Der Sturz Europas in die Barbarei duldete kein Schweigen mehr: Am 22. Dezember 1938 unterzeichneten 37 Künstlerinnen und Künstler, Schriftsteller und Aktivisten das Manifest Es lebe die entartete Kunst. Es ergriff Partei für von den Nazis geächtete Künstler wie Max Ernst, Paul Klee oder George Grosz, darüber befand sich ein Druck des Bildes Guernica, das Picasso erst ein Jahr zuvor fertiggestellt hatte. Es war das Gründungsdokument der Kairoer Surrealistengruppe Art et Liberté.
Als das Kollektiv dann am 8. Februar 1940 seine erste Ausstellung in der ägyptischen Metropole eröffnete, tobte in Europa schon der Krieg. Emphatisch proklamierten die Mitglieder die innige Verbindung von Kunst und Engagement, verurteilten Ungleichheit und Gewalt, tra
Ungleichheit und Gewalt, traten an gegen Faschismus, Kolonialismus und autoritäre Herrschaft in jeder Form. „Freiheit und Lebendigkeit“ forderte ihr Wortführer Georges Henein, inspiriert von seinem Freund André Breton, der in Frankreich 1924 als Literat die surrealistische Bewegung losgetreten hatte. Sie knüpfte an Freuds Traumdeutung an, wollte das Unterbewusste ins Licht heben und verbreitete sich bald weltweit – nicht nur in Paris und London, sondern auch in New York, Mexico City und eben Kairo.Fünf Jahre DetektivarbeitEine junge, rastlose Generation suchte hier nach politischen wie ästhetischen Antworten auf eine aus der Mitte des Okzidents heraus ins Mittelalter zurückdrehende Welt, radikal, ungestüm und linksrevolutionär. Kairo war damals nicht nur eine internationale Handelsstadt, sondern auch Knotenpunkt einer künstlerischen Avantgarde. Der Dichter Georges Henein pendelte ebenso zwischen Paris und Kairo wie die Fotografin Lee Miller. Kairos Kunstszene war kein Echo der europäischen, sondern das Ergebnis intensiven künstlerischen Austauschs (und auch von ein paar internationalen Liebesaffären). Die großartige Ausstellung Art et Liberté – Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten (1938-1948), die jetzt im K20 in Düsseldorf zu sehen ist, unterstreicht diese Eigenständigkeit und reflektiert ihre Rolle im Kunstmarkt.Die Räume sind in neun Kapitel unterteilt, die mit poetischen Titeln aus den Gedichten, Briefen und Texten der Bewegung überschrieben sind. Politisch sensibel wollten die Kuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath ihrer Präsentation möglichst wenig fremd ausgesuchte, objektivierende Sprache überstülpen. Der erste Raum, Die Stimme der Kanonen, zeigt montiertes zeitgeschichtliches Filmmaterial. Auch wenn Kairo nie Frontstadt wurde, so waren hier 1942 doch 140.000 britische Soldaten stationiert, und Ägypten wurde Schauplatz von Krieg und Gewalt. Die allgegenwärtige Prostitution, Folge der Militärpräsenz, ist Thema des Raums Die Stadtfrau, der geschundene, mit Nägeln durchbohrte, manchmal verstümmelte Frauenkörper in Gemälden von Kamel El-Telmisany, Ramses Younane oder Amy Nimr zeigt. Ergänzt werden die Bilder und Dokumente in der Ausstellung durch bemerkenswerte surrealistische Fotografien von Van Leo oder Abduh Khalil.Art et Liberté vermeidet bewusst die Falle, durch vergleichende Hängung mit europäischen Werken Original und Nachahmung zu behaupten. Wer möchte, kann zwei Stockwerke höher die ständige Sammlung des K20 besuchen, in der eben jene Werke von Ernst, Klee oder Picasso ausgestellt sind, mit denen Art et Liberté in einem Dialog steht. Konkrete Bezüge gibt es allerdings kaum, viel eher stellt sich die Frage, wie sich eigentlich der europäische Kanon heutzutage noch legitimiert und wie es sein kann, dass Künstler wie Abdel Hadi El-Gazzar dort unter der Epochenüberschrift Surrealismus nicht auftauchen oder bei uns völlig unbekannt sind.Doch ist diese Kategorie eben auch nur ein Etikett, und das, was wir darunter verstehen, oft zum dürren Klischee geschmolzen wie schlapp über Zweigen hängende Uhren. Nicht so hier. Die ägyptischen Künstlerinnen und Künstler erweitern die surrealistische Motivik um eine große Menschlichkeit, die, von Krieg und Hunger gezeichnet, erfasst von Schmerz, Leid und Tod, erdrückt oder erhoben von Himmel und Wüste Nordafrikas oder ertränkt im Meer, ihre Würde zu behaupten versucht. Dass sich eine arabische Tier- oder Schriftsymbolik dem europäischen Betrachter oft nicht auf Anhieb erschließt, tut der Wucht der Bilder keinen Abbruch.Mehr als fünf Jahre Detektivarbeit sind in diese Schau geflossen, die den Auftakt zu einem großen Ding mit dem Arbeitstitel Die exzentrische Moderne darstellt – so will die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes, in ihrem Forschungsprojekt museum global die eigene eurozentrische Perspektive hinterfragen. Art et Liberté war bereits in Paris und Madrid zu sehen, sie wandert noch nach Liverpool und Stockholm. Nur den Weg nach Kairo wird sie nicht finden. So bleibt die kritische Selbstbefragung doch wieder eine narzisstische Angelegenheit, die jedoch sicher die Auktionspreise für arabische Kunst weiter in neue Höhen treibt. Vielleicht wird irgendwann das eine oder andere der Bilder aus Kairo doch noch im zweiten Stock der Gemäldegalerie zu sehen sein, wie selbstverständlich einsortiert zwischen den europäischen Verwandten.Placeholder infobox-1