Spanien, weiter weg vom ukrainischen Kriegsschauplatz und weniger betroffen von den Folgen des Kriegs – der Hauptanteil seiner Gasimporte kommt zum Beispiel aus Algerien – möchte trotzdem zu den politischen Schwergewichten in Europa gehören. Noch bis zum 1. März hatte Regierungschef Pedro Sánchez versichert, an der von Luis Zapatero inmitten des Irakkriegs geprägten Parole „No a la guerra“ (Nein zum Krieg) festzuhalten. Doch dann kam alles anders.
Zapatero hatte nach dem Attentat vom 11. März 2004 in Madrid mit 193 Toten die Wahlen gewonnen und José María Aznar und seine Rechtsregierung abgelöst. Als eine seiner ersten Entscheidungen hatte Zapatero die spanischen Truppen aus der „Koalition der Willigen“ (George W. Bush) im Irak zurückgezogen – um den Preis, beim empörten US-Präsidenten in dauerhafte Ungnade zu fallen. Unter „No a la guerra“ vestand Pedro Sánchez im Fall der Ukraine bis zum 1. März, das spanische Engagement auf das Minimum zu beschränken, nämlich Erfüllung der Nato-Verpflichtungen und Beteiligung am „Europäischen Friedensfond der EU“, der mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine und deren Beschaffung „wie die Impfstoffkampagne“ (El País) zentral organisieren sollte.
Granatwerfer, Maschinengewehre und Munition
Am 2. März kam dann die Kehrtwende. „Nein zum Krieg“ bedeutete plötzlich „Nein zum Krieg von Putin“ und deshalb spanische Waffen an die Ukraine. Wenige Tage danach starteten die ersten Flugzeuge der spanischen Luftwaffe Richtung Polen: mit 1.370 Granatwerfern (spanisches Fabrikat), leichten Maschinengewehren (spanisches Fabrikat) und 700.000 Stück Munition verschiedensten Kalibers an Bord. Das Ganze – wie auch in Deutschland – verpackt in die neue „feministische“ Kultur weiblicher Verteidigungsministerinnen. Im Unterschied zu Christine Lambrecht steht die Ministerin Margarita Robles allerdings unter dem Kommando des (männlichen) spanischen Königs.
Die erste Granate schlug dann kurz darauf ein, nämlich beim Koalitionspartner Unidas Podemos, ein Bündnis linker Parteien, darunter Izquierda Unida. Alberto Garzón, Koordinator von Izquierda Unida und Minister in der Regierung Sánchez, hatte noch einen Tag zuvor in Madrid zu einer Protestdemonstration gegen die Rolle der NATO im Ukraine-Konflikt aufgerufen. Kollateralschaden des Granateneinschlags: Yolanda Díaz, Vizepräsidentin unter Sánchez und zur Zeit prominenteste Vertreterin von Unidas Podemos, unterstützte die direkten Waffenlieferungen an die Ukraine vorbehaltlos, während die Ministerinnen Ione Belarra und Irene Montero auf dem pazifistischen Fundament des Wahlbündnisses bestanden.
Zur Rettung der Regierung einigte man sich mit dem sozialistischen Regierungspartner schließlich auf eine Sprachregelung: In Unidas Podemos als Parteibündnis gibt es in der Frage der Waffenlieferungen keinen Konsens, aber als Regierungspartner wird man sich (vorerst) loyal verhalten. Inzwischen hat Podemos den „Landesbügerrat“ (Consejo Ciudadano Estatal) einberufen, um die Haltung der Partei in dieser Frage zu klären. Von der Harmonie der ehemals ebenfalls pazifistischen Grünen in der deutschen Regierung ist Podemos jedenfalls weit entfernt.
Spanien ist eine „mangelhafte Demokratie“
In einer anderen Disziplin spielt Spanien nicht nur in der europäischen Oberliga mit, sondern ist zum Europameister aufgestiegen: Zum ersten Mal ist in der Europäischen Union ist eine „Volkspartei“ – so nennt sich der spanische „Partido Popular“ (PP) – ein Regierungsbündnis mit den Faschisten eingegangen. Nach der Wahlpleite in Castilla y León im Februar hat die dortige Parteiführung gerade die faschistische Partei Vox als Regierungspartner akzeptiert und deren regionalen Führer Juan García-Gallardo den Posten des Vizepräsidenten angeboten. Die spanischen Medien sprechen von einer Bewährungsprobe für die Faschisten, von einer neuen Phase, in der sie nun zeigen müssen, ob sie regieren können.
Donald Tusk, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, der auch der spanische PP angehört, hat den Pakt unterdessen in einer eilig einberufenen Sitzung in Paris als „Kapitulation“ bezeichnet und die Hoffnung ausgesprochen, dass dieses Ereignis keine Tendenz in der spanischen Politik markiert – ein beeindruckender Euphemismus bezüglich der spanischen Faschisten, die inzwischen auf die Chance setzen, den PP bei den nächsten Wahlen zu überrunden.
Eines haben die Ukraine und Spanien übrigens gemeinsam: In beiden Ländern ist der von der britischen Zeitschrift „The Economist“ berechnete Demokratie-Index im Jahr 2021 gefallen: in der Ukraine bleibt das Land trotz eines Abfalls von 5,81 auf 5,57 aber noch in der Kategorie „hybrides System“ (eine Stufe vor der untersten Kategorie, der „Autokratie“). Spanien fällt von 8,11 auf 7,94 und rutscht von der Kategorie „volle Demokratie“ in die Kategorie „mangelhafte Demokratie“. Bleibt abzuwarten, wie sich eine faschistische Partei in einer Regierung auf den nächsten Index für Spanien auswirkt.
Kommentare 26
Hoffentlich wird Spanien eh bald kleiner, wenn sich Katalonien (und am Besten auch Baskenland) abspalten.
Ich weiß nicht, in welche Kategorie das republikanische Spanien gefallen wäre, aber ich finde, die Konsequenz aus der damaligen faschistischen Machtergreifung sollte sein, die Ukraine zu unterstützen.
Von daher eine von den Umständen her erfreuliche Nachricht.
Wir sehen:
Dummheit, Einseitigkeit, Scheinheiligkeit sind nicht exklusiv deutsch. Allerdings ist die deutsche Variante - auch aufgrund der deutschen Geschichte 1933-1945 - etwas Besonderes.
Besonders effizient. Und besonders grausam.
Man muss schon besonders gestrickt sein, in einseitigen Zuordnungen im Konflikt- und Krisenfall eine erfreuliche Nachricht zu sehen.
Aber verständlich, wenn es an Klarheiten bei Begriffen fehlt.
Ich hoffe, das von Ihnen beanstandete Strickmuster ist nicht allzu "besonders".
Aber Sie könnten Recht haben. Trivialpazifismus ist bequemer.
Immer wieder schön, wenn ohne große Honigverschwendung deutlich wird, wer wofür steht. Das erspart unnützes Verausgaben von Kraft.
Im Alter ist das sehr hilfreich.
»in einseitigen Zuordnungen im Konflikt- und Krisenfall«
Das kann man auch anders herum sehen: ist es nicht ein bisschen einfach, stets die Äquidistanz zu wählen, etwa, um gesetzte Wahrheiten (etwa: Waffen sind immer böse, egal in wessen Händen) nicht dem Test der bitteren Realität auszusetzen?
Indem man jetzt dem Opfer der Aggression, dessen "Verbrechen" darin bestanden hatte, sich nicht in die Rolle eines neutralen Puffers, die ihm andere zugedacht hatten, fügen wollte, geradezu zu einem Teilschuldigen erklärt, macht man sich - so meine bescheidene Meinung - mitschuldig an dem Verbrechen, welches dort gerade stattfindet.
Denn: man kann bei allen Verfehlungen (wer ist davon schon frei?) nun wirklich nicht einen blutigen Angriffskrieg, der dazu noch in den letzten Tagen immer offener und systematischer gegen die Zivilbevölkerung geführt wird, gleichsetzen oder auch nur für in ihrer Schwere als "vergleichbar" erklären. Wenn Sie da anderer Meinung sind, wäre ich neugierig auf Ihre Begründung.
Ihre Fragen sind andere als meine. Ganz besonders die rhetorischen.
Frieden wird es nur durch Diplomatie geben. 100 Milliarden im Deutschen Haushalt in die Rüstungskasse und jetzt Sanchez Kotau werden keinen Frieden bringen. Die ukrainischen Giftspritzen im deutschen Fernsehen (!!!) sagen vieles. Wird das ZDF demnächst der ukrainischen Regierung als kostenlose Propaganda-Werbefläche (Litfasssäule) angeboten?
Frieden gibt es nur auf der Grundlage von Kompromissen. Und die können - je nach Blickwinkel - sehr faul sein.
Dass Putins Armee in die Ukraine einmarschiert ist, ist wohl unstrittig (außer bei Putins Mitstreitern). Bei allem anderen können wir als Foristen nicht zweifelsfrei sagen, was Fakt und was Fake ist.
Auch nicht bei Bildern.
Nichts ist subjektiver als das Objektiv einer Kamera. (Harun Farocki)
Um es mal ganz platt zu sagen: die Bundesregierungen der letzten 25 Jahre haben praktisch durchgängig auf das gesetzt, was Sie hier wiederholen. Putin hat sie immer wieder übers Ohr gehauen und gelogen, dass die Balken brechen.
Jetzt geht es nicht mehr um weitgehend unblutige Annexionen oder auch nur "kleine" Kriege (was für ein Wort), in denen 13.000 Menschen "nur" in 8 Jahren sterben.
Wenn Sie von Kompromissen reden, wie stellen Sie sich die vor? Russland, das völlig illegal und verbrecherisch in ein Nachbarland eingefallen ist, darf nun einen Teil behalten (wir treffen uns in der Mitte)?
Hätten Sie den selben Ratschlag im Jahr 1938 gegeben? Gibt es vielleicht doch ein paar Parallelen zwischen damals und heute, aus denen man Lehren ziehen könnte?
Sie überzeugen mich nicht. Ihre beiden Punkte wirken auf mich eher wie das stoische Wiederholen von Grundsätzen. Ich nehme Ihnen ab, dass Ihnen diese Grundsätze lieb und wichtig sind. es sind ja auch ehrenwerte Grundsätze. Und ich wage zu ahnen, dass es das ist, was dazu führt, dass Ihre Art, für die ich Sie trotz aller Meinungsunterschiede immer gern lese, im Moment gerade im Urlaub ist und Sie ziemlich angefasst wirken (willkommen im Club übrigens)....
Ihre Fragen haben die gleiche Qualität wie die von Altnazis, die Anfang der 1970er Jahre glaubten, mein Gewissen prüfen zu können, als ich den Kriegsdienst verweigerte.
Äpfel und Glühbirnen wurden da zu einem ungenießbaren Kompott vermengt. Sie können das auch. Keine Frage. Aber ich sehe darin keinen Grund, um stolz zu sein.
Ihr Lob trifft mich in keinster Weise. Ich nehme nur unvergiftetes an. Alles Andere erinnert mich an Double-bind. Aber das werde ich hier nicht mit Ihnen vertiefen.
Ich bin nicht angefasst, sondern angefressen.
Das Erste hätte mit Berührungen zu tun.
Ich habe das schon wahrgenommen. Ob Sie es mir glauben oder nicht, vergiftet ist nichts. Aber ich akzeptiere, dass das aktuell zu nichts führt.
als erster wird putin diese "volks-demokratien" an-erkennen,
und mit welchen folgen ?
Ich hoffe, Sie merken sich das.
Gerne.
Aber was?
Dass ich angefressen bin?
Als Bewahrer kann ich diese Stimmung noch etwas konservieren.
Daran dachte ich auch. Aber hier wird es als "Umfallen" interpretiert oder als Wunsch nach mehr europäischer Anerkennung.
Woran ich in den letzten zwei Wochen gelegentlich denke, ist Mutti Rust: voller Sorge, dass ihr sensibler Sohn sich etwas antun könnte, nachdem er in den sowjetischen Luftraum gefolgen ist / eine Krankenschwester attackiert hat. Stets im wohlwollenden Krisenmanagement.
Wenn die Ukraine nur auf die üblichen Klugscheißer aus der FC hörte, würde sie schon morgen im Glanze ihres Glückes blühen.
:))
Mein Ratschlag für 1938: Kriegserklärung Großbritanniens am 7.3.36 wurde versäumt. Im Gegentthume: GB hat F durch angedrohte Kreditsperre von entsprechenden Handlungen abgehalten.
Vorneweg: Bei einem Angriffskrieg hört mein Verständnis auf. Aber: Warum verliert keiner der Community ein Wort über Zelenskys "Demokratie" ("hybrides System")? Oppositionelle im Knast, kritische Medien verboten, Gerichte entmachtet, Korruption bis zum geht nicht mehr, usw. Aber nach von der Leyen in der EU willkommen... Auch da hört mein Verständnis auf
Vorneweg: Bei einem Angriffskrieg hört mein Verständnis auf. Aber: Warum verliert keiner der Community ein Wort über Zelenskys "Demokratie" ("hybrides System")? Oppositionelle im Knast, kritische Medien verboten, Gerichte entmachtet, Korruption bis zum geht nicht mehr, usw. Aber nach von der Leyen in der EU willkommen... Auch da hört mein Verständnis auf
vorneweg: "schnuffi" weckt bei mir positive konnotationen aus wims-zeiten.
damit hat sichs auch: auf welche ukraine-analysen stützen Sie sich.
und waren (vor putins überfall) entwicklungs-tendenzen absehbar?
z.B.: https://laender-analysen.de/ukraine-analysen/256/die-ukraine-auf-dem-weg-zum-rechts-oder-praesidentenstaat/
hatte vergessen: Entmachtung der Legislative.
na, erstmal wird im link-artikel das allgemeine globale abrutschen durch die pandemie
konstatiert, dann zwei mögliche entwicklungen auf-gezeigt.
und dann: "der teufel liegt im detail" !
detaillierte untersuchungen sind nun nicht mehr drin: das grobe zuschlagen putins
macht diffiziele warnungen an die ukraine gegenstands-los.
das zu-wenig-beachtete grob-werden putins macht das.
ich habe etwas Anderes gelesen.
Auch interessant und nicht weit weg:
https://www.freitag.de/autoren/martin-leidenfrost/wolodymyr-selenskij-hatte-sie-verboten-nun-unterstuetzen-sie-ihn
guter link!
2 heutige Aspekte zu Waffenlieferungen in die Ukraine:
Die "deutsche Panzerfaust" (Der Name ist Programm ... Geschichte!) ist nun als "Trophäe" im Donbas gelandet und wird dort gegen die Ukrainische Armee eingesetzt.
Wie auf oltre.tv zu lesen ist, haben sich Italiener geweigert, Waffen, die als "humanitäre Hilfe" für die Ukraine deklariert waren, zu verladen. Am Samstag, den 19. März soll vor dem Flughafen Galileo Galilei (15 Uhr) eine Demo stattfinden: "Von der Toskana Brücken des Friedens, nicht Kriegsflüge!"Ich nehme mal an, die Gewerkschaft der Germanen hätte das nicht auf die Reihe bekommen ...
Und? Die Deutschen blamieren sich wieder ... und haben nix gelernt!