Junge, Junge

Linksbündig Einige Medien machen sich Sorgen um den männlichen Nachwuchs

Alles was gerecht ist: Männer wollen auch mal Opfer sein. Nun hat es auch die Kleinen, die Jüngsten, die Jungen erwischt, und es liegt ein neues Thema in der Luft. "Warum Mädchen besser dran sind", titelte der Focus vor zwei Wochen, die Zeit war noch ein bisschen früher mit der These, Jungen seien in Schule und Elternhaus benachteiligt und "allein aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert." Auch die am Montag erschienene 14. Shell-Jugendstudie wird medienöffentlich unter anderem mit dem Fazit verkauft, dass zwischen Mädchen und Jungen beinahe ein "Rollentausch" stattfinde, in puncto Schulbildung hätten die Mädchen die Jungen bereits überholt.
Steht die Welt Kopf? Mitnichten. Dass Mädchen früher erwachsen werden, besser in der Schule, zivilisierter im Umgang sind, mehr Sozial- und Kommunikationskompetenz zeigen, ist lange bekannt. Was sich aber zu wenden scheint, ist die Bewertung dieser Fakten. Der Vorzug der Mädchen wird als Benachteiligung der Jungen ausgelegt, und ein neues Credo ist zu hören: nicht die kleinen Kerle sind falsch, sondern die Maßstäbe, mit denen wir sie messen.
Die Debatte trifft im Kern das Richtige, denn geschlechtsspezifisch aufmerksame Erziehung der Jungen tut Not. Das bisher starke Geschlecht ist verunsichert und reagiert nicht unbedingt sozialverträglich auf den Imageverlust, den der männliche Habitus erlitten hat. Die Zeit vermutet außerdem hinter der "Benachteiligung" eine Unfähigkeit im Umgang mit jungmännlichem Raufgebaren und Angst vor Gewalt. Sie beklagt ein Zuviel an weiblicher Pädagogik. Daran ist nichts auszusetzen. ›Mehr Männer in die Erziehungsarbeit!‹, wäre die Forderung der Stunde. Nur fragen wir die erwachsen gewordenen Herren mal, warum sie, wenn überhaupt, fast ausschließlich Gymnasial- und Oberstufenlehrer werden. Mit ihrer Unterdrückung, so will uns scheinen, hat das nichts zu tun.
Symptomatisch ist der emotional aufgestachelte Ton der - auffällig oft von Frauen verfassten - Berichte über die "armen Jungs". Ob wir wollen oder nicht, unter den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen liegt in jeder Geschlechtszuschreibung eine Bewertung, und wo die Dominanzverhältnisse bröckeln, wird Konkurrenz inszeniert. Unerbittlich listet Focus auf, was Mädchen können und was Jungs, schämt sich nicht, hierfür bis zur Leistungsfähigkeit der Spermien hinabzusteigen ("bei der Befruchtung gibt es mehr männliche als weibliche Embryos") und kulminiert in dem Schluss, dass die "biologisch fragilen Buben" liebesbedürftiger seien als Mädchen. Schlimm muss es bestellt sein um die Bastion der Männlichkeit! Diese Texte klingen, als wollten da Mütter sich in stellvertretend ausagierter Kastrationsangst schützend vor ihre Söhne werfen und rufen: ihr sollt bleiben wie ihr seid und vor allem Jungen! Hinter der Rede von der Benachteiligung steht die Furcht, feministische Lehrerinnen könnten die Knaben zu Mädchen unterdrücken. Quel horreur! So schlägt das System der heterosexuell organisierten Zweigeschlechtlichkeit wieder zu - was kann der Kleine schon für sein Testosteron? - und vergessen scheint die wahrhaft zivilisatorische Idee, dass Jungen eventuell auch Männer werden könnten, ohne sich wie ihre evolutionären Vorfahren zu benehmen.
Die in Duktus und Ausführung beschreibende und differenzierte Shell-Jugendstudie spricht - erfreulicherweise ohne Katastrophenstimmung - von einem "allmählichen Angleichungsprozess" der schulischen und beruflichen Lebensperspektiven der beiden Geschlechter. Es mag sein, dass diese Angleichung in einem tieferen Sinne Angst auslöst, immerhin hängt am Geschlechtsunterschied nicht nur Macht und Privileg, sondern eine ganze Ökonomie der Libido.
So paradox es klingt, was an der Zeit ist, wäre eine geschlechtsspezifische Erziehung, die ungeschlechtlich funktioniert, die ohne Verweiblichungs- oder Vermännlichungsängste auskommt. Einmal vom biologistischen Zauber befreit, lassen sich "männlich" und "weiblich" als Verhaltensoptionen verstehen, die Personen - nicht ganz, aber doch weitgehend unabhängig vom realen Geschlecht - zur Verfügung stehen. Das löst dann auch die Verteilungskämpfe anders und gäbe den armen Jungs eine wirkliche Hoffnung. Denn Biologie ist kein Schicksal.

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