Karnevaleskes Gezappel

Was läuft Über Amazons am Technogeist vorbeischlagende deutsche Serie „Beat“. Spoiler-Anteil: 33,3%
Ausgabe 02/2019

Im Technoclub ist die Welt noch in Ordnung. Wer sich mal ausklinken will, Eskapismus sucht, der wird im Club fündig, wenn der Mann oder die Frau hinter dem DJ-Pult ihr Handwerk verstehen. Da kann man allen weltlichen Kram, alle Ängste und Sorgen gleich zusammen mit der Jacke an der Garderobe abgeben. Und tschüss, zumindest für die nächsten paar Stunden. Oder wie Weltstar-DJ Ricardo Villalobos die Club-Philosophie in Romuald Karmakars sympathischer und informativer Technodokumentation Denk ich an Deutschland in der Nacht zusammenfasst: Er spricht vom gleichbleibenden Beat als dem niedrigsten Wert, bei dem sich die „Party als Wertegemeinschaft“ trifft.

Mit dem Beat steht und fällt alles. Wer mal in einem Club war, weiß das. Dass nun die zweite hauseigenene deutsche Serie von Amazons Streaming-Plattform Prime Video Beat heißt, dabei allerdings (gewollt oder ungewollt?) mit ihrer weitverzweigten, wendungsreichen Handlung den Anschein erweckt, dass der Zeremonienmeister die Kontrolle über die Regler am Mischpult verliert, ist amüsant. Oder genial? Hatte Regisseur und Ideengeber Marco Kreuzpaintner etwa tastächlich eine Metaserie über Technomusik im Sinn? Die Titel der einzelnen Folgen der siebenteiligen Serie greifen entsprechend anspielungsreiche musikalische Termini auf – BEAT, POP, BPM, LOOP, BACKSPIN, DROP und CODA –; aber ist das dann schon Meta?

Zumal die Handlung wie das audiovisuelle Äquivalent zum „Shepard’s Tone“ wirkt, einer im Techno gerne verbastelten akustischen Täuschung, bei der die Tonhöhe unendlich auf- oder abzusteigen scheint. Denn bei Beat geht es, zumindest gefühlt, gleich ins Unermessliche. Was mit dem Rausch des dauerkoksenden Club-Promoters Robert Schlag alias Beat (Jannis Niewöhner) und ein paar im fiktiven Berliner Club Sonar von der Decke hängenden Leichen beginnt, entwickelt sich zu einem reißerischen Thriller um Agenten des Europäischen Geheimdienstes ESI, um Organhändler, Flüchtlinge und fiese, wodkatrinkende Russen.

Allerallerspätestens, wenn da auch noch ein Bezug zur RAF hergestellt wird, ist klar: Diese Serie muss als kleines Kind in den Abstrusitäten-Topf gefallen sein! Wie verrückt kann die Geschichte mit ihren Klischeefiguren noch werden? Darin steckt so etwas wie der Motor, wenn man so will.

Niewöhner spielt seinen im Zentrum stehenden Druffi sympathisch und ist, im Vergleich zum restlichen Personal, noch die glaubwürdigste Figur. Einen unterhaltsamen Antipol gibt Kostja Ullmann als durchgeknallter Hobby-Pathologe, der gerne mit Leichenteilen spielt und mit leitmotivisch eingesetztem klassischen Schlager für Angst und Schrecken sorgt. Eine überdrehte Neuauflage von Peter Lorre als Mörder in Fritz Langs M?

Dazwischen gibt es viele übertriebene Genre-Versatzstücke. Die ESI-Ermittler bilden eine Art Abziehfigur eines Geheimdiensts, inklusive bekannter Hackordnungs-Diskussionen und Karoline Herfurth als Beat-Versteherin Emilia. Die Beamten wollen den im Hedonismus gestrandeten jungen Mann, der natürlich eine schwere Kindheit hatte, als Undercoveragenten einsetzen und locken mit Informationen über seine Eltern. Den obligatorischen Oberfiesling gibt Alexander Fehling, dem als reicher Schurkenschnösel Philipp Vossberg quasi permanent das „Obacht, ich bin bös!“ auf der Stirn steht. Er kauft sich in den Club ein und philosophiert gern mit kaltem Gesichtsausdruck über die menschliche Natur: „Ich glaub daran, dass wir uns alle benutzen. Das ist der Mensch.“ Ironieblick an und durch; so kann man sich bei Beat sicherlich unterhalten fühlen.

In dieser künstlich völlig überhöhten Szenerie so etwas wie Realismus zu entdecken, wie das in Besprechungen tatsächlich gemacht wurde, ist, gelinde gesagt, starker Tobak. Gelobt wurde der authentische Blick in das Berliner Clubleben und die Technoszene. Dieses quietschbunte, karnevaleske Gezappel, das zudem lediglich als Aufhänger für eine gute alte Krimigeschichte dient? Nicht wirklich. Und mal ehrlich: Den Titeltrack von DJ Marcel Dettmann überspringt doch ohnehin fast jeder.

Dass die Welt brennt und es viel Böses gibt, ist klar und auf jeden Fall furchtbar. Aber wer davor mal kurz abhauen möchte, sollte lieber selbst in einen Club gehen und sich dem richtigen Beat hingeben. Im Ernst!

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