Kanossa

Linksbündig Ein »frischgebackener / frisch gebackener« Kompromissvorschlag der Darmstädter Akademie zur Wiederherstellung des Rechtschreibfriedens

Zu den peinlichsten Kraftakten deutschen Dichterwesens gehört der legendäre Kampf-Kongress aus dem Jahr 1973, auf dem sich der Verband deutscher Schriftsteller (VdS), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und das deutsche PEN-Zentrum zu einem gnadenlos kulturrevolutionären Projekt zusammen fanden. Das Motto dieser Tagung: »vernünftiger schreiben«! In branchenüblichem Größenwahn entlarvte man damals alle Kritiker der Kleinschreibung als »ewig-gestrige« mit »analem zwangscharakter«, die am »rohrstockersatz« Rechtschreibung festhalten wollten. Auf der Tagesordnung stand der Umsturz der orthographischen Verhältnisse: »Die reaktionäre großschreibung fällt nicht, wenn wir sie nicht niederschlagen!«

Für das schnelle »Niederschlagen« sprachpolitischer Direktiven fühlen sich unsere Dichter noch heute zuständig. Der von dem Weilheimer Gymnasiallehrer Friedrich Denk im Oktober 1996 angezettelte Volksaufstand gegen die Rechtschreibreform ist hier noch in unguter Erinnerung. Die mentalen Spätfolgen dieser Empörungs-Kampagne sind nun in einer »Denkschrift« des Dichters Reiner Kunze über »die Aura der Wörter« (Radius-Verlag) und in einer orthographiekritischen Studie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Wallstein Verlag) zu besichtigen. In seiner »Denkschrift« artikuliert Kunze sein fortdauerndes Unbehagen an der neuen Rechtschreibung und wittert in der staatlichen Regelung sogar den Hauch des »Totalitären«. Dass die semantische Differenz von »eine Handvoll« und »eine Hand voll« orthographisch nicht mehr sichtbar gemacht werden kann, ist für Kunze ganz offenkundig ein Vorzeichen für den Untergang des Abendlandes.

Der neue »Kompromißvorschlag« der Akademie überrascht dagegen durch den gedämpften Ton, in dem hier die vormals Empörten eine »allseits annehmbare Lösung« offerieren. Noch auf der vergangenen Herbsttagung der Akademie hatte deren Präsident Christian Meier mit der heroischen »Kampf«-Bereitschaft des selbst ernannten Sprachpflegers geprahlt, als gelte es, einen orthographischen Bürgerkrieg zu entfesseln. Die martialischen Töne sind nun in der Akademie-Studie plötzlich verschwunden, stattdessen bemüht man sich um die »Wiederherstellung des ›Rechtschreibfriedens‹«. Der Vorschlag der Akademie, so heißt es in ungewohnter Milde, geht »von der Neuregelung aus und übernimmt von ihr nicht nur, was sinnvoll, sondern auch, was ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar ist«. Das neue Regelwerk enthalte - siehe da! - »einige durchaus brauchbare Ansätze«. Wer den Vorschlag der Akademie mitsamt der beigefügten »Wörterliste« genau studiert, wird sehr schnell feststellen, dass der hysterische Alarmismus der vergangenen Jahre abgeflaut ist. Stattdessen hat sich ein vernünftiger Pragmatismus durchgesetzt, der Varianten in beträchtlicher Zahl zulassen will. Besonders bei den in der Neuregelung stark vermehrten Getrenntschreibungen gibt sich die Akademie großzügig. Man darf sich, so der »Kompromißvorschlag«, wahlweise »auseinander setzen« oder »auseinandersetzen«, obwohl man sich nicht unbedingt räumlich auseinander setzt, wenn man sich »auseinandersetzt«. Man darf als »frischgebackenes« oder »frisch gebackenes« Hochzeitspaar glücklich werden, selbst die Wahl zwischen »Delphin« und »Delfin« und sogar die zwischen »Grizzlybär« oder »Grislibär« wird frei gestellt. Obwohl der grammatische Purist eigentlich auf »Grisslibär« beharren müsste, ist doch das erste i kurz und damit eine Konsonantendoppelung geboten.

Zu energischen Rettungsaktionen rafft man sich nur beim beliebten »Quentchen« oder beim »Glimmstengel« auf, die gegen das unbeliebte »Quäntchen« und gegen den »Stängel« verteidigt werden. So darf nun gestaunt werden über den erstaunlichen Pluralismus einer Akademie, die sich vor einiger Zeit noch als böse polemisierender Gralshüter der alten Orthographie exponierte. Nach langen Jahren hysterischen Gefuchtels gegen die Rechtschreibreform hat man sich in Darmstadt klammheimlich zu einem »Kanossagang« entschlossen. Oder - nach alter Schule - zu einem »Canossagang.«

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