Zu jedem Kinobesuch gehört Werbung. Das war schon so, als der US-amerikanische Marktforscher James Vicary 1957 erstmals eine Studie zur Wirkung von Kinowerbung vorstellte, die der Betrachter gar nicht wahrnimmt. Vicary wollte nachgewiesen haben, dass man den Absatz von Popcorn und Cola verdoppeln könne, indem man Zuschauern während des Films für Bruchteile einer Sekunde – und somit unbemerkt – die Botschaft „Iss Popcorn, trink Cola“ zeigt. Einige Jahre später, nachdem Zweifel an seinem Experiment aufgekommen waren, musste Vicary zwar zugeben, dass er die Ergebnisse frei erfunden und als PR-Kampagne für sein Marketing-Unternehmen gedacht hatte. Seine Idee einer Werbung aber, die unbewusst auf die menschliche Psyche wirkt, blieb.
Heute geh
Heute geht die Werbebranche einen Schritt weiter als zu Vicary’s Zeiten und arbeitet direkt mit Neurowissenschaftlern zusammen. In den vergangenen Jahren ist daraus ein neuer Forschungszweig entstanden, das so genannte Neuromarketing. Seit Kurzem geht es dabei auch nicht mehr nur um Werbung für Bier, Waschpulver oder Autos, sondern um Delikateres wie die unbewusste Wirkung von Wahlwerbung.Die Bremer Markenagentur red-pepper hat jüngst erstmals die Wahlwerbung von Parteien auf unbewusst vermittelte Motive und Emotionen untersucht. Zum Einsatz kam eine neue Methode aus klassischer Marktforschung und Neuromarketing. Innerhalb von ein bis zwei Sekunden mussten 100 Probanden Wahlplakate intuitiv zwischen Extremen wie „klar“ oder „unübersichtlich“ bewerten. Heraus kam laut Studienleiter Thomas Loest, dass die Grünen voll im Trend einer Volkspartei liegen: „Ihre Wahlwerbung ist weniger profilscharf und spricht einen breiteren Motivbereich an als die anderer Parteien.“„Als Kunden oder Konsumenten nehmen wir viele Signale, die uns die Werbung oder ein Plakat sendet, nur unbewusst wahr“, kommentiert Loest das Ergebnis. „Aber gerade diese implizite Codierung lenkt unsere Entscheidung weit stärker als unsere rationalen Überlegungen.“ Der Kognitionswissenschaftler Fabian Stelzer von der Firma WhiteMatter Labs in Osnabrück sieht das etwas anders. Es sei zwar erwiesen, dass die Aufnahme unterschwelliger Reize sich auf Wahrnehmung und Emotionalität auswirken kann, aber „ein nachhaltiger Effekt oder gar eine Überlegenheit gegenüber der bewussten Wahrnehmung von Werbebotschaften konnte bisher nicht nachgewiesen werden.“Coke oder Pepsi?Viele Ergebnisse des Neuromarketings sind bereits vor der Veröffentlichung der ersten Studie in der Werbeindustrie genutzt worden. „Ein guter Verkäufer wandte Erkenntnisse des Neuromarketings bereits in den Sechzigern auch ohne Kernspintomografen an“, wie es Fabian Stelzer formuliert.Noch mehr als damals werden heute Produkte von der Werbung gezielt mit einem Image von Macht, Ansehen oder Sex verknüpft, das wir als Konsumenten während unserer Kaufentscheidung unbewusst mit dem Produkt verbinden sollen. Die Imageproduktion lassen sich die Unternehmen einiges kosten. So wurden im Jahr 2010 laut Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft 29,53 Milliarden Euro in den deutschen Werbemarkt gesteckt. Aus diesem Topf wird auch die junge Disziplin des Neuromarketings finanziert.Doch manipuliert uns unbewusste Werbung nun wirklich stärker oder nachhaltiger als bewusste? Um das herauszufinden, nutzen Forscher und Werbefachleute im Neuromarketing viele Methoden aus der medizinischen Forschung. Eine oft verwendete Methode ist dabei die funktionelle Magnet-Resonanz-Tomografie (fMRT), die zeitnah die Durchblutung verschiedener Hirnareale sichtbar macht, anhand der man glaubt, indirekt auf die Gehirnaktivität schließen zu können.Die fMRT-Methode wurde schon 2004 in einer der ersten Studien zum Neuromarketing genutzt. Die Arbeit erschien in der Zeitschrift Neuron, die Forscher wollten herausfinden, auf welche Hirnbereiche die Entscheidung zwischen Pepsi und Coca Cola im Gehirn zurückgeht. Probanden bekamen Kostproben von Coke oder Pepsi zu trinken und sollten danach sagen, welches der beiden sie bevorzugen.Wussten die Personen nicht, was sie trinken, entschied sich eine Hälfte der Probanden für Coke, die andere für Pepsi. Für Coke- wie auch bei Pepsi-Fans beobachteten die Forscher dabei ein vergleichbares Signal im präfrontalen Cortex, einer Hirnregion hinter der Stirn, die als Mittler zwischen Gefühl und Verstand gilt. Hatten die Testpersonen in einem folgenden Test die Wahl zwischen einer unbekannten und einer mit Coke oder Pepsi beschrifteten Dose, die beide das gleiche enthielten, so entschieden sich in der Coke-Gruppe 77 Prozent für die beschriftete Dose und in der Pepsi-Gruppe nur 46 Prozent für die beschriftete Pepsi. Die Probanden, die Coke wählten, zeigten im fMRT für mehrere Gehirnregionen jetzt unterschiedliche „Aktivität“ im Vergleich mit den Pepsi-Wählern, etwa im bilateralen Hippocampus, der für das Gedächtnis verantwortlich ist, oder im Gyrus parahippocampus, dem eine Rolle für Assoziation und Sozialempfinden zugesprochen wird.Kaufreiz im GehirnDie Forscher folgerten, dass der Grund für die unterschiedliche Gehirnaktivität der beiden Gruppen im unterschiedlichen Wissen über die Marken Pepsi und Coke liege. Die Werbung habe es geschafft, dass der Anblick der Coke-Dose Emotionen mobilisiert, die zuvor unbewusst mit der Marke verknüpft wurden.Bislang nutzt die Werbebranche noch vorwiegend offenkundige Identifikationsangebote für ihre Produkte. Meister Proper als anpackender Saubermann oder der charmante George Clooney, der für eine Kaffeemarke wirbt, sind dafür klassische Beispiele. Auch hier könnte die Neuroforschung noch helfen: Wie solche Marken-Gefühlsverknüpfungen im Gehirn angenommen werden, untersuchten Forscher vor fünf Jahren. Heraus kam, dass Marken nur selten solche Reaktionen im Hirn auslösen wie die Emotionen, mit denen sie über die Werbung assoziiert sind.Die Werbebranche ist also noch wie zu Zeiten James Vicarys auf der Suche nach dem Kaufreiz im Gehirn. Mit dem Neuromarketing hat sie dabei potenziell zwar Methoden zur Hand, die es erlauben, Informationen aus dem Gehirn der Konsumenten zu gewinnen. Doch eine gezielte und dabei völlig unbemerkte Beeinflussung von Käufern bleibt erst mal dieselbe Fiktion, die sie schon im Fall Vicary war.