Kann Joko die „GQ“ retten?

Männer Die Printkrise erfasst vor allem Zeitungen, manche Magazine hingegen boomen regelrecht. Eine Zielgruppe wird aber nicht abgeholt
Ausgabe 06/2020
Ganz qualvoll – siecht die traditionelle Männlichkeit dahin
Ganz qualvoll – siecht die traditionelle Männlichkeit dahin

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Joko Winterscheidt ist jetzt Chief Curiosity Officer, Neugierigkeitschef in Sachen Männlichkeit, beim Männermagazin GQ. Man(n) solle sich auf was gefasst machen, heißt es im dazu-gehörigen Werbespot. Nachdem Winterscheidts Personality-Magazin JWD („Joko Winterscheidts Druckerzeugnis“) mit viel Tamtam unter dem Dach des Stern an den Start gegangen ist und ziemlich bald wieder verschwunden war, wechselt er nun vom Verlag Gruner + Jahr zum Medienunternehmen Condé Nast Germany und macht da … ja, was eigentlich?

Eine Kulturgeschichte der Lederjacke, einen Besuch im Puppenbordell und eine Witzeseite für Thirtysomethings hat Winterscheidt mit JWD schon in Heftform gebracht. Dieses Format sollte ihn, nach eigenen Angaben, „zur Rente tragen“. Stattdessen nun, mit Anfang vierzig, ein Neuanfang mit der altehrwürdigen GQ (Jahrgang 1957, seit 1997 in Deutschland). Sich darüber ein paar spitze Gehässigkeiten auszudenken, wäre so einfach wie amüsant. Allein am Jobtitel ließen sich Dutzende Messer wetzen. Es wäre auch belanglos, weil Winterscheidt genau genommen nichts falsch gemacht hat. Personality-Hefte liegen im Trend, und seine JWD hatte sich nach 70.000 verkauften Erstausgaben zuletzt bei 50.000 Exemplaren eingependelt. Zum Vergleich: GQ liegt bei knapp 80.000 verkauften Exemplaren und ist immer noch dabei, ihre jährliche Ausgabenzahl zu reduzieren. Es ist also nicht so, dass Neugierigkeitsjoko jetzt vom Amateurheftchen zu den Profis gewechselt wäre. Er hat das Feld der Männermagazine nur zu einem Zeitpunkt betreten, an dem es von einem doppelten Niedergang geprägt ist. Das betrifft zum einen die ganze Printbranche. Die Auflage der Brigitte ist in den letzten 20 Jahren um 63 Prozent gesunken. Zielgruppenhefte wie Wired (Computer), Nido (Familie) und Spex (Pop) wurden eingestellt. Magazine gehören zu den vielen Dingen, die angeblich von den ach so gemeinen Millennials getötet wurden, so wie Kabelfernsehen, Light-Joghurt und Juweliere. Andererseits: Die Brigitte hat immer noch eine Auflage von knapp 350.000 und bei der Personality-Schwester Barbara (Schöneberger) wurde die Startauflage von 250.000 wegen hoher Nachfrage sogar aufgestockt. Die Zielgruppe für Männermagazine ist nicht annähernd so groß wie die ihrer weiblichen Pendants. Sie wird immer schwieriger zu erreichen, weil sie nicht genau weiß, was sie will, beziehungsweise wollen soll. Was ist der neue Mann? Was konsumiert er, wie liebt er, wo fühlt er sich zu Hause? Scheinbar weiß das niemand so genau.

Gerade wurde der sehr lesenswerte Roman Nix passiert der Autorin Kathrin Weßling in der Zeit verrissen, weil sich die Kritikerin nicht sicher war, ob Männer sich wirklich so verhalten wie im Buch geschildert. Der Protagonist sei ein Mann, „ohne so richtig Mann zu sein“. Diese Formulierung fasst die Zielgruppenkrise von Männermagazinen gut zusammen. Sie können nicht mehr zurück und trauen sich zugleich nicht nach vorne. Wer hat schon Lust auf ein Heft zu einem solch diffusen Gefühl? Auf seitenweise Verunsicherung und publizistisches Pfeifen im Walde?

Männermagazine sind die SPD der Printlandschaft. Genau jetzt wäre die Zeit, etwas zu riskieren. Aber es wird dann doch nur wieder Große Koalition mit dem, was man irgendwie für einen „richtigen Mann“ hält, aus Angst, am Leser vorbeizuschreiben. Ich hätte Lust auf mehr. Mehr Risiko, mehr Gefühl, mehr Vielfalt. Gerne auch mehr Streit. Doppelseite, zwei Autoren. Linke Seite: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ Rechte Seite: „Hättest du mal besser die Fresse gehalten.“ Falls Joko keinen Bock mehr hat, sollte ich mich vielleicht als Chief Curiosity Officer bei GQ bewerben.

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