Katastrophales Sammelsurium

Ausstellung Der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn will "ein Loch in die Realität schneiden" - und serviert "War" und "Peace" scheibchenweise. "It's Burning Everywhere" in Mannheim

Der Titel der Ausstellung It’s Burning Every­where klingt prophetisch. Die Materialcollage von Thomas Hirschhorn in der Kunsthalle Mannheim, eine Fortsetzung seiner begehbaren Rauminstallation für das Kunstzentrum Dundee Contemporary Arts in Schottland aus dem Jahre 2009, knüpft nicht direkt an die Revolutionen in Nordafrika oder die Reaktorkatastrophe in Japan an. Sie lässt sich aber gut als zeitgenössischer Kommentar lesen.

Der 1957 in Bern geborene Künstler, der seit 1984 in Paris lebt, nähert sich den Konfliktherden dieser Welt mit ästhetischem Furor. Ein gekappter Baumstamm mit sperrigen Ästen durchschneidet einen Raum der Kunsthalle; ein Leichtgewicht aus Karton mit aufgetragener Rindenstruktur, um dessen voluminösen Korpus ein Sammelsurium gewöhnlicher und ausrangierter Materialien ins Kraut schießt.

Vor Ort sieht das aus, als hätte ein Gebrauchtwarenhändler sein Lager auf 200 Quadratmetern des sonst gediegenen Museums ausgebreitet und ein Chaos angerichtet aus Holz, Stoff und Plastik oder Pappe, die mit Klebeband zusammengehalten wird, als marmoriertes Parkett den Fußboden bedeckt und an den Wänden hochklettert. Weiße Plastikstühle gruppieren sich um rote Lichterketten wie um ein heimeliges Lagerfeuer. Ein trügerisches Idyll, denn in der Ecke stehen Benzinkanister bereit. Glieder, Köpfe und Torsi auseinandergerupfter Schaufensterpuppen stapeln sich nahe einer Art Vitrine, in der hinter Kunststoffglas Puppen in Reih und Glied stehen. Ihre Funktionen – Terrorist, Polizist, Militär oder Zivilist – wurden ihnen wie Preisschilder vor die Füße gestellt. In dieser brachialen Skulpturenlandschaft bleibt nichts unversehrt; bei den Schaufensterpuppen in Forma­tion klafft ein Loch im Leib, das von dem für Hirschhorn typischen braunen Klebeband verstärkt wird. An Wäscheleinen ringsum sind unzählige Fotoreproduktionen aus dem Internet, aus Zeitungen und Magazinen von Straßen- und Barrikadenkämpfen, Streiks, Kriegen, brennenden Häusern oder Wäldern aufgehängt: Mord, Totschlag und Umweltzerstörung herrschen allerorts.

Krieg und Frieden, scheibchenweise

Die Motive ziehen sich auch in einer Fotocollage über die Hochzeitskleider am Körper weiterer Schaufensterpuppen, die wie zur Brautschau asymmetrisch im Raum verteilt sind. In diesem Moloch gezielt platzierter Trümmer bewegt sich der Betrachter auf dem vertrauten Terrain der Bilder, aber in einer verstörenden Topografie. Mit jeder Bewegung eckt er an, jeder Blick führt in die nächste Katastrophe; „War“ und „Peace“ werden scheibchenweise auf Holzstücken serviert. Es gibt kein Entrinnen, es sei denn, man strebt schnellstmöglich zum Ausgang.

Hirschhorns Arbeiten sind wenig geschmeidig. Er legt es auf Konfrontation an, versteht sich als politischer Künstler und teilt dieses Selbstverständnis nicht nur über sein Werk, sondern auch beredt in Texten und Interviews mit. Bei der Biennale in Venedig wird Hirschhorn dieses Jahr den Schweizer Pavillon mit der Arbeit Crystal of Resistance gestalten. Auf der gleichnamigen Webseite publizierte er etwa das Statement, er wolle mit seinem Projekt „ein Loch in die Realität schneiden“. In Mannheim hat er bereits eindrücklich eine Bresche durch den Bilderwald geschlagen.

Thomas HirschhornIts Burning Everywhere. Kunsthalle Mannheim, bis 13. Juni 2011 Der Katalog ist im Kehrer-Verlag Heidelberg erschienen und kostet 28

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