Kämpfen und Shoppen

Kino Das 19. Filmfestival Cottbus: Selten war auf Festivalleinwänden so viel Militär zu sehen

Auf einem Lastwagen werden Männer zur Liquidierung angeliefert. In der Entfernung wirken sie nicht wie „Terroristen“, eher wie unschuldige Bauern. Der Neue weigert sich anfangs, an den Erschießungen teilzunehmen. Später schießt er dann doch. Die Kamera registriert das fast wortlose Geschehen in langen Einstellungen aus nüchterner Distanz; die Parabel eines Kriegsverbrechens. Der Debütspielfilm des 33-jährigen Serben Vladimir Perivic Ordinary People (Foto) verdiente sich den Hauptpreis des mit 140 Beiträgen wieder gewachsenen 19. Festivals des osteuropäischen Films Cottbus, Hauptdarsteller Relja Popovic den Spezialpreis für einen herausragenden Schauspieler. Coproduzenten waren Frankreich und die Schweiz, nicht die einzige Ost-West-Partnerschaft, die seit elf Jahren das Treffen „Connecting Cottbus“ anbahnen hilft. Selten war auf Festivalleinwänden soviel Militär zu sehen. Stilistisch ähnlich führt der mit einem Regiepreis ex aequo und dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnete Wettbewerbsbeitrag CRNCI (Die Schwarzen) von Goran Devic eine Eliteeinheit am Ende des Krieges 1995 vor.

Und immer wieder finden sich Freiwillige, die sich widerspruchslos unmenschlichem Drill unterwerfen, wie in dem georgischen Film Utsnobi Jariskatsebi (Unbekannte Soldaten) von Shalva Shengeli, der im Fokus „Neues Kino vom Schwarzen Meer“ lief. Der bisher teuersten estnische Film Desembrikuumus (Dezemberhitze) von Asko Kase blendet zurück in den November 1924, als ein kommunistischer Putsch gegen die junge Republik scheiterte. Nach bewährtem Strickmuster politischer Propagandafilme stehen sich da die sowjetisch gesteuerten bösen Roten und die Verteidiger der Hauptstadt Tallin gegenüber. Mehrfach spielte das Thema Migration eine Rolle. Gespiegelt im Schicksal zweier ungleicher Schwestern aus der Slowakei in Dublin fand es in Mira Fornays Listicky (Kleine Füchse) Anerkennung mit dem Dialog-Preis für die Verständigung zwischen den Kulturen. Die Qualität des neuen kasachischen Kinos bewies erneut Ermek Tursunov mit seinem Spielfilmdebut Kelin, Rückblick, auf eine archaische Nomadenkultur in der Schneelandschaft des Altai-Gebirges. Ohne Dialoge, nur mit Naturgeräuschen, Freude und Schmerz ausdrückenden Lauten der Protagonisten, sparsam von Musik akzentuiert, war dies ein ästhetischer Höhepunkt des Programms.

Einen Kontrast lieferte der als bester Debutfilm ausgezeichnete polnische Wettbewerbsbeitrag Galeriaki (Shopping Girls) von Katarzyna Roslawiec: Einblicke in die Welt Warschauer Jugendlicher, denen es nur um Sex, teure Klamotten und neueste Handys geht, wofür das Geld auch mal durch Blow Jobs angeschafft wird. Der Dominanz des produktionsstärksten russischen Kinos wurde wieder mit einem eigenen Russischen Tag Rechnung getragen. „Cottbus ist zum Nabel der deutsch-russischen Filmbeziehungen geworden“, urteilte die Geschäftsführerin von Medienboard Berlin-Brandenburg Kirsten Niehuus. Ein „Förderverein Deutsch-Russische Filmakademie“ mit Sitz in Cottbus soll die Zusammenarbeit in Ausbildung, Produktion und Finanzierung von Filmen stärken. Mit dem Botschafter Wladimir Kotenew wurde das Voranbringen eines deutsch-russischen Filmabkommens verabredet, Größter Erfolg des Festivals waren aber die 19.000 Besuher in vielfach ausverkauften Vorführungen. Beweis für ein Publikumsinteresse am osteuropäischen Film, den das Angebot in unserem Kinoalltag immer noch ignoriert.

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