Kein Eisbär sein

STEREOTYPEN Wie der neue, deutsche Film den neuen deutschen Mann konstruiert

Wenn es irgendwo etwas zu lachen gibt, dann sind sie immer dabei: Die, die alles wissen, und doch von nichts auch nur einen Schimmer haben; die, die alles amüsant finden, weil sie doch eigentlich nichts mehr zu lachen hätten; die, deren personality-show man mit den Prädikaten wild und ausgeflippt belegt, weil schon das bißchen demonstrierte Ausgeflippt-Sein, das heute jeder Werbeagentur-Heini auf der Betriebsfeier im In-Lokal an den Tag legt, den schönen Schein über das Scheiß-Leben legt. Subsumiert unters vereinnahmende, allgegenwärtige Lachen, geriert in der künstlerischen Veredelung schnöder Realität noch das brutalste Ausgesondert-Sein zur unverhofften Chance, sich selbst zu verwirklichen.

Im neuen deutschen Film kämpfen sie an vorderster Front: diese Charaktere, die über alle markanten Eigenschaften verfügen, die in einem Vorstellungsgespräch verlangt werden - durchsetzungsfähig, gescheit, gewitzt, flexibel, immer aufgeschlossen, streßresistent -; die zum Genuß stilisierte Beziehungslosigkeit des coolen Hedonisten; die Sprachlosigkeit, die als einziges Mittel verbaler Verständigung die austauschbare Phrase kennt, die nichts mehr von einem selber preisgibt. In der erweiterten Til Schweiger-boygroup gibt es kein Ausgeliefert-Sein mehr, keine schiere, pure Verzweiflung, keine Verhältnisse, die einen wahnsinnig werden lassen; statt dessen das stets vorwärtsschauende Abbild des Draufgängers, der aber nie wirklich ausrastet, nie wirklich ausbricht und der sich letztlich doch immer unter Kontrolle hat.

Obwohl er weder sich selbst kennt noch seine besten Freunde je wirklich kennengelernt hat, weiß der typische neue, deutsche Film-Held immer, was er will und welche Mittel er einzusetzen hat, um sein Ziel zu erreichen. Fadenscheinigerweise schrecken aber die Drehbuchschreiber davor zurück, solche Charaktere bis zur letzten Konsequenz auszuloten und in der Katastrophe enden zu lassen, die sie verdient hätten: den völligen Verlust menschlicher Beziehungen, den regungslosen Autismus des charakterlosen Narzißten. So wird die hemmungslose Kosten-Nutzen-Rechnung des, nur auf sein eigenes Überleben bedachten, Vereinsamten zum widerspruchslosen Bezugsrahmen des Ganzen, dem doch alle Eintrittskartenbesitzer ihre Existenz verdanken.

Ironischerweise wirkt im neuen, deutschen Film das am Biedersten, was von seinen Machern als gezielte, sexuell besetzte Provoka tion gedacht war. Wenn eine Jenny Elvers ohne Slip in Männerpension den Rock hebt, um die Knastis zu kollektiver, spontaner Ejakulation zu ermuntern, dann soll das wohl als selbstbewußtes Zur-Schau-Stellen von Weiblichkeit gedeutet werden, und ist doch nichts weiter als ein hilfloses Deuten auf die infantile Fixierung der Scham. Die sexuelle Inszenierung als phantasielose Stilisierung der Begierde zieht sich durch diese Filme wie der rote Faden dessen, auf das sie eigentlich hinauswollen: die Konstruktion einer sauberen Sexualität.

Der durch und durch regressive Kult-Film Der bewegte Mann machte den Anfang, indem er den Schwulen in einer Rolle zeigte, in der der deutsche Hetero ihn vielleicht noch neben sich dulden würde: als Karikatur seiner eigenen Sexualität, die ihre Unzufriedenheit verdrängt und ihre mangelnde Erfüllung auf den schiebt, von dem schon alle immer wußten, daß er nur deshalb schwul ist, weil ihm irgendwas fehlt. In der Sönke-Wortmann-Verfilmung des Comics von Ralf König als Realsatire darf anerkannt werden, daß das Werk als jugendgefährdende Schrift justitiabel wurde - darf der Schwule den lieben, anders-seienden Kumpel abgeben, der den Ideal-Deutschen Til Schweiger über verschlungene Pfade und tuntige Schwulen-Partys wieder zurück zu seiner Angebeteten führt. Der Homo-Heißsporn (übrigens dargestellt von Joachim Krol, der sonst gern, bezeichnenderweise, für die Rollen des Zarten, Empfindsamen und Verständnisvollen ausgewählt wird wie jüngst in Zugvögel . . . einmal nach Inari und in Die Stunde des Lichts), der sich unglücklicherweise in den kurzzeitig vom Aufreißer-Wege abgekommenen Sunnyboy verliebt, versucht zu Beginn, dem Angebeteten seine Homosexualität zu verheimlichen, um ihn nicht gleich zu verschrecken. Wenn Til Schweiger seinerseits sich in einer Szene im Schrank versteckt, um von seiner Geliebten nicht halbnackt im Schlafzimmer eines Schwulen entdeckt zu werden, dann kann ihm die Peinlichkeit das männliche Publikum wohl nachfühlen. Schweiger ist der Idealtypus des von seinen mangelnden männlichen Qualitäten enttäuschten und von seiner Partnerin verlassenen, einsamen und gekränkten Mannes, der sich in halbstarke Posen flüchtet, da sie ihm als einzige Rettung in einer vermeintlich androgynisierten Welt erscheinen. Verunsichert vom Verlangen der Frau nach einem potenten wie verständnisvollen und gleichfalls Verantwortung in einer, auf Gleichberechtigung pochenden Beziehung übernehmenden Mann, der sich auch mal unterordnen kann, und von der Freundin auf die Straße geworfen, flüchtet er im Film dorthin, wo nach Hetero-Vorstellung die virilen Triebe wohnen: zu den Schwulen, die ihn wieder zum ganzen Mann werden lassen. Er nimmt plakativ ein paar sensible Züge von ihnen in sein Lover-Repertoire auf und wird doch nur wieder »ein ganzer Mann« durch die Abgrenzung vom Weichen.

In Schweigers letztem, von ihm selbst produzierten und mit Millionen-Etat gehypten Film Der Eisbär wird diese Rolle des neuen, deutschen Mannes leicht variiert. Als an sich selbst zweifelnder Auftrags-Killer telefoniert er ständig mit seiner Mutter und macht sich Sorgen wegen seines zu kurz geratenen Penis. Der in die Krise gekommene Mann offenbart sich selbst als Lusche, die aber wenigstens noch gefühlskalt, eben Berufskiller, ist. Tom Gerhardt hat den auf seine regressiven Triebe reduzierten Krisen-Verlierer so überzeichnet dargestellt, daß es Til Schweiger (unter anderm in einem seiner ersten Filme Manta, Manta, in dem er einen Ruhrpott-Prol darstellt) vorbehalten war, ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, auf dem sich jeder mit ihm identifizieren kann, ohne sich dafür schämen zu müssen - im Gegenteil: man ist stolz auf seine Stupidität wie auf seine rückgebildete Fähigkeit der Empfindung. Schweigers kokettes Bekenntnis in der Bunten, er kuschele auch mal mit seinen besten Freunden im Bett, paßt da besser ins Bild, als man denken mag: Es ist allein darauf abgestellt, Toleranz gegenüber Schwulen zu üben, weil das jetzt im Trend liegt und jeder jetzt auch öffentlich über seine weichen Seiten spricht, was bei der Zielgruppe offenbar gut ankommt. (Nachdem die Boulevard-Blätter sich jedoch auf dieses Geständnis stürzten, erklärte Schweiger erwartungsgemäß, das Interview sei gar nicht so ernst gemeint gewesen; dafür sprang wenige Tage darauf Ben Becker, Meister medienexzessiver Selbstdarstellung, auf den fahrenden Zug der Bi-Bekenntnisse auf.)

Detlev Buck sagte über seinen neuesten Film Liebe Deine Nächste im Spiegel: »In Wahrheit erzählt der Film die Geschichte eines Mannes ohne Moral. Er mag Sex und verabscheut Liebe. Dann trifft er auf eine Frau, die das genaue Gegenteil von ihm ist: Ihr geht es um Moral und um Ideale.« Die beschriebene Rollenverteilung trifft die neue deutsche Fräulein-Kerl-Beziehung auf den Punkt: Der Mann, der ums Verrecken sein Vergnügen will, und die Frau, von der er fasziniert wie abgestoßen zugleich ist, zum Mittel seiner Trieberfüllung degradiert. (Im Film versucht der gewissenlose bad guy, gespielt von Moritz Bleibtreu, sein Objekt der Begierde, eine »Soldatin Gottes«, mit der dringend benötigten Spende für ein Obdachlosenasyl rumzukriegen.) Das Bild, das Buck in Liebe Deine Nächste! von der Großstadt als Moloch zu entwerfen versucht, beschreibt er so, wie man sich die Heimstatt der Verlorenen, Vereinsamten und Gekränkten, kurz: des ratlosen, verzweifelt auf seine Stärke rekurrierenden neuen, deutschen Mannes, vorstellt: »Wir wollten eine futuristische Atmo sphäre der Enge schaffen, das Gefühl, man kommt nicht mehr raus aus der Stadt.« In dieser postmodernen Apokalypse menschlicher Beziehungen regrediert alles Sexuelle und alle Leidenschaft zum bloß noch Archaischen, das die Konflikte auf seine Weise zu regeln weiß: durch die ungebändigte Macht des Stärkeren, das naturverhaftete Survival of the fittest, das dem von emanzipierten Weibern drangsalierte Mannsbild die ersehnte Erlösung aus der Vernunft der Zivilisation verheißt.

Damit gesellt sich das Bild vom archaisch kämpfenden Mann zu dem der auf ihr Überleben bedachten Frau, die sich nur noch diese einzige Konstellation vorstellen kann. Der Seelenhaushalt der Frau ist ans Schicksal des Mannes gebunden, auf Gedeih und Verderb himmelt sie ihn an und nimmt ihn, wie er ist: Sei es in Katja von Garniers Abgeschminkt! (mit Katja Riemann) oder in der neueren Produktion Bin ich schön? von Doris Dörrie (mit Heike Makatsch). Immer ist die Frau darauf bedacht, den Blick des Mannes auf sich zu lenken, um ihn als Beschützer für sich zu gewinnen. Das tradierte Rollenmuster ist weniger überholt als nur generalüberholt. Der Sönke-Wortmann-Film Campus (mit Heiner Lauterbach und Sandra Speichert) deutete die Richtung des merkwürdigen Verhaltens geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit bereits in bewunderswerter Einfachheit an: Die für ihre Karriere auf den Zuspruch des Professors angewiesene Studentin schläft mit diesem; und der muß sich wiederum gegen eine hysterische, überall sexuelle Belästigung witternde Frauenbeauftragte zur Wehr setzen.

Der Mann als Opfer, die Frau als machthungrige Karrieristin, die den Mann ausnutzt - ein bemerkenswerter backlash, der die realen Macht-Verhältnisse umkehrt. Das neue, deutsche Fräulein-Wunder, das eine selbstbewußte, starke Frau hervorgebracht haben soll, ist nichts weiter als eine Erfindung der yellow press, die immer dann zu Papier gebracht wird, wenn es so aussehen soll, als sei nicht jede deutsche Frau eine so legitime BDM-Nachfolgerin wie Nina Ruge (Leute heute im ZDF), deren Lebens-Motto »Alles wird gut!« nicht allein von ihren blonden Haaren kommen kann. Dazu paßt, was Til Schweiger in seiner Renault-Werbung (vermeintlich schwangere Frau, doch nur Fußball unterm Kleid, voll schnell rasen, Polizisten verarschen, haha, eben: »Die jungen Wilden!«) von sich gibt und als freiwillig bindendes Anathema über jedem alten wie neuen deutschen Film stehen könnte: »Hauptsache, 's is' gesund!« - und letzlich wird doch alles Nina Ruge.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden