Kein bisschen Frieden

Checkpoint Charlie Der Grenzstreifen ist das Symbol des Kalten Krieges. Heute ist er am ehemaligen Checkpoint Charlie aber auch ein modernes Schlachtfeld: Jetzt wird um Geld gekämpft
Zwei Schauspieler posieren für Touristen in Westalliierten-Verkleidung
Zwei Schauspieler posieren für Touristen in Westalliierten-Verkleidung

Foto: David Gannon/AFP/Getty

Der ehemalige Todesstreifen ist heute voller Leben. Touristen laufen sich gegenseitig ins Bild. In der Luft hängt der Geruch von Currywurst. Imbissbuden stehen allerorten, auch eine Strandbar gibt es hier. An kleinen Ständen werden russische Wintermützen und Gasmasken verkauft. Wild gestikulierende Guides zeigen, wo Osten, wo Westen war, während Busse die Menschenmassen entladen und wieder aufnehmen. Dieser Ort, an dem sich russische und amerikanische Panzer gegenüberstanden, hat noch immer seinen Reiz. Und es wird noch Krieg gespielt, wenn auch im unsichtbaren.

Der Berliner Senat ist ein Akteur unter anderen. In der provisorischen "Black Box Kalter Krieg" dokumentiert eine neue Ausstellung die Konflikte zwischen den Großmächten von 1945 bis 1990. Der Berliner Senat hat das ehemals mit öffentlichen Geldern geförderte "Museum Haus am Checkpoint Charlie" viele Jahre als unwissenschaftlich kritisiert. Streitpunkt war vor allem die "unprofessionelle Museumsarbeit", wie der Senat auf seiner Homepage kritisiert. Die Interventionen scheiterten. Das Museum hat seine Gemeinnützigkeit abgemeldet und finanziert sich seitdem privat. Der Senat spricht nun von einer "Intransparenz des Geschäftsgebarens".

Die am 21. September eröffnete "Black Box Kalter Krieg" fungiert als wissenschaftliche Konkurrenz zum Museum am Checkpoint Charlie. Eine Art Gegenschlag in der Schlacht um das richtige Gedenken. Es ist nicht der einzige Kampf, der hier ausgefochten wird. Der gesamte Checkpoint Charlie ist eine Krisenregion. Feindschaften werden gepflegt, Fronten laufen hier zusammen: Vor allem um Geld wird gekämpft. Das Museum kann schon kleine Siege verbuchen: Trotz 12 Euro 50 Eintritt strömen Woche für Woche Tausende Besucherinnen ins Museum, um sich Fluchtautos, NATO-Kriegsspielzeug, Gandhis Sandalen oder Reagans Motorsäge anzuschauen. Diese Schau, etwas wirr und konzeptlos, wirkt ziemlich beliebig.

Im Erdgeschoss befinden sich vier Souvenir-Shops mit Buttons, T-Shirts, Streichholzschachteln, Schokolade, Kühlschrankmagneten. Alles checkpoint-charlifiziert. "Eine Welt ohne Mauern", so die Botschaft des Museums am Ausgang. Die Mauer kann man dort stückweise erwerben.

Posen für die Authentizität

Vor dem Museum ließ das "Haus am Checkpoint Charlie" eine originalgetreue Kommandobaracke aufbauen. Authentizität soll Käufer anziehen. Im Kampf ist alles erlaubt.

Auf der kleinen Verkehrsinsel zwischen dem Museum und einer McDonald’s-Filiale stehen als amerikanische Soldaten verkleidete Männer und posieren für Fotos. Man ist sich erst nicht ganz sicher, zu wem sie gehören, zum Museum oder zu McDonald’s. Doch die Tourismusshow vor dem Wachposten ist ein privates und eigenständiges Gewerbe, die sogenannte "Dance Factory", ein Partyveranstalter aus Berlin.

Museumsbesitzerin Alexandra Hildebrandt stören diese unechten Soldaten. Auf einen angeblichen Fußtritt von ihr folgte ein Gerichtsurteil. Jetzt ignoriert man sich gegenseitig.

An den Soldatengürteln baumelt das Preisschild, der Wert eines Fotos mit ihnen: "2 Euro pro Person". Meist kommunizieren die Soldaten nur durch das Vorzeigen des Schildes. Ihre Mienen sind ernst, manche wirken sogar böse. Ihr Gesetz: Bevor nicht gezahlt wurde, gibt es kein Foto. Bleiben die Touristen dennoch neben ihnen stehen, verdecken die Soldaten das Gesicht der Schummler mit der Flagge.

Den ganzen Tag lang bilden sich immer wieder große Menschentrauben vor den Soldaten. Die Stimmung ist friedlich, das Geschäft mit dem früheren Krieg läuft gut. Es geht Schlag auf Schlag, Foto auf Foto.

Wenn es ein Tourist wünscht, lassen sich die Soldaten auch zu verschiedenen Posen hinreißen, so als würden sie für ein Album-Cover posieren.

Marcel hat heute seinen ersten Arbeitstag, bis jetzt sei er zufrieden, sagt er. "Man ist draußen und lernt nette Leute kennen. Bevor ich irgendwo auf meinen Knien herum schrubbe, weiß‘te? Da steh ich lieber hier." Er ist groß und breitschultrig. Seine silber glänzenden Ohrringe und die Solariumbräune in seinem Gesicht wirken ein bisschen wie aus den Neunzigern. In sein Englisch mischt sich sein Berliner Akzent. Und hinten an seinem Gürtel hängt ein schwarzes Täschchen. Hier sammelt er das Geld. Das soll authentisch sein?

Die Soldaten stehen symbolisch weniger für die Vergangenheit des Ortes, als mehr für den gegenwärtigen Zustand des Checkpoints. Der ehemalige Grenzübergang ist ein napoleonisches Feld geworden, jeder kämpft hier um seinen Platz im Business der Vergangenheitsbewirtschaftung. Aber kein Kampf ohne Widerstand.

Auch die Soldaten werden bekämpft. Bürger und Touristen haben sich bereits über das Schauspiel beschwert. So wie Carl Wolfgang Holzapfel. Der Vorsitzende der "Vereinigung 17. Juni 1953 e.V." hat mit einer Unterschriftenaktion gegen die Soldaten protestiert. Er konnte einen Teilfrieden aushandeln: Die Soldaten dürfen keine sowjetischen oder DDR-Uniformen mehr anziehen. "Es fände ja auch niemand geschmackvoll, wenn vor der Topographie des Terrors Männer in SS-Uniformen stehen würden!" Holzapfel ist 68 Jahre alt. Er hat einen ruhigen Blick, wirkt als Veteran noch ziemlich agil und ist noch kriegstüchtig. Gelassen und mit Hörbuch-Stimme erzählt er Geschichten von einst. In West-Berlin aufgewachsen und politisiert, wusste er früh, dass der Feind im Osten sitzt. Seine Wut, die sich manchmal noch in einer geballten Faust sammelt, hatte ein Ziel. Auf die Mauer schrieb er eines Tages "KZ".

Große Teile seines politischen Kampfes hat Holzapfel am Checkpoint Charlie ausgefochten. Hungerstreiks, Demonstrationen, Kunstaktionen. Im Sommer 1989, kurz bevor die Mauer fiel, lag er stundenlang auf dem weißen Grenzstreifen, der die Welt spaltete. Inzwischen macht ihm dessen Kommerzialisierung Sorgen. Wüsste er, wann, von wem und welche feine Linie da überschritten wurde, Holzapfel würde sich hungerstreikend darauf legen. Im Moment kämpft er erstmal mit einer Unterschriftenaktion für die Umbenennung der Zimmerstraße in Peter-Fechter-Straße. Peter Fechter starb vor mehr als 50 Jahren bei einem Fluchtversuch aus der DDR. Er lag dann angeschossen in der Zimmerstraße. Weder DDR-Grenzer noch Alliierte halfen.

Gesten der Ratlosigkeit

Ein Name auf einem Straßenschild? Holzapfel weiß, dass sich die Stadt mit solchen symbolischen Gesten schwer tut. Es ist ein zäher Prozess. Ein einsamer Kampf.

Und auch die "Black Box Kalter Krieg" wirkt auf dem Checkpoint Charlie nur wie eine hilflose, symbolische Geste. Jahrelang ließ der Senat dort die Ballung absurden Geschäftstreibens zu. Nun hat er angekündigt, zumindest das finanzielle Überleben eines gemeinnützigen Museums zu garantieren, welches der provisorischen Black Box folgen soll. Aber was ändert das? Der Senat sollte nicht die Bedeutung des Ortes diktieren, sondern den Raum dafür schaffen, dass auch kritische Ansichten zur Vergangenheit und den Umgang mit ihr einen Platz bekommen. Ein Vorhaben, das bislang gescheitert ist.

In dem kleinen Kubus erhält man viele Fakten, eine detaillierte Videoanimation des Todesstreifens, eine Collage der DDR-Massenproteste, unterlegt mit pathetischer Filmmusik, und das deutsche Grundgesetz kann man gratis mitnehmen. Unter dem Titel "Die neuen Herausforderungen" hängt ein riesiges Bild vom explodierenden World Trade Center. Im Informationstext wird die Staatengemeinschaft auf den Kampf gegen den internationalen Terror eingeschworen. So sehen hier kritische Perspektiven aus.

Auf einer Hauswand hinter dem "Freedom Park" am Checkpoint Charlie steht: "Sie betreten den Non-Profit-Sektor". Eine Werbung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen. Hinter welcher Linie soll der anfangen? Hinter dem Wachposten?

So absurd und folkloristisch sich das kommerzielle Treiben an diesem Ort zeigt: Wenn die Fronten härter werden zwischen Akteuren und ihren Interessen, kann es leicht gewaltsame Ausmaße annehmen.

Wie neue Panzer, die sich gegenseitig bedrohen.

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