Natürlich gefällt es mir jetzt besser als früher!" - María Lazamares lässt keinen Zweifel aufkommen. Wir stehen auf ihrem Balkon an der Ecke Calle Teniente Rey/Mercaderes und schauen dem Treiben der durch die Straßen der Altstadt bummelnden Passanten zu. Maria lebt seit fast 40 Jahren an der Plaza Vieja, dem neuen und fast vollendeten Juwel aller Plätze Alt-Havannas. In den fünfziger Jahren durch eine Tiefgarage verunstaltet, die 1995 zugeschüttet wurde, erstrahlt dieser öffentliche Raum inmitten der Altstadt in neuem Glanz. Fast abgeschlossen ist die Restaurierung des Platzes selbst, mit einem aus Italien finanzierten Brunnen in der Mitte. Auch der Bauzaun, der vor wenigen Monaten noch den Blick auf den Brunnen verbarg, ist einem dekorativen Ziergitter aus Eisenstangen gewichen.
Die Sanierung der Gebäude am Platz geht voran. Die Fototeca - das nationale Fotoarchiv Kubas - wurde bereits 1986 fertig gestellt. Sie ersetzt seitdem eine ehemalige Ciudadela, in der über 20 Familien lebten. Hinter dem Ausstellungsraum, entlang des Innenhofes, sind sechs Wohnungen neu entstanden. Ein Beispiel für die geplante Mischung aus sozialen und kulturellen Angeboten. Die ältesten Häuser an der Plaza Vieja - sie stammen aus dem 17. Jahrhundert - sind eingerüstet und auf dem bereits mit einer strahlend gelben Fassade versehenen Palacio Gómez befindet sich seit kurzem die von der Provinz Cadiz in Spanien finanzierte Camera Oscura - ein Teleskop, das den Blick auf ganz Habana Vieja "in Echtzeit" gestattet, wie mir Sergio González, der Sprecher des Amts für Denkmalschutz, später bei einem Spaziergang stolz mitteilt.
"Früher", erzählt María Lazamares weiter, "war es schrecklich hier. Alte Häuser, schlechte Wohnbedingungen, Leute, die den ganzen Tag herumhingen und ihre Kinder nicht in die Schule schickten, viel Kriminalität", erinnert sie. "Erst mit der Revolution änderte sich das. Es gab die Schulpflicht, es wurde etwas gegen die Armut getan - und seit einigen Jahren wird der Platz richtig schön." Es stört sie keineswegs, dass nun die Touristen kommen und auch immer mehr Gäste auf der schönen Terrasse der Fototeca über den Platz schauen.
"Man fühlte sich sicher, und die Leute pflegen ihren Platz und ihre Häuser", fügt sie hinzu. Anders gehe es auch nicht, wenn man bleiben wolle. - Doch wer darf bleiben, wer muss gehen? Und wohin? Diese Fragen stellte ich mir schon vor zwei Jahren, als ich zum letzten Mal in Havanna war. Jetzt stehe ich wieder unter karibisch blauem Himmel auf der Plaza Vieja, erstaunt über den Fortschritt der Restaurierungsarbeiten und frage Sergio González, den Sprecher des Historiador Eusebio Leal, des obersten Denkmalschützers. "Die hohe Bevölkerungsdichte ist mit unser größtes Problem", gibt Sergio unumwunden zu. 105.000 Menschen leben hier auf engstem Raum unter teils prekären Bedingungen: Mehrere Familien in wenigen Zimmern, mit selbst eingebauten sanitären Anlagen und "eigener" Stromversorgung in nicht immer fachmännisch durch eingezogene Decken geteilten Wohnungen in einsturzgefährdeten, einmal zweifellos prachtvollen Palacios. "Unser Projekt bezieht sich nicht nur auf den architektonischen Erhalt der historischen Substanz", beteuert Sergio. "Die Restaurierung des historischen Zentrums, das seit 1982 als UNESCO-Weltkulturerbe eingestuft wurde, ist zugleich ein soziales Projekt." Die Bewohner der entmieteten Häuser bekommen Ersatzwohnraum in Neubauten an der Peripherie. In Alamar, östlich von Havanna, entstehen zur Zeit 8.000 Wohnungen in einer Anlage mit "pueblo"-ähnlichem Charakter, von denen 2.000 bereits fertig gestellt sind. Dort gibt es mehr Raum für die Familien, die zusammen bleiben können, wenn sie wollen, sanitäre Anlagen und alles, was der Mensch zum Wohnen braucht. Wer in der Altstadt bleiben möchte - und es werden immer mehr, je schöner das Wohnen und Leben dort werden - bekommt, wenn er den Auswahlkriterien der Behörden genügt, wieder eine Wohnung dort zugewiesen. "Wir möchten kein Museum, keine Stadt, in der nach Geschäftsschluss die Bewohner verschwinden und bestenfalls noch Touristen aus den innerstädtischen Hotels und Hostales die Straßen bevölkern", wird mir unisono von allen erklärt, wenn ich stets dieselbe Frage stelle. Fazit: Wer sich um seine Wohnung kümmert und Interesse am Erhalt des wiedergewonnenen Charakters der Altstadt zeigt, kann bleiben. Für Umsetzmieter entstand daher ganz in der Nähe der Plaza Vieja zusätzlich ein Containerdorf - spendiert von der kanadischen Regierung - mit Holztüren, Gardinen vor den Fenstern und kleinen Vorgärten.
Auffällig ist schon, dass viele der restaurierten Casas und Palacios zu nostalgisch-romantischen Hostales werden, kleinen Hotels mit acht bis zwölf Zimmern, aparten Innenhöfen, den traditionellen Patios, in denen man sich für gar nicht einmal viele Dollars einmieten kann. Auffällig ist auch, dass mehr und mehr Büro- und Gewerberäume für die dringend benötigten ausländischen Investoren angeboten werden. Und "Wohnungen mit hohem Standard", die sich derjenige leisten kann, der genug Devisen hat: auch und vor allem Ausländer sind gemeint. Droht da nicht doch die Gefahr der "Gentrifizierung"? Kein Disneyland, kein Kunst-Kitsch-Chinatown oder ein artifizielles Yachthafen-Ambiente, doch ein kleines einladendes Paradies für die reichen Fremden oder - irgendwann - die reichen Rückkehrer aus Miami? Ein Lifestyle-Quartier, das sich einer Politik der behutsamen Stadterneuerung entzieht? Sergio spricht von der "Goldmeile", wenn er das Gebiet zwischen den zentralen Plätzen der Altstadt, der Plaza de la Catedral, der Plaza de Armas und der Plaza San Francisco beschreibt.
Ein Gespräch mit Azalia Arias vom Masterplan-Büro rückt den Eindruck zurecht. Die Finanzierung der Maßnahmen im historischen Kern erfolge über einen eigenen Wirtschaftskreislauf. Alle Einnahmen, die Hotels, Restaurants und Geschäfte erzielen, die Bücher und Kunsthandwerk anbieten, würden in die Restaurierung - besonders die "Rehabilitierung" - von Habana Vieja fließen. Es gäbe eigene Bauunternehmen und eine eigene Immobilienverwaltung - es gäbe Ausbildungszentren, die das alte Handwerk lehren, das gebraucht werde, und in denen demzufolge vorrangig Stuckateure und Zimmerleute zu finden wären.
Überdies würden Sozialeinrichtungen finanziert: Altenzentren, Polikliniken, Jugendheime und "Spielotheken" - dazu kämen Museen und ein kleines Süßwasseraquarium.
"Wir möchten keine Verdrängung oder Vertreibung, wir wünschen uns statt dessen eine Bevölkerungsmischung. Die Altstadt soll für ÂLa BohemiaÂ, für Künstler und Intellektuelle, attraktiv werden", ergänzt Ulises Crus Grau, Leiter des erfolgreichen Jugendzentrums Luz y Caballero Azalias Erläuterung der sozialverträglichen Stadterneuerung.
Trotz nach wie vor bestehender Material- und Geldknappheit aufgrund der seit 40 Jahren betriebenen Blockadepolitik der USA, bemüht man sich auch um die weniger pittoresken Teile der Altstadt. In San Isidro, dem alten Arbeiter- und Hafenviertel mit der marodesten Bausubstanz, wurden bereits ganze Straßenzüge renoviert und ein interdisziplinäres Team von Stadtplanern, Soziologen und Psychologen kümmert sich in Tuchfühlung mit den Bewohnern darum, dass der Prozess der Rehabilitierung abgefedert und demokratisch verläuft. Rosendo Mesías von der Stadtverwaltung verweist auf das Programm des UN-Fonds für Entwicklung, bei dem italienische Gemeinden gemeinsam mit dem Poder Popular Havannas bauliche und soziale Projekte angehen. Meine Frage, ob es Vergleichbares mit deutschen Städten gäbe, wird mit einem knappen "leider nicht" quittiert.
Nach ergiebiger Promenade durch die Altstadt geht mir beim abendlichen Mojito auf der Dachterrasse des Hemingway-Hotels Ambos Mundos, beim Blick auf den wunderbaren Sonnenuntergang über Havanna - der "Perle der Karibik" - durch den Kopf, wie schade es wäre, sollte diese umsichtige Sanierung scheitern und das ganze Projekt irgendwann nur noch den Gewinnerwartungen Einzelner unterliegen. Zwar ist der Fremdenverkehr mittlerweile eine der wichtigsten Einnahmequellen Kubas, und fast zwei Millionen Touristen werden 2000 erwartet, doch geht es eben nicht nur um die immer zahlreicher durch die sanierten Straßen ziehenden Flaneure aus nahen und fernen Ländern. Der karibische Zauber der Insel und der lebendige Reiz Alt-Havannas liegen auch im Enthusiasmus der Rezeptionistin im gerade eröffneten Hostal El Comendador, die nicht nur Zimmer zeigt und Preise nennt, sondern die archäologischen Funde im Fundament des Gebäudes aus dem 17. Jahrhundert erläutert und auf die historische Exklusivität des gegenüber entstehenden Museums der Sklaverei hinweist. Für ihn steht auch der Manager des ebenfalls neuen Hostal El Habano, der gern die Geschichte des einstigen Besitzers - des Conde de Villanueva - streift. Ein Latifundista, der die Eisenbahn nach Kuba holte, um seine Tabakplantagen besser bewirtschaften zu können, und so im 19. Jahrhundert die Karibikinsel zum vierten Land der Welt machte, das über einen Schienenstrang verfügte. - Und es geht bei diesem schon so lange engagiert betriebenen Projekt der Restaurierung eben auch um das kleine Mädchen auf der Plaza Vieja, das mir von der Marquesa de Merlín erzählt, die ihr schönes Haus am Platz als Kind verlassen musste, weil ihre Eltern fortzogen, und ihr Leben lang darüber traurig war - es geht um María Lazamares, die stellvertretend für viele sagt, dass es ein Genuss sein kann, in Habana Vieja zu leben.
Wenn das zerfließende Rot des Sonnenuntergangs die morbiden wie die vorm Sterben bewahrten Häuser in ein verklärendes Licht taucht, und das Rauschen des heraufziehenden Nachtlebens auf dem Malecón eine Stimmung aus Nostalgie und vergänglicher Romantik schafft, scheint sich Havanna selbst am nächsten. Nicht zuletzt auch wegen des Temperaments und der Lebensfreunde seiner Bewohner. La Bohemia in La Habana Vieja ist eben nicht nur der Import von Künstlern und der Einbau von Ateliers in alten Palacios.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.