Putin muss weg? Tyrannenmord endet selten gut

Meinung Friedrich Schiller hat in Wilhelm Tell den Mord am Unterdrücker unwiderstehlich gerechtfertigt. Dennoch sollte man die Finger von dieser Idee lassen
Ausgabe 21/2022

Sie wisse nicht, ob „Wladimir Putin überhaupt Kontakt zur Realität hat“, soll Angela Merkel 2014 zu US-Präsident Barack Obama gesagt haben. Er isoliere sich, lasse sein Essen vorkosten und wechsle samt Leibwache häufig den Ort – alles aus Angst vor Attentaten. Und tatsächlich ist „Putin muss weg“ ja kein Anarcho-Slogan, sondern die Meinung von US-Präsident Joe Biden. Der republikanische US-Senator Lindsey Graham spricht es direkt aus: „Irgendwer in Russland muss jetzt aktiv werden und diesen Typen aus dem Weg schaffen.“

„Sic semper tyrannis“, soll der Mörder Abraham Lincolns ausgerufen haben. Der Aufruf zum Tyrannenmord ziert gar das Wappen des US-Staates Virginia. Das Lateinische deutet hier auf eine lange Vorgeschichte hin: Schon 509 vor Christus wurden Harmodios und Aristogeiton mit dem Mord an Hipparchos zu Helden der attischen Demokratie. „So geschehe es den Tyrannen“, sollen auch die Mörder Julius Caesars als Begründung vorgebracht haben.

Auch wenn im Vatikan viel gemeuchelt wurde: Das Tötungsverbot der christlichen Morallehre machte den Tyrannenmord dann lange zum Tabu. Erst mit der Neuzeit ändert sich das wieder: Pro und Contra halten sich nun die Waage, die Argumente werden spitzfindig: Hobbes, Hegel und Kant sehen Staat und Recht gefährdet, wenn unbeliebte Herrscher zur Tötung freigegeben würden und Hochverrat zum Heldentum geriete. Laut Luther darf nur Gott richten. Doch mit der Menschenrechtsidee erlangt auch das „Widerstandsrecht“ Verfassungsrang, zuerst 1776 in der Unabhängigkeitserklärung der USA, 1789 in der Pariser Erklärung der allgemeinen Menschenrechte – und 1949 in Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes.

In Russland ist der politische Mord nicht ungewöhnlich

Das revolutionäre Frankreich zeigt aber auch, wohin die Legitimierung politischer Morde führen kann. Wahllos rollten die Köpfe, bis das „Direktorium“ den Spuk vertrieb. Mord hat kaum je eine Tyrannei beendet – auch nicht in der Schweiz, die sich auf die Tötung des Landvogts Gessler beruft. Dass diese Tat nie stattgefunden hat, hinderte Friedrich Schiller freilich nicht, in seinem Wilhelm Tell den Tyrannenmord fast unwiderstehlich zu rechtfertigen:

„Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, / Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, / Wenn unerträglich wird die Last – greift er / Hinauf getrosten Mutes in den Himmel, / Und holt herunter seine ew’gen Rechte, / Die droben hangen unveräusserlich / Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst – / Der alte Urstand der Natur kehrt wieder, / Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht – / Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr / Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben – / Der Güter höchstes dürfen wir verteid’gen / Gegen Gewalt – Wir stehn vor unser Land / (...)“

Wen erinnert das heute nicht an den Krieg in der Ukraine, der die Gemüter so sehr ob der Frage nach Gebot und Grenzen der Gewalt erhitzt? Wäre hier nicht ein Tyrannenmord eine Chance auf einen Regime Change zum Besseren? Zumal in Russland ist der politische Mord nicht ungewöhnlich. Josef Stalin ließ unzählige Gegner liquidieren – und bis heute hält sich die Vermutung, er sei selbst vergiftet worden. Wenn das so war, tat der Auftraggeber gut an der Verschleierung – angesichts der Verehrung, die dieser grausame Diktator dennoch im Volk genoss. Da die Mahlzeiten der Herrscher vorgekostet und ihre Leichname zur Schau gestellt werden, wäre ein Kontaktgift das Mittel der Wahl. Die Expertise gibt es in Russland. Doch käme man so zu einer demokratischen Transformation?

„Sic semper tyrannis“: Man denke stets an den klassischsten Fall – den Mord an Gaius Julius Caesar. Die Tat mündete nicht in eine neue Republik, der Regime Change misslang. Die Senatoren, die auf ihn einstachen, verloren ihre Macht und fielen schnell selbst der Gewalt zum Opfer. Ein neuer Bürgerkrieg begann.

Das kann niemand wollen, auch heute nicht. Oder gibt es da doch jemanden? Das wäre die finsterste mögliche Perspektive.

Roland Czada ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Uni Osnabrück

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