„Kein Anything-Goes“

Interview Thomas Ostermeier leitet die Schaubühne seit 20 Jahren. Für ihn ist sie ein Ort des Widerstands
Ausgabe 37/2019

Ein Nachwuchsquartett übernahm 1999 die künstlerische Leitung der Berliner Schaubühne, darunter der Regisseur Thomas Ostermeier. Es wurde eine internationale Erfolgsgeschichte. 20 Jahre später ist der mittlerweile 51-Jährige alleiniger Chef der renommierten Institution, Ende offen. Ein Gespräch über gefährliche Gastspiele, Theater als Widerstand und eine zersplitterte Linke.

der Freitag: Herr Ostermeier, Sie galten einst als Enfant terrible. Mittlerweile sind Sie der dienstälteste Theaterchef der Hauptstadt. Wann wird Ihnen langweilig?

Thomas Ostemeier: Gelegentlich. Aber das hat mehr mit meiner persönlichen Situation zu tun und nicht mit meiner Position. Ich fühle mich verantwortlich für dieses Haus. Es ist Ort, an dem 220 Mitarbeiter*innen fest angestellt sind. Ich will, dass es weiter funktioniert, natürlich künstlerisch, aber eben auch mit all den ökonomischen Implikationen.

Sie machen also nur für die Belegschaft weiter?

Ja, aber auch aus einem sentimentalen Grund: Weil ich diesen Ort, so wie er im Moment ist, und die Menschen, die hier arbeiten, besonders und einzigartig finde. Ich wäre traurig, wenn das verloren ginge. Wir hatten in Berlin ja gerade erst den Fall, dass ein großes, renommiertes Haus komplett in den Boden geritten wurde.

Das klingt alles nach einem sentimentalen Kulturmanager, nicht dem international erfolgreichen Regisseur, der Sie eigentlich sind.

Wir wollen natürlich in erster Linie den Ort erhalten, weil hier Kunst auf besondere Weise möglich ist: Ich habe das Buch von Eribon, Rückkehr nach Reims, in die Hände bekommen und dachte, das muss ich sofort machen. Woanders hätte die Vorbereitung dieser Produktion vielleicht zwei Jahre gebraucht. Hier an der Schaubühne hat es dagegen nur ein Dreivierteljahr von der spontanen Idee bis zur Premiere gedauert. Ähnlich war das mit unserer Produktion Im Herzen der Gewalt. Das heißt, diese Flexibilität, die an der Schaubühne mittlerweile möglich ist, erlaubt es uns, sehr schnell zu reagieren. Es ist die Voraussetzung dafür, immer wieder neue Stoffe, neue Autor*innen, neue Themen, die wir für relevant halten, möglichst schnell auf die Bühne zu bringen.

In der letzten Spielzeit inszenierten Sie Horváths „Italienische Nacht“, nun eröffnen Sie die neue Spielzeit mit „Jugend ohne Gott“. Was sagen Sie uns angesichts des aktuellen Rechtsrucks?

Im Fall von Italienische Nacht ist interessant, dass Horváth, den manche als den besseren Brecht beschreiben, bei der Analyse des Faschismus nicht bei den Faschisten ansetzt, sondern bei den Linken. Also wenn der Anspruch besteht, etwas zu lernen oder zu lehren, dann wäre es Folgendes: Im Moment der Bedrohung durch den Faschismus ist es wichtig, dass alle solidarisch zusammenstehen. Es ist schon erstaunlich, zu sehen, dass zeitgleich zur Premiere Sahra Wagenknecht mit „Aufstehen“ begann.

Dabei ist Ensemblemitglied Sebastian Schwarz, der im Stück spielt, in der „Aufstehen“-Bewegung aktiv.

Ich bin ja kein ideologischer Oberaufseher. Ich verbiete ja niemandem etwas.

Aber das muss für Diskussionen gesorgt haben.

Natürlich, permanent. Deswegen haben wir ja auch letzten Herbst einen Kongress organisiert zu der Frage „Welche Linke wollen wir?“. Das war auch eine Reaktion auf „Aufstehen“. Die Frage war, wollen wir eine nationalistische oder, um historisch zu bleiben, national-bolschewistische Linke? Bei mir lautet die Antwort nein, bei Sebastian Schwarz vermutlich ja.

Mit solchen antifaschistischen und antihomophoben Botschaften in Ihren Inszenierungen, rennen Sie da nicht sperrangeloffene Türen ein in einem Haus wie der Schaubühne?

Nein, man darf sich da nicht täuschen. Wir hatten zum Beispiel eine Veranstaltung zur AfD und zu deren Angriffen auf Autor*innen. Nach der Veranstaltung kam jemand aus dem Publikum auf mich zu und sagte: Ladet die doch mal ein, ihr könnt doch nicht immer nur über die AfD reden, ihr müsst auch mal mit denen reden.

Mit Rechtsextremen zu reden, ist also für Sie keine vertretbare Handlungsstrategie?

Nein. Die AfD-Leute sind inzwischen in so viele Talkshows eingeladen, da müssen wir ihnen nicht auch noch im Theater ein Podium bieten.

Wie kann das Theater also ein widerständiger Ort sein?

Durch unterschiedliche ästhetische Positionen. Gerade im Theater sollten wir aufpassen, dass unsere ästhetischen Positionen nicht nivelliert werden. Und ich bin wirklich aufrichtig der Meinung, dass man auch narrativ an die Sache herangehen sollte. Durch ein Theater, das Figuren ernst nimmt und relevante Geschichten erzählt, kann man vielleicht Menschen, für die Theater immer ein unbedeutendes Experiment von privilegierten Intellektuellen war, wieder für ein komplexeres Nachdenken über die Welt begeistern. Natürlich bewegen wir uns im Theater in einer Blase. Aber innerhalb davon ist das mein Konzept von Widerstand gegen dieses Anything-Goes, wo man eben auch keine moralische oder politische Position mehr bezieht. Das ist meine Mission. Und das ist vielleicht keine widerständige Position im Sinne einer Avantgarde. Aber es ist ein Widerstand gegen einen postdramatischen Mainstream.

Zur Person

Thomas Ostermeier, geboren 1968 in Niedersachsen, ist seit 1999 künstlerischer Leiter der Schaubühne. Er erhielt fünf Einladungen zum Berliner Theatertreffen, zweimal den Friedrich-Luft-Preis und ihm wurde 2009 und 2015 der französische Ordre des Arts et des Lettres verliehen

Ihr Versuch, das Ensemble durch Mitbestimmungsrechte zu empowern, ist gescheitert und das Ensemble hat die Einheitsgage selbst abgeschafft. Sie haben das als größte Niederlage Ihrer Biografie beschrieben. Wie sieht ein emanzipiertes und hierarchiekritisches Theater im neoliberalen Zeitalter aus?

Na ja, das hätte ich eigentlich schon wissen können als Vulgärmarxist. Das hat man schon in der DDR gesehen: Sozialismus von oben funktioniert einfach nicht. Was aber im Moment hier am Haus passiert, ist, dass es junge Ensemblemitglieder gibt, die dieses Modell von Partizipation und Ensembleversammlungen und -sprechern wiederbeleben. Ich versuche, das zu fördern, ohne sie meinen Frust von damals spüren zu lassen oder zynisch zu sein.

Ob in den palästinensischen Gebieten, in China oder im Iran: Die Schaubühne scheut sich nicht vor Gastspielen an heiklen Orten. Wer sitzt da im Publikum?

In Teheran war um das Theater ein Zaun aus Steinwänden und Eisengittern aufgebaut. Am zweiten Tag haben die Zuschauer das Eisengitter eingedrückt, um in die Aufführung zu kommen. Die standen zum Teil auf Balkonen und ich hatte die ganze Zeit Angst, dass die zusammenbrechen. Immer wieder sagen uns unsere Partner vor Ort: Wenn ihr nicht kommt, dann fühlen wir uns von unseren einzigen Verbündeten, die wir in der Welt draußen haben, im Stich gelassen. Aber klar, da sitzt auch zum Beispiel der iranische Kulturminister im Publikum.

In China haben die Zensurbehörden anscheinend das Video von „Volksfeind“ nicht zu Ende geschaut, da sie von der Publikumsdiskussion überrascht waren und weitere Aufführungen abgesagt haben, offiziell aus „technischen Gründen“.

Ich rätsele immer noch, wie das in China zustande gekommen ist, und weiß nur, dass wir seitdem nicht mehr nach China eingeladen werden. Vielleicht haben sie es sogar gesehen, aber nur die Fernsehaufzeichnung hier in Deutschland. Die Diskussion mit dem Publikum innerhalb des Stückes hierzulande ist im Vergleich zu denen bei Gastspielen im Ausland total langweilig, öde und uninspiriert. Die hätten sich vielleicht eine Aufzeichnung aus Indien angucken sollen – oder Russland, wo das Publikum auf die Bühne gestürmt ist. Wir haben unsere Volksfeind-Gastspiele dokumentiert, man kann sie sich auf unserer Homepage ansehen. Vielleicht schafft es dieser Satz endlich mal in ein Interview.

Wo geht es nächstens hin?

Wir fahren mit Im Herzen der Gewalt nach Belgrad, danach mit demselben Stück auch nach Tokio, New York, Brüssel, Paris und Luxemburg. Seit Ivan Medenica das Festival in Belgrad leitet, gibt es dort arabische Untertitel für alle Aufführungen. In einem eher von Nationalismus geprägten Land in dieser Form auf die Flüchtlingssituation zu reagieren, ist wahnsinnig mutig und unbedingt zu unterstützen. Besonders spannend für mich ist, wie das Publikum in Ländern reagiert, in denen die Gesellschaft sich noch nicht so liberalisiert hat in Hinblick auf Homosexualität, wie das vermeintlich in Deutschland der Fall ist.

Haben Sie Angst vor Angriffen?

Kurz nach Verabschiedung des Gesetzes „gegen Homosexuellen-Propaganda“ 2013 in Russland haben wir Tod in Venedig in St. Petersburg gezeigt, und danach habe ich eine Rede gehalten, in der ich die Aufführung der LGBT-Community in Russland gewidmet habe. Am nächsten Tag gab es einen Anschlag auf das Theater. Das Foyer wurde mit Blut beschmiert. Da hing ein abgeschlagener Schweinekopf, darunter ein Schild: „Satanisches Festival“. Vor diesem Hintergrund ist es möglicherweise riskant, was wir da in Belgrad machen. Aber vielleicht sind die da ja auch viel entspannter als in Russland.

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