Kein Aufbruch, nirgends

Österreich Seit einem Jahr tobt der Wahlkampf um das Präsidentenamt. Eine Melange aus Wut, Frust und Sorge
Ausgabe 47/2016

So recht wollte bis jetzt keine Stimmung aufkommen vor dem nächsten Präsidentenvotum am 4. Dezember. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass man die potenziellen Wähler nicht zu sehr belästigen möchte. Die sind müde, haben den einjährigen Wahlkampf satt. Mobilisierungen halten sich bis dato in Grenzen. Die Plakate stehen zwar, und die ersten Talkshows laufen, aber man hat eher das Gefühl einer Ermattung statt einer Erregung. Bis vor zwei Wochen wurde alles überschattet durch den US-Wahlkampf, dem die österreichische Konstellation so unähnlich nicht war.

Die Parallelen sind offensichtlich: Auf der einen Seite steht der Ex-Parteichef der Grünen, der linksliberale Wirtschaftsprofessor Alexander Van der Bellen als Kandidat einer etablierten Mitte samt einverleibter Linker – ihm gegenüber der nationalpopulistische FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, der als Volksrebell gegen das Establishment auftritt. Das mag so nicht ganz stimmen, aber es kommt auf jeden Fall so rüber und genießt im Wahlvolk hohe Plausibilität. Tatsächlich hat sich mittlerweile das gesamte österreichische Establishment hinter Van der Bellen gesammelt: SPÖ, ÖVP, Liberale, Künstler und Gewerbetreibende, Medien, Adabeis, die Ökopartei sowieso. Großkapitalisten finanzieren den Wahlkampf und diverse Sonderkampagnen. Der Okkupierte freut sich auch noch. Abermals geht es um die Reputation des Landes, um Glaubensbekenntnisse zur EU, um den Wirtschaftsstandort, um Wachstum und Jobs. Die Agenda verspricht ein dezidiertes „Weiter so!“ Ein Sieg Van der Bellens wäre demnach ein letzter Erfolg der Konvention. Das kann man wünschen, und das soll man mangels Alternativen auch wählen, aber eine Perspektive gibt es nicht. Kein Aufbruch, nirgends.

Der ehemalige grüne Parteichef, der die für ungültig erklärte Stichwahl im Mai knapp für sich entschieden hat, agiert sehr vorsichtig, so als sollte ihm nicht der geringste Patzer unterlaufen. Nirgendwo anecken, scheint das Motto zu sein. Eine kleine E-Mail-Affäre oder Ähnliches könnte da schon den Todesstoß versetzen. Hier ist Van der Bellen in einer schlechteren Position, da ihm Fehler und Vergehen – wirkliche wie unterschobene – viel übler genommen werden als Hofer. Wer freilich partout nicht ungut auffallen will, der fällt fast überhaupt nicht auf und erscheint noch angepasster, als Van der Bellen ohnehin schon ist.

Trolle und Kampfposter

Doch auch die FPÖ weiß nicht so recht, soll sie auf sanft tun oder auf grob setzen? Auf jeden Fall soll es der Herrgott richten. „So wahr mir Gott helfe“, steht auf Hofers großflächigen Plakaten. Ob die Betonung des Christlichen im Wahlkampf wirklich hilft, darf bezweifelt werden. Naheliegend ist, dass hier der Zweck weniger in der inhaltlichen Ausrichtung als im publizistischen Getöse liegt. Denn da wird reagiert, von den Kirchen, den Laien, den Zeitungen, den Kontrahenten. So bleibt man auf Sendung. Im Kampf um die Aufmerksamkeitskontingente hat man einmal mehr die Nase vorn. Je mehr Lärm, desto besser können sich die Freiheitlichen in Stellung bringen, desto mehr vermögen sie dasöffentliche Geschehen via Zwangsbeachtung zu dominieren. Je größer der Unsinn, desto größer die Chance auf mediale Multiplikation. Es herrscht das Spektakel.Donald Trump meinte vor Wochen, er könne jemanden auf der Straße erschießen, ohne Stimmen zu verlieren. Das könnte auch auf freiheitliche Spitzenpolitiker zutreffen. Tabubrüche wie Skandale bringen sie nicht zu Fall, sie immunisierten sie geradezu.

„Wahlergebnisse lügen nicht“, stellte Kanzler Christian Kern (SPÖ) nach Trumps Wahlsieg fest. Nur welche Wahrheit zeigen sie? Dass die Wähler auf jeden Fall recht haben oder eher wie diese mental zugerichtet sind? Solche Ergebnisse sagen mehr aus über die Wähler als über die Gewählten oder Abgewählten. Analysen kaprizieren sich viel zu sehr auf Politiker, Institutionen und Organisationen und nicht auf die Wähler selbst. Diese erscheinen als unbeschriebene und unschuldige Größe. Über das Personal, die Besetzung unserer Gesellschaften sollte also dringend gesprochen werden. Warum ticken oder posten die Leute so? Hat das vielleicht gar etwas mit ihrem Leben zu tun? Denn auch wenn man sagt, dass sie da „postfaktisch“ verführt werden, wie kommen sie dazu, sich so leicht verführen zu lassen? Woran liegt das? Was konstituiert sie? Dies einer verfehlten Politik der Regierenden zuzuordnen ist ebenso daneben, wie es der Übermacht eines populistischen Stils zuzuschreiben.

Der Wahlkampf tobt zur Zeit weniger an der Oberfläche als im Untergrund der sogenannten sozialen Medien. Da suhlen sich Trolle und Kampfposter in ihren Auswürfen. Nicht nur von „Dreckskerln“, „Volltrotteln“ und „Arschlöchern“ ist die Rede, da geht es ans „Anzünden“ und „Vergasen“. Interessant wäre, zu wissen, ob dieses „Kotmeer“ (Karl Kraus) ein neues Phänomen ist oder – was näher liegt – früher bloß keine öffentliche Plattform gefunden hat.

OSZE schickt Wahlbeobachter

Prognosen abzugeben wird waghalsiger, vor allem weil die Leute sich auch immer weniger deklarieren und in ihrem Wahlverhalten zusehends unstet agieren. Sprunghafte Gemüter erzeugen sprunghafte, vielfach überraschende Wahlergebnisse. Die Leute sind hochgradig durcheinander, kaum in Ströme zu fassen. Das rasche Anschwellen und Verebben von Gemütslagen ist immer häufiger zu beobachten. Meinungsforscher tun sich schwer. Wahlentscheidungen sind oft Ausdruck einer seltsamen und kurzen Momentaufnahme, sie folgen weniger dem Urteil über Probleme oder den eigenen Interessen. Man weiß nicht so recht, was man will, aber man sinnt auf Rache, im Internet wie in der Wahlzelle. Der Denkzettel tritt an die Stelle des Denkens. Stimmen werden Gegenstimmen. Wut wählt. Diese Melange aus Verbitterung und Ohnmacht wird aufgefangen durch jene, die wie Hofer behaupten, einen Kurs fahren zu können.

In den westlichen Gesellschaften herrschen derzeit viel Unlust und Unbehagen, und im Unterschied zu traditionellen Kräften gelingt es der FPÖ, diesen Frust zu kanalisieren. Ratlosigkeit gerät in autoritäre Schläuche. Sich wo anhalten können, ist entscheidend. Dabeisein. Die, die noch an die Politik glauben – und das werden weniger –, setzen verstärkt auf den Rechtspopulismus. Das bürgerlich-demokratische System erscheint in diesem Szenario völlig hilflos. Der autoritäre Zug hat sich inzwischen globalisiert. Insofern stehen wir vor veritablen Krisen, nicht nur in Österreich, sondern darüber hinaus ziehen immer dichtere Wolken auf.

Destabilisierung vor der Präsidentenwahl greift um sich, auf der psychischen Ebene steigt die Anspannung, die Nervosität ohnehin. Allein dass es wieder Schwierigkeiten bei der Ausgabe der Wahlkarten für Briefwähler gibt (die bereits einmal zur Verschiebung der Wahl führten), demonstriert, wie angeschlagen auch die heimische Bürokratie ist. Fuhr bisher selbst bei gröberen Verstößen „die Eisenbahn drüber“, so droht heutzutage jedes Kinkerlitzchen zur Staatsaffäre zu werden. Dass die OSZE jetzt Wahlbeobachter schickt, passt ins Bild, ebenso, dass der Innenminister in Fällen versuchten „Stimmenverkaufs“ ermitteln lässt. Da gerät einiges aus den Fugen, kommen die starken Sprüche gerade zur rechten Zeit. Sie vermitteln Gewissheit und Sicherheit in einer von Risiken beherrschten Welt. Das ist zwar alles Fiktion, aber darum geht es nicht, es kommt an, und die Gemütslagen sind geradewegs prädestiniert für diese Botschaften.

Dass die Sorge um den guten Ruf Österreich retten wird, ist hingegen ein medialer Popanz. Dieses „Aber was wird denn das Ausland dazu sagen?“ schreckt keinen potenziellen Hofer-Wähler noch irgendwie ab. Es gibt keine Hemmschwelle mehr, FPÖ zu wählen. Es ist davon auszugehen, dass sich dies zusehends in öffentlichen Bekenntnissen ausdrückt. Man werde sich noch wundern, ist von Norbert Hofer zu hören. Die FPÖ kann am 4. Dezember keine Niederlage einfahren, auch wenn sie die Wahl verliert. So gesehen befinden sich Parteichef Strache und Hofer auf der Siegerstraße, während die SPÖ-ÖVP-Koalition zu einem Auslaufmodell zu werden droht. Bei den nächsten Nationalratswahlen wird es voraussichtlich nicht einmal mehr eine arithmetische Mehrheit geben.

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