Kein bisschen Frieden

ESC Mit ihrer Hymne wollte die russische Sängerin die Völker umarmen, doch die ESC-Zuschauer wollten nicht, dass ein homofeindliches Land gewinnt
Ausgabe 22/2015
Polina Gagarina wurde für die Politik ihres Landes abgestraft
Polina Gagarina wurde für die Politik ihres Landes abgestraft

Foto: Dieter Nagl/AFP/Getty Images

Wie prophezeit wurde der Abend in Wien zu einem Wettkampf zwischen Italien, Russland und Schweden. Dass sich Måns Zelmerlöw beim Eurovision Song Contest schließlich durchsetzte, lag nicht unbedingt daran, dass Dance-Pop dort besser funktioniert als Pop-Opera oder Balladen. Klar, Schwedens Beitrag mit auf den Hintergrund projizierten Strichmännchen war clever, ein auf die Bühne gebrachter Videoclip. Dazu der Sänger mit seinem Killerlächeln, in entscheidenden Momenten im Close-up, dagegen war wenig einzuwenden.

Doch Europa will an diesem Abend nicht nur einen perfekt inszenierten Song, sondern am liebsten auch noch eine Geschichte dazu. Vor allem in Zeiten politischer Krisen. Conchita Wurst gelang es im vergangenen Jahr mit Rise Like a Phoenix, eine Coming-out-Hymne zum Symbol europäischer Freiheitswerte zu machen. Wenn das Feindbild Russland heiβt, ist Europa bereit, eine Dragqueen mit Bart als Symbolfigur zu wählen – wobei gern mal übersehen wird, dass auch Österreich und Deutschland nur im europäischen Mittelfeld liegen, was Rechte für Homosexuelle angeht.

Dieses Mal kam das Friedensangebot aber aus Russland. Polina Gagarinas Auftritt mit A Million Voices überstrahlte alle anderen Balladen des Abends – nur wie sollte man die Botschaft werten? Das Publikum in der Wiener Stadthalle (groβteils schwule Fans) war sich einig: Einen Song Contest im homosexuellenfeindlichen Russland wünscht sich hier keiner. Die Russin wurde laut ausgebuht. ORF und European Broadcasting Union (EBU), die Veranstalter des Wettbewerbs, drehen in diesem Fall anscheinend die Regler runter, denn vor dem Fernseher hat man davon wenig mitbekommen. Deutschland gab der russischen Friedensbotschafterin zwar die vollen zwölf Punkte. Für die Mehrheit der Europäer war ihre Geschichte allerdings nicht schlüssig, die heile Welt ihrer Disney-Hymne zu weit abgekoppelt von den politischen Realitäten im Osten Europas.

Statt süβlicher Gesten der Umarmung wählte Europa lieber einen Song, der wie schon jener im vergangenen Jahr die individuelle Freiheit feiert. „We are the heroes of our time. Hero-u-a-u-o“ grölte Måns Zelmerlöw, der im schwedischen Fernsehen übrigens auch schon mit nicht ganz so freundlichen Sprüchen über Homosexuelle auffiel. Polina weinte, Måns riss die Arme in die Höhe. Als er am Ende des Abends von Conchita Wurst die Siegertrophäe überreicht bekam, stellte Måns Zelmerlöw aber noch mal klar: „We are all heroes, no matter who we love.“

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