogel zum Leim. Wenige Jahre später wurde Uhu schon zur bekanntesten Klebstoffmarke („Im Falle eines Falles klebt Uhu wirklich alles“) und wurde sogar im Luftschiff Hindenburg verwendet. Schuld am Verbrennen war der entzündliche Klebstoff jedoch nicht. Im dritten Semester meines Designstudiums wählte ich als selbst ernannte „2D-Gestalterin“ mutig den 3D-Grundlagenkurs Pappe. Große geometrische Körper mussten wir da aus dem spröden Material zusammenbauen. In der Einführungsveranstaltung war das wichtigste Werkzeug: Uhu, aber bitte nur der, der tropft. Nicht den ohne Lösungsmittel! Das verzögerte Trocknen erlaubte nachträglich noch, die geleimten Stellen zu formen und zu gestalten. Nach den mehrstündigen Seminaren in der Werkstatt waren wir vom Methylacetat ganz benebelt und unsere Fingerkuppen bekleidet von Klebstoffkruste. Susann MassuteWWillkommensrituale Sie dienen als ein Bindemittel gesellschaftlicher und politischer Kommunikation. Und sollen in der Erinnerung – etwa an Staatsbesuche – haften bleiben als Kitt der Verbundenheit oder – wenn das zu viel verlangt ist – zumindest des Respekts. Das klappt nicht immer. In den letzten beiden Jahren ihrer Amtszeit war für Angela Merkel das Willkommensritual für Staatsgäste die reine Zitterpartie, wie alle sehen konnten. Dafür aber klebte sie nicht an ihrem Amt.Natürlich gibt es auf dem Gebiet würdevollen Willkommens auch scherzhafte Überbietungswettbewerbe zwischen Empfangskomitee und Gast. Mir fällt beim Spaziergang in der Gleimstraße die hübsche Anekdote ein: Der Dichter Johann Ludwig Gleim (1719 – 1803) sollte einmal beim Besuch in einer Kleinstadt besonders geehrt werden. Der Bürgermeister dichtete: „Es lebe der Dichter Gleim / Er ist der Freundschaft Leim.“ Nach kurzem Besinnen antwortete Gleim: „Und der Herr Bürgermeister / ist der Freundschaft Kleister.“ Magda GeislerZZäh Sekundenkleber hat im letzten Jahr vollkommen ohne eigenes Zutun viel Werbung bekommen: „Klebt Ihre Möbel so zuverlässig wie Hände auf den Asphalt“. Die kleinen Tuben sind ja nicht grundlos zum Modeaccessoire der Klimabewegung geworden. „Einfache, schnelle Anwendung mit durchschlagenden Effekten auf Autoverkehr und Medien.“ Dank der Letzten Generation wissen wir, dass sich Sekundenkleber zwar mit Speiseöl lösen lässt, der Vorgang aber so zäh ist wie der Kleber selbst (➝ Konrad) – und der Verkehr, der auf ihn trifft. Weil das einigen Aktivist:innen immer noch zu schnell geht, mischen sie den Kleber inzwischen mit Sand. Dagegen kommt nur noch der Trennschleifer an. Alina Saha
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