"Der Reichstag brennt noch immer" schrieb Otto Köhler im Mai 2005 im Freitag und führte aus, dass die These von der Alleintäterschaft des Niederländers Marinus van der Lubbe und der Unschuld der NS-Führung beim Reichstagsbrand seit mehr als 40 Jahren den Mainstream der Geschichtswissenschaften in dieser Frage darstellt. Ausschlaggebend war die Reichstagsbrand-Serie des Spiegel 1959/60 durch den Verfassungsschutzbeamten Fritz Tobias und ihre wissenschaftliche Beglaubigung durch den damals jungen Historiker Hans Mommsen in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte 1964. Vorher hatte derselbe Mommsen als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) die ursprünglich vom IfZ selbst in Auftrag gegebene Publizierung der kritischen
izierung der kritischen Widerlegung der Thesen Tobias´ durch den Historiker Hans Schneider mitverhindert, weil die Veröffentlichung aus "allgemeinpolitischen Gründen unerwünscht" sei.Die unappetitliche Tatsache, dass das Tobias-Manuskript zum Reichstagsbrand betreut wurde durch den Spiegel-Mitarbeiter und früheren Pressechef im NS-Außenministerium, Paul Karl Schmidt, der später unter dem Pseudonym "Paul Carell" als Bestellerautor zum "Unternehmen Barbarossa" bekannt wurde, wiegelt der Spiegel bis heute als marginal ab. Tobias habe 1958 kurze Zeit mit Schmidt als Betreuer seines Manuskripts zu tun gehabt, sei sehr schnell unzufrieden gewesen und habe dann die Zusammenarbeit beendet. Das soll´s gewesen sein.Doch im Frühjahr 2006 kam Spiegel-Redakteur Klaus Wiegrefe in Erklärungsnöte, als er für ein Feature des Bayerischen Rundfunks (BR) zum Reichstagsbrand zur Rolle Schmidts beim Spiegel interviewt wurde. Seine dort getroffenen Aussagen wollte er nicht gesendet haben, sondern in einem zweiten Interview "nachbessern". Das lehnten die Autoren der BR-Hörfunksendung, Gerhard Brack und Tobias Hübner, ab und erklärten, dass Wiegrefe der Veröffentlichung seiner Aussagen "letztlich nicht zugestimmt" habe. Der Spiegel ließ diese Behauptung im Juni 2006 vom Landgericht Hamburg untersagen, da der Redakteur zur Nachbesserung seiner Aussage bereit gewesen sei. Gegen dieses Gerichtsurteil hat der BR im November Berufung eingelegt.Als in der gleichen Hörfunksendung des BR interviewter Biograf Schmidts kann ich die Erklärungsnöte des Spiegel-Redakteurs verstehen. Denn in meiner 2005 erschienenen Studie Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945 findet sich der Nachweis, dass Schmidt schon fast drei Jahre vor der eigentlichen Reichstagsbrandserie des Spiegel, am 16. Januar 1957, in der neunten Folge seiner Serie Ich bin ein Lump, Herr Staatsanwalt! die These vom Alleintäter van der Lubbe in eben diesem Nachrichtenmagazin vertrat. Dies wird belegt durch einen Brief von Fritz Tobias vom 14. März 1958 an einen Mitarbeiter der SPD-Parteizentrale in Bonn, die ihn vor dem Spiegel-Mitarbeiter Schmidt unter Hinweis auf dessen NS-Vergangenheit gewarnt hatte. Schon 1957 hatte Schmidt zentrale Argumente der Reichstagsbrandserie - für die er laut Aussage von Fritz Tobias vom 6. Juli 1961 vor dem Amtsgericht Hannover aus dessen Aufzeichnungen "ein Komprimat" hergestellt hat - vorweggenommen. Ein Beispiel: Der 1933 ermittelnde Kriminalkommissar und spätere Kronzeuge des Spiegel für die Alleintäterthese, Walter Zirpins, sei integer und glaubwürdig; dass Zirpins 1940 als SS-Obersturmbannführer und Kripochef von Lodz dort an Judenverfolgungen beteiligt war, kommt so wenige zur Sprache wie der Umstand, dass Zirpins an der Durchsetzung der Alleintäterschafts-These van der Lubbes ein elementares Interesse hatte, um sich selbst vor einem drohenden Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum "Justizmord" an van der Lubbe zu schützen. Nichtsdestotrotz wiederholte Spiegel-Redakteur Klaus Wiegrefe noch in der Juli-Ausgabe 2006 des ver.di-Magazins M, seine Auffassung, dass Schmidts "NS Vergangenheit nichts mit seiner Tätigkeit beim Bericht zum Reichstagsbrand zu tun" habe. Schon am 14. Juni 2006 hatte die Süddeutsche Zeitung in einem ganzseitigen Beitrag Ich hatt´ einen Kameraden Schmidts Engagement für die Spiegel-Darstellung des Reichstagsbrandes publik gemacht. Nachdem nun auch so unterschiedliche Printmedien wie die renommierte Historische Zeitschrift in ihrer Oktoberausgabe 2006 und das linke Magazin Konkret im November-Heft Schmidts Rolle beim Spiegel neu gewichten, wird sich deren leitender Redakteur für Zeitgeschichte, Klaus Wiegrefe, innovative Argumente einfallen lassen müssen.Am 30.1. 2007 um 18.30 Uhr findet im DGB-Haus in Stuttgart eine Veranstaltung zum Thema "Paul Carell. Vom NS-Propagandisten zum Bestsellerautor" mit Wigbert Benz statt.