Kanzler Aalglatt

Österreich Mit „Salonfähig“ legt Elias Hirschl den Schlüsselroman zur Kurz-Ära vor
Ausgabe 43/2021

Die Lektüre von Elias Hirschls Roman Salonfähig bescherte nicht nur wegen seiner literarischen Qualitäten großes Vergnügen, sondern auch wegen der zeitgleich stattfindenden Entzauberung und Demontage der österreichischen Kanzlerschaft. Während im Roman ein nur notdürftig verschleierter Sebastian Kurz zum aalglatten Kanzler gekürt wird, überholte die Realität die Geschehnisse zwischen den Buchdeckeln: Der ÖVP-Politiker fiel dem Müllhaufen der Geschichte anheim. Ganz bestimmt kann Salonfähig als Schlüsselroman dieser Ära gelten.

Dabei bedient sich Elias Hirschl, der in Wien auch als Poetry-Slammer wirkt, bei einem anderen großen Chronisten einer Zeitenwende: Dem seinerzeit hochumstrittenen Bret Easton Ellis, der mit American Psycho eine so verstörende wie gültige Beschreibung einer in den Neoliberalismus gleitenden Gesellschaft in den 1980er Jahren lieferte. Auch Hirschl versteht es, die Marken der diversesten Konsumgüter im flüssig rhythmisierten Stakkato aneinanderzureihen, bis dass wahre Litaneien des Materialismus erklingen. Mit dieser Sprache werden Kaffeemaschinen zu Waffen und Urinbeutel oder Katheter zu begehrten Markenartikeln.

Ebenfalls zelebriert Hirschl die Entgrenzung zwischen Traum und Realität, bereichert als Wiener diese jedoch noch mit psychoanalytischem Lokalkolorit. So frequentiert der immer weniger namenlose Ich-Erzähler neben dem Rhetorik-Coach auch eine Psychotherapeutin, schreibt seine Träume sorgsam in ein Büchlein, versucht diese sogar autosuggestiv zu optimieren und begibt sich ganz allgemein auf das eisglatte Spielfeld von Übertragung und Projektion.

Das beginnt so eindringlich und gleichzeitig krankhaft, dass schon nach wenigen Seiten die Frage im Raum steht, inwieweit sich das lesende Ich denn nun in die Hirnwindungen dieses offenkundig schwer gestörten Ich-Erzählers hineinversetzen will. Doch der Sog zieht einen mit, und plötzlich werden die Slim-Fit-Anzüge, der korrekte Haaransatz, die wohldosierte Gestik beim Sprechen und Lächeln, die Konsistenz von Haargel und Espresso für das immer schneller die Seiten umblätternde Ich genauso elementar wie für den Verlorenen, der davon erzählt. Wir befinden uns dabei im Dunstkreis des Kanzlerkandidaten Julius Varga, verfolgen dessen Inthronisierung als jüngster Kanzler Österreichs, erleben dessen glühende Verehrung durch die Hauptfigur und rutschen dann immer tiefer in ein Geflecht aus verschütteten Traumata. Schließlich erleben wir, wie buchstäblich unter Eis liegende und in der Luft schwebende Dämonen geweckt werden.

Hirschl gelingt es dabei fast nebenbei, das Psychogramm einer ganzen Generation zu zeichnen. Übersatt von Eindrücken und Möglichkeiten, verloren in einer Indifferenz, in der etwa Punk und Rechtsrock keine Unterschiede mehr markieren, dem Rausch ebenso zugewandt wie der kalten Intrige, konform bis ins Mark, aber dabei verzweifelt bis in die Haarspitzen. Das nach Salonfähigkeit gierende Personal in diesem Roman erinnert dunkel an die vielen jungen Menschen, denen in Deutschland jüngst nichts Besseres eingefallen ist, als ihr erstes Wahlkreuz bei der FDP zu machen. Umflort von einem diesigen Gefühl, dass das wohl Sinn macht, wenn es darum geht, die Besitzstandswahrung (von was auch immer) zu sichern.

Schon auf den ersten Seiten macht Hirschl jedoch klar, dass es so einfach nicht werden wird. Und mit der messerscharfen Klarheit, mit der hier die Dysfunktionalität dieses auf Anpassung und Systemkonformität fußenden Lebensstils beschrieben wird, reiht der Autor sich nahtlos ein in die anderen großen österreichischen Erzähler gesellschaftlicher Zeitkritik, von Thomas Bernhard über Elfriede Jelinek bis zu Michael Haneke.

Info

Salonfähig Elias Hirschl Zsolnay 2021, 256 S., 22 €

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Geschrieben von

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