Also, das war so: Vor ein paar Jahren machten sich die beiden Schriftsteller Jens Sparschuh, damals so um die fünfzig Jahre, und Sten Nadolny, bereits in den Sechzigern, zu einer Klettertour in die Sächsische Schweiz auf. Da der Heimweg etwas mühsam war, gab die Verschnaufpause Gelegenheit zu einem „verklärenden Rückblick“: „Früher, da hätte ich diesen kleinen Abstieg spielend geschafft...“ Und schon waren die beiden Freunde mittendrin in einem Gespräch über eine Zeit, die sie nach eigenem Bekunden immer wieder einholt – ihre militärische Ost- und Westvergangenheit: Sparschuh 1981 bei der NVA, Nadolny ab 1961 für zwei Jahre bei der Bundeswehr. „Gedient? Wenn ja, wo? Wie lange? Welche Einheit?“
0; Ein Männergespräch hoch oben auf irgendeinem Sandsteinplateau.Eigentlich nicht der Rede wert, aber das Veteranengeplänkel fand seine Fortsetzung in einem gemeinsamen Buch: Putz- und Flickstunde. Zwei kalte Krieger erinnern sich. In den hier dokumentierten Gesprächen – unterbrochen durch jeweils eine dem Thema angepasste Kurzgeschichte – werden die beiden Altgedienten nicht müde, auf die autobiografische Nachhaltigkeit ihres Themas zu verweisen. So spricht Sparschuh, der in Moskau studierte und deshalb anschließend nur kurz zum Reservistendienst in die NVA eingezogen wurde, von seiner Militärzeit als „fast Karambolage mit dem Leben“. In der DDR sei die Armee als Repressionsmittel benutzt worden – und überhaupt habe einem der Kasernenalltag des Ostens eine „existenzielle Urerfahrung des Ausgeliefertseins“ beschert.Vögel im GeländeNadolny, der sich beim „Bund“ für zwei Jahre verpflichtete, betont den Demokratisierungsprozess in der Bundeswehr, spricht aber ebenfalls von lebensprägenden und eher negativen Erfahrungen. So richtig glauben mag man beiden nicht. Damit nicht genug. Erinnerungsselig und geradezu in Kontrast zu den behaupteten Traumata durchforsten sie ein militärisches Alltagsgelände nach dem anderen. Wenn von Kasernierung und sexuellen Nöten, von Zwitschern der Vögel im Gelände, von der Sinnlosigkeit mancher Befehle und Reinigungsrituale und ihrem gemeinsamen Faible für Ordnung und Schießübungen die Rede ist, dann befinden sie sich mit so manchem Veteranen-Stammtisch durchaus auf Augenhöhe.Dabei tippen Sparschuh und Nadolny immer wieder Themen an, die einer tieferen Erörterung wert gewesen wären. Nadolny beispielsweise sagt, die auszubildenden Soldaten seiner Generation hätten sich in der Bundeswehr als „spät geborene Widerstandskämpfer gegen Hitler“ gefühlt. Trotzdem habe er selbst zur Anpassung geneigt. Dann die Überlegung, wie nahtlos doch nach der Wende die NVA in der Bundeswehr aufgegangen sei. Und der vielleicht interessanteste Punkt: Wie hat sich die Soldatenzeit eigentlich in der Literatur und in ihrem eigenen Erzählen niederschlagen?Aber auch diese guten Ansätze zweier renommierter Autoren verplätschern im Belanglosen. Immerhin erspart einem Sparschuh auf Seite 187 jedes weitere Resümee: „Mir ist aufgefallen, dass wir beide, die wir sonst zu einer gewissen Eloquenz neigen, im Hinblick auf die Armee manchmal von Nachwehen einer gewissen Sprachlosigkeit heimgesucht werden.“ Wohl wahr! Aber warum dann das Buch?Auch die Autorin Claudia Rusch begibt sich in Aufbau Ost, ihrem zweiten Buch nach ihrem 2003 erschienenen Bestseller Meine freie deutsche Jugend (Freitag 37/2003), auf Erinnerungsreise – und das durchaus im buchstäblichen Sinne. Die 1971 auf Rügen geborene Autorin war in den 15 ehemaligen DDR-Bezirken unterwegs – mit geschärften Sinnen für die vielen kleinen und großen Anhaltspunkte des Wandels, für die Krisen und die Kuriosa, die Versuche der Selbstbehauptung und die Anzeichen geglückter Vereinigung von Ost und West.Ein Streifzug dieser Art kann sich schnell in thematischer Beliebigkeit verlieren oder Vergangenes in seiner heutigen Bedeutung schlichtweg überschätzen. Auch Ruschs Buch ist davon nicht frei. Wenn sie beispielsweise die Übernahme des ostdeutschen Ampelmännchens ins gesamtdeutsche Verkehrszeichen-Repertoire als „Symbol für die eigene Identität“ und sogar als „Symbol von Miteinander“ hochstilisiert, so ist das wenig überzeugend. Auch der Streifzug durch das thüringische Kahla, einst Produktionsstätte des ostdeutschen Bürgel-Geschirrs, bietet kaum Erkenntnisgewinn, wenn Rusch feststellt, dass die Stadt heute fast ausgestorben sei.Diesen eher belanglosen Geschichten stehen Miniaturen von gelungener literarischer Qualität gegenüber. Großartig die Schilderung eines Tagesausflugs nach Halle. Mit ihren Eltern durchstreift die Autorin die mittlerweile sanierte Plattenbausiedlung der ehemaligen Chemiearbeiter-Stadt in der Erwartung von anhaltender Ödnis – und ist begeistert. Städtebaulicher Wandel, Milieuschilderungen, die eigene Loslösung von Vorurteilen und die Annäherung an eine neue Realität auf ostdeutschen Boden – das alles verbindet sich in dieser Geschichte auf leichte und kenntnisreiche Weise.Die letzten StundenAuch wenn das Niveau in der Rusch’schen Geschichtensammlung schwankt, so ist ihnen doch allen eine große Ernsthaftigkeit eingeschrieben und der Wille spürbar, sich nicht blenden zu lassen von Klischees, politischem Alltagsgerede und nostalgischen Geschwätz. Den kritischen Blick hinter die Fassaden hat sie sich während einer langen Recherche erworben. Ruschs Großvater starb 1967 im Alter von 42 Jahren in einer Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit. Die Enkelin ließ nicht locker und konnte mit ihren Nachforschungen zumindest ein wenig Licht in die jahrzehntelang verdunkelten letzten Stunden seines Lebens bringen.Diese bewegende Geschichte steht am Anfang des Buches und überragt alle anderen. Nach Ruschs Worten markiert diese Spurensuche den Beginn ihrer Schriftsteller-Existenz – und ihrem Buch Aufbau Ost verleiht die Erinnerung daran einen glaubwürdigen Rahmen.