Kapitulation

Wendeästhetik Nach der Frankfurter Oberbürgermeisterwahl winken bleierne Zeiten

Die Umfragewerte bei der Frankfurter Oberbürgermeisterwahl am kommenden Sonntag sind derart eindeutig, dass sie allen, die nicht gegen die Amtsinhaberin und wohl auch künftigen Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) kandidierten, recht zu geben scheinen: 75 Prozent für Roth gegenüber 21 Prozent für den sozialdemokratischen Herausforderer Franz Frey, das ist im einstmals roten Frankfurt schon von kulturrevolutionärer Eindeutigkeit. Dass ein Oberbürgermeister voraussichtlich über drei Amtsperioden (also über 18 Jahre) hinweg die Geschicke der größten Stadt Hessens leiten wird, hat es seit dem zweiten Weltkrieg noch nicht gegeben und verweist auf einen soziokulturellen Umbruch, der nicht nur in der Weigerung der Grünen, einen Gegenkandidaten zu Petra Roth aufzustellen, beredten Ausdruck findet. Und dies, obschon die Frankfurter Grünen sehr wohl über das Personal verfügen, das der Amtsinhaberin samt ihrem Amtsbonus Paroli bieten könnte. Da unterscheiden sie sich von der Frankfurter SPD, die ihren künftigen Weg wohl in dem Wiesbadener Beitrag zur Strategie und Taktik der internationalen Sozialdemokratie vorgezeichnet findet: einfach vergessen, einen Oberbürgermeisterkandidaten beim Wahlvorstand anzumelden.

Eine bleierne Zeit wird sich über diese Stadt senken, die in dieser Konstellation das Gegenteil von freier Wahl hat. Und die Butzenscheibenseligkeit, mit der allen Ernstes die Frankfurter Altstadt wieder errichtet werden soll (durchgesetzt von der gleichen politischen Kraft, von der die Stadt durch Jahrzehnte hindurch "autogerecht" durchgestylt worden ist) ist nicht allein Ausdruck einer Frankfurter Wendeästhetik, die vom der Opernprogramm bis zur Schwimmbadarchitektur reicht: dort werden inzwischen die Kassenhäuschen in Form von Almhütten gebaut. Diese bleierne Zeit einer schwarz-grünen Koalition, unterstützt von denen, die sich liberal nennen, markiert auch das, was man als die sozio-kulturelle Kapitulation einer ganzen Generation bezeichnen könnte.

Von den Vorstellungen einer Kommunalpolitik für und mit den Betroffenen blieb nichts als jener rückwärts gewandte Traum, man müsse nur die alten Bauformen neu errichten, um wieder städtischen Zusammenhalt zu finden, wie er in der Vorkriegsära angeblich geherrscht habe. Aber in der Wirklichkeit wird im Frankfurter Rathaus, dem Römer (und nicht nur dort), Schritt für Schritt reale Souveränität der gewählten Repräsentanten des Volkes an Investoren preisgegeben.

Denn es ist nicht nur eine Frage der Ökonomie, wenn man, um der Schuldenfalle zu entgehen, Kernbereiche der bürgerlicher Öffentlichkeit (etwa Schulen oder öffentlicher Nahverkehr) an private "Partner" vergibt. Was im Fall des Verkaufs der U-Bahn gerade noch durch den Protest der Bürger verhindert werden konnte, ist im Bereich der Schulen längst Alltag. Mit dem Ergebnis, dass ganze Schülergenerationen ihre schulische Karriere als staubiges Provisorium in Containern oder als ungeliebte Mitbenutzer benachbarter Schulen erleben. Aber steht nicht schon in der Bibel: Wir sind nichts als flüchtige Gäste auf dieser Welt? Warum da den Eindruck erwecken, willkommen zu sein?

Diese Politik, öffentliche Aufgaben und damit Verantwortlichkeiten an private Investoren zu übertragen (im Wahlkampf nur von Ulrich Wilken, dem Kandidaten der Linkspartei, prinzipiell kritisiert) bedeutet eine Verschiebung der politischen Kultur, die sich nicht erst zeigt, wenn der zuständige Denkmalpfleger den Denkmalschutz eines Bauwerkes aufhebt, sobald der Investor ihn darum bittet. Dies ist beim Abriss des Zürich-Hauses geschehen, dem ersten Frankfurter Wolkenkratzer, einem wunderbaren Beispiel, wie moderne Architektur aussehen könnte. Was stattdessen und parallel zur Rothenburgisierung der Frankfurter Altstadt vonstatten geht, ist eine merkwürdig konventionelle Übertrumpfungsarchitektur der privaten Investoren.

Die Preisgabe städtischer Aufgaben ist darüber hinaus eine Form des Abbaus öffentlicher Gestaltungskraft, die an die Wurzeln der städtischen Kultur des Abendlandes rührt:, an die Tradition, sich als Bürger über die Zukunft der Stadt, über die Richtung der Stadtentwicklung ins Einvernehmen setzen zu können. Und so verschwindet in der nahezu kritiklosen Zusammenarbeit der Grünen mit der christdemokratischen Oberbürgermeisterin jene Hoffnung auf zunehmende Beteiligung der Betroffenen an ihrem öffentlichen Geschick, für die die Jahreszahl ´68 auch ein Kürzel war.


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