Karre steht still

City-Maut In London ist durch die tägliche Gebühr die Verkehrsbelastung abgemildert worden, doch die Missstände im öffentlichen Nahverkehr bestehen weiter

April 2005. In Deutschland beginnt zögerlich der Sommer, und Feinstaub ist in aller Munde und Nasen. Nachdem jahrelang das Problem von Lokalpolitikern vernachlässigt wurde, drohen nun empfindliche Strafen, wenn der von der Europäischen Union beschlossene Grenzwert überschritten wird - was in zahlreichen deutschen Städten bereits der Fall ist. Städte wie München, Düsseldorf oder Dortmund müssen mit finanziellen Sanktionen rechnen.

Was tun? Als ein Mittel gegen den Feinstaub werden im Moment verkehrmindernde Maßnahmen wie Fahrverbote und Gebühren für die Einfahrt in die Innenstädte diskutiert. In den Gemeinderäten von Frankfurt am Main und Düsseldorf wird bereits über eine Maut diskutiert, die neben ihrem ökologischen Wert auch für leere Stadtkassen von Nutzen ist. Auch in der französischen Hauptstadt Paris wird eine City-Maut wohl demnächst kommen.

Kanzler Gerhard Schröder, uni sono mit der Autoindustrie, sprach sich gegen Sonntagsverbote wie in den siebziger Jahren aus. Ihm sekundiert Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (IHK), der die City-Maut als untaugliches Mittel ablehnt: "Die Einzelhändler in den Innenstädten wären nicht mehr erreichbar und hätten drastische Umsatzeinbußen." Das sei angesichts der Arbeitslosigkeit nicht hinnehmbar. Immer wieder wird der Autoverkehr als Ursache für das Entstehen von Feinstaub angezweifelt. Martin Schlegel, Verkehrsreferent vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Berlin, der sich seit Jahren mit der Abgasproblematik beschäftigt, stellt dagegen fest: "50 Prozent kommen vom Verkehr, besonders vom Lastwagenverkehr. Verkehrsreduzierende Maßnahmen sind daher sinnvoll." Der BUND bevorzugt eine Maut für ganze Ballungszentren anstatt einer für den City-Bereich, "damit der Einzelhandel in den Innenstädten nicht leidet".

In London, wo Autofahrer seit Februar 2003 eine Gebühr bezahlen müssen, haben sich entsprechende Befürchtungen als unbegründet erwiesen. Bürgermeister Ken Livingstone, auf dessen Initiative die congestion charge ("Verstopfungsgebühr") zurückgeht, zog im vergangenen Monat nach zwei Jahren eine Erfolgsbilanz: "Unser Programm ist ein eindeutiger Erfolg, und eine Mehrheit der Bewohner Londons unterstützt es." Das war nicht immer so: bei ihrer Einführung zog die Gebühr viel Häme auf sich. Die großen Parteien, inklusive der Labour Party, äußerten sich skeptisch, und Einzelhandel und Tourismus in der Metropole bekämpfte die Maut mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Nun haben sie sich mit der Gebühr abgefunden. Michèle Dix, Direktorin des Programms, ist zufrieden: "Die Gegner der Gebühr haben von Chaos gesprochen, dass London sich in eine Geisterstadt verwandeln würde. Nichts davon ist eingetreten."

Es gibt in London heute tatsächlich nicht nur weniger Unfälle, auch die Luftverschmutzung konnte deutlich gesenkt werden. Die städtische Umweltbehörde spricht von zwölf Prozent weniger bei den Stickoxiden und Rußpartikeln. Durch die Einführung der Maut von fünf Pfund (7,50 Euro) am Tag reduzierte sich der Straßenverkehr im Innenstadtbereich um rund 30 Prozent. Die Pendler stiegen auf Busse und Bahnen um. Nun soll der Preis auf acht Pfund (zwölf Euro) steigen. Hintergrund ist auch, dass der Bürgermeister ansonsten keine eigenen Steuereinnahmen hat.

Das zentrale Wahlversprechen Livingstones, der im Jahr 2000 das Amt antrat, war, den Service des teilweise privatisierten U-Bahn- und Busnetzes zu verbessern. Aber obwohl sich der Bürgermeister heute selbst zum Erfolg der Maut gratuliert, ist der Zustand des öffentlichen Nahverkehrs nach wie vor kritisch. Das U-Bahn-System der Hauptstadt ist nach Jahren der Unterfinanzierung marode, beinahe täglich fallen ganze Linien aus. Fahrtzeiten von bis zu zwei, drei Stunden täglich sind keine Seltenheit. Dabei steigt die Zahl der Menschen, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, stetig weiter. Schon kursieren Zusammenbruchszenarien, wenn nicht bald viel Geld in die Instandsetzung von Bahnen und Bussen fließt. Mit der City-Maut hat die Stadtverwaltung den Autoverkehr reduziert, für Alternativen hat sie noch nicht gesorgt.


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