In unserer Welt haben wir Diktaturen, in denen für die herrschende Clique die eigenen Gesetze nicht gelten. Wir haben Demokratien, freilich sehr wenige, in denen auch die Regierenden den Gesetzen ihres Staates unterworfen sind, bei Straftaten vor ein Gericht kommen und verurteilt werden. Davon hört man freilich sehr selten, denn Demokratien sind selten. Und dann gibt es eine seltsame Mischform, die am häufigsten in der Welt anzutreffen ist, nämlich Demokratien, in denen für die herrschende Clique die eigenen Gesetze nur eingeschränkt gelten. Solche Gesellschaften heißen Bananenrepubliken und von ihnen gibt es mehr als bananenanbauende Länder. In diesen Bananenrepubliken wirtschaftet man in diskreter Absprache aller Beteiligten in den führenden P
n Positionen zum eigenen Vorteil. Ein dichtes Geflecht aus gegenseitigen Abhängigkeiten verhindert, dass es eine Aufklärung von Straftaten des herrschenden Klüngels gibt oder gar eine Strafverfolgung. Eine Diktatur hat sich nicht um strafrechtliche Folgen des eigenen Handelns zu kümmern, da sie stattdessen danach trachtet, für immer an der Macht zu bleiben. In den Bananenrepubliken dagegen gibt es - ganz so wie in den richtigen Demokratien - Wahlen, wodurch die herrschende Clique mit einer anderen ausgetauscht werden kann. Folglich muss die jeweils herrschende Clique vorausschauend eine mögliche Nachfolgerclique an ihren Geschäften beteiligen, um spätere unangenehme Untersuchungen von vornherein auszuschließen. Eine Bananenrepublik ist unvergleichlich demokratischer als eine Diktatur, denn sie denkt nicht allein an sich, sondern beteiligt auch alle nur denkbaren Nachfolgekandidaten am Gewinn. Freilich muss der Gewinn dadurch notwendigerweise höher kalkuliert werden, um alle Interessenten bedienen zu können. Insofern ist eine Bananenrepublik demokratischer als eine Diktatur, aber auch kostspieliger. Wie kostspielig eine Bananenrepublik werden kann, zeigt der Berliner Klüngel, dessen Taten und Untaten jahrzehntelang als Widerstand geduldet und gefördert wurden, dessen Kosten man, um der Schadenfreude und dem Hohn der Ostberliner Regierung zu entgehen, stillschweigend aus der Bundesskasse des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen beglich, dessen Aktivitäten zuvor allenfalls mit der Verleihung eines Bundesverdienstkreuzes geahndet wurden. Den Gipfel seines Schaffens erreicht dieser Klüngel aber erst nach 1989: Finanzlöcher werden nicht mehr stillschweigend, sondern gar nicht mehr beglichen. Und was noch da ist, kommt in die eigene Tasche. Dafür sorgt die Bankgesellschaft mit ihren Immobilienfonds, die - soweit sie besonders lukrativ sind - den eingeweihten Bankern und Politikern vorbehalten bleiben. Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ist es üblich, dass bei Insolvenz die Verluste von den Gläubigern beziehungsweise Fondzeichnern zu tragen sind. Diese Last mag der Klüngel nicht. Deshalb bieten die Fonds, abgesichert von einer Detailvereinbarung zwischen dem Senat und der Bankgesellschaft Berlin AG sowie ihren Immobilien-Töchtern, weit überdimensionierte Mietgarantien (25 bis 30 Jahre, marktüblich sind fünf Jahre) und dazu noch eine Rückkaufgarantie. Die Marktrisiken werden also nicht vom Investor, sondern vom Steuerzahler getragen. Die Detailvereinbarung wahrt nicht die Interessen des Landes Berlin, wozu die Bankgesellschaft verpflichtet ist, sie privatisiert im Gegenteil die Gewinne und sozialisiert die Verluste. Dennoch entspricht dieser Vertrag der Gesetzeslage und verweist damit auf das tatsächliche Übel, die gültigen Gesetze. Den Vertrag nachzubessern, ihn sittengemäß zu korrigieren, statt sittenwidrig bestehen zu lassen, bessert nicht das Grundübel, die fatalen, zum Missbrauch einladenden Gesetze. Aber können andere Gesetze helfen? Ich habe aus Erfahrung erhebliche Bedenken. Es ist jetzt fünf oder sechs Jahre her, da unterhielt ich mich mit einem mir bekannten Bundestagsabgeordneten und lobte ihn. Zu dieser Zeit hatte der Bundestag Gesetze beziehungsweise Novellierungen zum Versicherungswesen der Republik verabschiedet. Ich lobte seinen enormen Fleiß. »Vermutlich«, so sagte ich zu ihm, »waren für diese Versicherungsgesetze zehn Meter Akten zu studieren, und da Sie zwei Tage in der Woche den Wahlkreis betreuen müssen, einen Tag der Woche sicher der Familie vorbehalten wollen, bleiben Ihnen nur vier Tage, um diese zehn Meter Akten sorgsam zu studieren, um dann mit Sachkenntnis über die neuen Gesetze abzustimmen. In jeder der folgenden Wochen kommt vermutlich ein ähnlich umfangreicher Aktenberg zu einer ähnlich komplizierten Materie auf Ihren Tisch.«Der Abgeordnete war geschmeichelt, überhörte meine Ironie und sagte, genauso sei es, nur dass die Akten nicht zehn, sondern dreißig laufende Meter umfassen. Und natürlich sei es nicht in vier Tagen und nicht in sieben Tagen möglich, diese Akten zu lesen oder gar zu studieren. Das aber sei auch nicht nötig, dafür habe er wie jeder Abgeordnete Leute mit Fach- und Sachkenntnis, die ihm zuarbeiten würden. Im Falle der Versicherungen habe er kompetente Leute in einer der großen Versicherungen als Partner, die ihm die 30 Meter Akten zu einem dreiseitigen »paper« komprimieren, mit dem er dann bestens präpariert in die Abstimmung gehen könne. Ich war, ich gestehe es, fassungslos. Ich war so verblüfft, dass mir die auf der Hand liegende Frage nicht einfiel, nämlich ob er und die anderen Abgeordneten, wenn sie beispielsweise über eine Strafrechtsreform beraten, sich von den ihnen bekannten Kriminellen die Akten für ihre Stimmentscheidung aufarbeiten lassen. In den Vereinigten Staaten wurden eine erhebliche Geldsumme demjenigen Abgeordneten offeriert, der zu einem Gesetz, über das alle Abgeordneten ihre Stimmentscheidung abgegeben hatten, zehn Fragen beantworten könnte, die seine Kenntnisse jener Materie belegen sollten, über die er soeben folgenreiche Gesetze beschlossen hatte. Diese Geldsumme wurde bis heute noch nicht vergeben. Ich fürchte, wenn der Berliner Bankenskandal zum Anlass wird, die entsprechenden Gesetze neu zu formulieren, wir werden nur vom Regen in den Regen kommen, wenn nicht gar in die Traufe. Die Berater und Lobbyisten werden keine Zeit und keine Kosten scheuen, nun - im Austausch mit den alten, skandalösen Paragrafen ihres privaten Interesses - mit neuen Entwürfen ihre Abgeordneten zu programmieren. Würden dagegen Gesetze mit Hilfe eines Würfels festgelegt werden, hätten die Demokratie und die Allgemeinheit bessere Chancen, denn beim Würfeln der Gesetze gäbe es eine berechenbare Aussicht, dass das Allgemeinwohl zumindest teilweise beachtet wird. Wenn aber Abgeordnete, die sich in vielfältigen Abhängigkeiten befinden - beginnend mit den Aufsichtsratspositionen, den Vorstandsmandaten, den Gutachterverträgen bis hin zu der unentbehrlichen fachlichen Hilfe durch eben jene Konzerne und Privatpersonen, für die sie über Gesetze beraten und beschließen, die deren Macht allgemeinverträglich regeln sollen - wenn diese Abgeordneten weiterhin die Gesetze entsprechend ihrer Abhängigkeiten beraten und beschließen, so haben das Allgemeinwohl und die Demokratie keinerlei Aussicht auf einen guten Wurf. Ein gewürfeltes Recht wäre zufällig, grotesk und nicht gerecht, aber für die Allgemeinheit wäre es redlicher, für das Gemeinwohl weniger rechtswidrig und für die Demokratie förderlicher als eine Gesetzgebung, die nach den privaten Interessen eines Klüngels und der Lobbyisten zustande kommt.
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