Käfighaltung

Kommentar Die EU-Verfassung und der Balkan

Gibt es Neues vom Balkan? Nun ja - in Wien trafen sich erstmals nach dem Kriege Serben und Albaner zu einem Fototermin. Demnächst sollen Experten beider Seiten darüber reden, ob die kosovarischen Auto-Nummern anerkannt werden, mit denen man immer noch nicht durch Serbien fahren kann. Natürlich ist das nicht spektakulär. Aber nicht, dass etwas passiert, ist die beunruhigende Nachricht vom Balkan, sondern dass nichts passiert. Das Jahrzehnt der Kriege mag vorbei sein. Übrig geblieben sind handlungsunfähige Gebilde wie das Kosovo, Serbien-Montenegro, Bosnien und Mazedonien, nicht viel mehr als staatsförmige Formelkompromisse, an deren Zukunft glaubt, wer die Länder nur von der Landkarte her kennt.

Seit dem EU-Gipfel von Saloniki ist im Prinzip klar, dass ganz Südosteuropa Teil der Union werden soll, aber von den vielen Hindernissen auf diesem Weg ist die EU-Verfassung selber das ärgste. Spricht man über Bosnien, kann man in Brüssel den Satz hören, für solch ein exotisches Tier - den Staat aus zweieinhalb Republiken - gebe es im europäischen Zoo keinen Käfig. Das mag kein sehr gefälliges Bild sein, aber ein sehr treffendes, wenn man es weiterdenkt. Die EU versucht nämlich, das ausgewachsene Tier so zu verändern, dass es in einen fertigen Käfig passt, obwohl doch jeder Tierpfleger den Brüsseler Strategen erklären könnte, dass es wesentlich leichter ist, die Maße des Käfigs den Bedürfnissen des Tieres anzupassen als umgekehrt.

Damit sie eines Tages in die EU kommen können, sind die Bewohner des Balkans gehalten, zunächst Nationalstaaten auszubilden. Schließlich ist und bleibt die Union ein Club, in dem nur solche Zutritt haben. Man kann sich zwar nicht vorstellen, dass Staaten wie Bosnien oder Mazedonien irgendwann einmal für ein halbes Jahr die EU-Präsidentschaft übernehmen, aber sehr wohl, dass die Bosnier, Mazedonier und Kosovo-Albaner ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend das EU-Parlament mitwählen oder einen Kommissar stellen, denn gute Leute gibt es auch dort. Aber den direkten Weg dürfen die Mazedonier nicht gehen - alles muss durch das Nadelöhr des Nationalstaats. Dabei sollen Bosnien, Mazedonien und vielleicht demnächst das Kosovo doch nur deshalb Nationalstaaten werden, damit sie ihre Souveränität in der EU gleich wieder relativieren können. Das ist nicht nur ein unnötiger Umweg, sondern schon ein historischer Irrweg. Irgendwann - in zehn Jahren oder früher - wird man die Unfähigkeit der Bosnier, sich einen Nationalstaat zu geben, als mangelnde EU-Reife hernehmen. Das heißt, wenn demnächst in Westeuropa die Entscheidung über eine europäische Verfassung fällt, wird auch über das Schicksal des Balkans entschieden. Die zu beschließen haben, merken das nicht. Aber die Betroffenen im Südosten des Kontinents werden es rasch spüren - ein fatales Verhältnis, das Jahrhunderte alt ist.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden