Kakophonie in schwarz

Höhenflug über Abgründe hinweg Die CDU sucht ihr Wahlprogramm

Die Kanzlerkandidatin war als solche noch keinen Tag alt, da fühlte man sich bereits an die Zeiten seligen K-Streits erinnert. Von der Abschaffung der Eigenheimzulage über den Wegfall der Steuerfreiheit für Nacht- und Feiertagszuschläge bis hin zur Kürzung der Kilometerpauschale prasselten die Vorschläge wahllos auf Angela Merkel ein. Besonders der hoch gehandelte künftige Superminister Edmund Stoiber - bisher eher als Zauderer denn als Zupacker bekannt - schien unumwunden klar machen zu wollen, welche Härten im Falle eines Wahlsiegs anstehen. Ist man sich in München des Triumphes bereits derart sicher? Oder sollte es sich doch noch um den allerletzten Versuch einer Demontage der gerade erst gekürten Kanzlerkandidatin handeln?

Vermutlich keines von beidem. Die Union hat derzeit ein ganz anderes Problem. Ihr großes Dilemma besteht darin, bis zum 11. Juli ein einigermaßen konsistentes Wahlprogramm präsentieren zu wollen, das zwei Anforderungen gleichermaßen genügt: Es soll die Wählbarkeit der Partei noch steigern und zugleich die Regierbarkeit des Landes erhalten, sollte die Union im Herbst die Macht übernehmen. Das Wahlprogramm darf also nur soviel an Grausamkeiten zumuten, wie CDU und CSU verkraften können, um die erforderliche Mehrheit zu gewinnen; es muss in Maßen einen sozial- und wirtschaftspolitischen Offenbarungseid leisten, damit Merkel das Schicksal Schröders von 2002 erspart bleibt, nach dem Urnengang wegen erwiesener Wahllügen umgehend abgestraft zu werden. Bisher steht allerdings nur fest, dass es nach der Wahl zu Einschnitten kommen wird, und das Zeitfenster dafür - dank einer stabilen Mehrheit im Bundesrat - mindestens drei Jahre lang offen steht. Wie das dafür erforderliche Programm konkret aussehen wird, ist dagegen nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Was wir erleben, erinnert vielmehr an rasende Ratlosigkeit.

Auch wenn "Rot-Grün muss weg" für den Wahlsieg reichen mag, für das anschließende Regieren dürfte es allemal zu wenig sein. Auch das vollmundige Credo von Merkels "Agenda für Arbeit": Alles, was Arbeit schafft, wird unternommen - alles, was Arbeit verhindert, wird unterlassen, will eben erst noch in taugliche Maßnahmen übersetzt werden. Und genau daran ist Rot-Grün soeben kläglich gescheitert.

Bisher spricht vieles dafür, dass die CDU bis zum 11. Juli allenfalls Stückwerk zustande bringt. Spätestens dann wird sich auch erweisen, ob der lauthals verkündete "Wille zur Wahrheit" tatsächlich obsiegt oder ob sich doch wieder das neue Schisma der Union durchsetzt: die CDU für die Härten, die CSU fürs Streicheln. Immerhin wollen in Bayern absolute Mehrheiten verteidigt werden. Und dafür braucht es eben nicht bloß die ökonomischen Eliten, sondern auch die soeben übergelaufenen Unterschichten. Ansonsten dürfte die Union ihren neuen Nimbus als "Arbeiterpartei" (Jürgen Rüttgers) so schnell wieder verlieren, wie sie ihn sich zuerkannt hat.

Wenn Angela Merkel deshalb tatsächlich ernst machen will mit ihrer Ehrlichkeitsoffensive, wird sie besonders ihre südliche Flanke im Auge behalten müssen. Bekanntlich ist schon mancher Bayer als Ankündigungslöwe gesprungen, um schließlich doch wieder handzahm als Bettvorleger zu landen. Es wird sich noch erweisen, ob Merkel mit einem Superminister Stoiber wirklich gedient sein kann.

Eines aber dürfte heute schon feststehen: Gerade wenn die Union ihr Programm der sozialen Härten durchzieht, wird sie sich den nötigen populistischen Kitt woanders besorgen. Ein heißer Tanz auf dem Feld der Außenpolitik zum Thema EU und Türkei gilt deshalb schon heute als beschlossene Sache. Nichts schließt die Reihen der Konservativen bekanntlich besser als ein "gemeinsamer äußerer Feind".


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