Gestern startete Lance Armstrong im Südaustralischen Adelaide, einer 1,1-Millionen-Einwohner-Stadt am Saint-Vincent-Golf, in seine neue Etappe. Armstrong, inzwischen 37 Jahre alt, siebenmaliger Tour-de-France-Sieger, Mythos des Radsports, durch Doping-Vorwürfe entzauberter Held. Nun, vier Jahre nach dem Rückzug aus dem Profisport ist er wieder da, um am »Down Under Classics«-Rennen teilzunehmen, ein Rennen, das zwar zum Profisport zählt - aber noch nicht einmal Teil der »Tour Down Under« ist, die am Dienstag beginnt.
Armstrongs Legende: Die Supermaschine
Was soll das nun? fragt alle Welt. Armstrong langweilt sich, sagen die einen. Armstrong kämpft nun mit seiner Stiftung »Livestrong-Armee« gegen Krebs, sagen die anderen. Armstrong will auch wieder ersthaft Radfahren, lässt Armstrong selbst verlauten und kündigt an, an der nächsten Tour de France mit zu fahren. Aber was treibt Armstrong wirklich? Und was ist so faszinierend an diesem merkwürdigen Comeback? Was Amstrong treibt und was seine Faszination ausmacht, liegt eng beeinander.
Armstrongs Legende ist die eines Sporthelden schlechthin. Als Sohn einer zunächst alleinerziehenen Mutter, dann mit einem gewalttätigen Stiefvater, flüchtet sich Armstrong als Kind in den Leistungssport, wo er überaus erfolgreich ist - und der Sport erfüllt seinen edelsten Zweck: den Drangsalierten, Geschundenen emporzuheben; indem der Sportler den elenden Körper besiegt, erhebt er sich selbst. Besiegt das Leid. Dass Armstrong sich von nun an peu a´peu zur Siegmaschine entwickelt, weckt Beifall - und irgendwann auch Zweifel.
Die Dopinggerüchte
Bei der Tour de France 1993 gewinnt er eine Etappe, wird mit 22 Jahren als jüngster Fahrer aller Zeiten in Oslo Profi-Straßenweltmeister, gewinnt 1995 wieder eine Etappe der Tour de France. Dann siegt Armstrong über seinen Hodenkrebs. Dann kehrt er, unbezwungen, in den Radsport zurück und gewinnt ´99 die Tour de France. Und dann kommt er aus dem Gewinnen gar nicht mehr heraus. Gewinnt nicht nur eine um die andere Toeur re France, sondern auch den Rekord im mehrfachen Tour-de-France-Gewinnen. Er ist für rücksichtsloses Trainig berühmt. Er besiegt die Natur, die ihn nach dem Krebsleiden zeugungsunfähig gemacht hat - und zeugt im Reagenzglas zwei Kinder.
Und dann? Ein Dopingskandal. Das ist tragisch, weil Lance Armstrong, so wie seine Geschichte als Sportheld angelegt ist, eigentlich aus eigener Kraft, gegen jede Chance, stets auf´s Neue den schwachen Körper besiegen müsste. Es wundert nicht, dass Armstrong gestern auf die Frage, ob er sich schon einmal Gedanken über die moralischen und wirtschaftlichen Folgen von Doping gemacht habe, mit einem überraschend festen »Nein« antwortet. - Wirklich nicht? - Nein. Denn Lance Armstrong, der dopt, ist natürlich vorstellbar – wie sonst wären die erwarteten Leistungen zu erbringen? Aber Lance Arm-strong, der sich mit diesem Makel arrangiert – undenkbar. Ebenso unmöglich ist es, dass Armstrong sich auf die Dauer mit einem Frühpensionärsleben arrangiert. Deshalb ist er wieder da. Und ist wieder Held, unbeirrt.
Und für den Fall, dass der Mythos des Armstrong, der die leidende morsche Natur bezwingt, im diskreditierten Radsport nicht mehr aufrecht zu erhalten ist – kämpft Lance Armstrong vorsichtshalber auf einem anderen Gleis in der derselben Sache: „Ich komme stellvertretend für acht Millionen Menschen, die dieses Jahr auf dieser Welt an Krebs sterben werden“, doziert Armstrong in der aktuellen Ausgabe des amerikanischen Outside-Magazins. Und man sieht ihn vor sich, wie er das hagere Gesicht, das fast nie entspannt aussieht, ins Profil rückt. Held bleiben. Weitersiegen.
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