Covern, Samplen, Kopieren und Bearbeiten Die Internet-Plattform "Creative Commons" will Kulturschaffende dazu bewegen, laxer mit ihren Urheberrechten umzugehen
Die White Stripes gehören seit rund anderthalb Jahren zu den angesagtesten Indie-Rock-Bands. Das Geheimrezept des Duos aus Detroit: Sie verzichten einfach auf die Bassgitarre. Ein bisschen Bass könnte den Songs nicht schaden, fand jedoch Steve McDonald, seines Zeichens ehemaliges Mitglied der Band Redd Kross. Also setzte er sich einfach in sein Heim-Studio, spielte Bassgitarre zu den White Stripes-Songs und mischte das Ergebnis ordentlich ab. Eines Tages lief ihm dann zufällig Jack White von den White Stripes über den Weg. Als McDonald ihm von dem kleinen Experiment erzählte, bekam er spontan die Erlaubnis, die Songs im MP3-Format ins Netz zu stellen.
Diese kleine Episode ist Teil eines Videos, mit dem die Anfang vergangener Woche gestartete Internet-Plattform Creat
form Creative Commons im Netz für sich wirbt. Sie setzt sich dafür ein, dass möglichst viele Autoren, Musiker und Künstler mit ihren Urheberrechten so umgehen wie Jack White. Kreative Bearbeitungen anderer einfach zulassen, Kopien zu nicht-kommerziellen Zwecken ermöglichen oder gar auf jeden Rechtsanspruch verzichten. Doch was wäre passiert, wenn Steve McDonald Jack White nie persönlich getroffen hätte? Dann hätte er für seine Bearbeitungen das Label der Band sowie ihren Musikverlag um Erlaubnis fragen müssen. Die hätten dann ihre Rechtsanwälte befragt, und McDonald hätte Jahre auf eine Antwort warten dürfen.Creative Commons will all diese Mittelmänner überspringen und es Kreativen direkt ermöglichen, Nutzungsrechte für ihre Werke festzulegen. Zu diesem Zweck kann sich jeder auf der Website der Plattform eigene Lizenzverträge zusammenstellen, die das Ob und Wie einer weiteren Nutzung regeln. So können Fotografen beispielsweise festlegen, dass sie mit der unkommerziellen Weiterverbreitung ihrer Werke einverstanden sind. Musiker können sich dafür entscheiden, dass jeder aus ihren Songs samplen darf, so lange er das Gleiche für die dabei entstehenden Stücke erlaubt. Und Autoren können erklären, dass sie eine Weiterverbreitung ihrer Texte in allen Medien erlauben, wenn sie als Urheber genannt bleiben.Die Idee ist so neu nicht. Software-Programmierer haben derartige Lizenzen schon lange für sich entdeckt. Das Betriebssystem Linux ist das bekannteste Beispiel für ein unter einer derartigen Lizenz vertriebenen Produkt. Linux wird auf Grundlage der "GNU General Public License" umsonst inklusive seines Quellcodes im Netz verbreitet. Auf der ganzen Welt arbeiten Programmierer daran, das System zu verbessern. Einige sind Hobbyisten, andere bessern kleine Fehler aus, damit die Rechner ihrer Firma besser laufen. Gemeinsam haben sie eines der erfolgreichsten Projekte kollaborativen Arbeitens geschaffen. Mittlerweile setzen auch Firmen wie IBM auf Linux. Und weil es als zuverlässiger als Microsofts Windows gilt, kommt es ab 2003 auf allen Servern der Bundestagsverwaltung zum Einsatz.Schon seit Jahren gibt es die Idee, ähnliche Lizenzen auch in anderen Bereichen einzusetzen. So schuf die Netz-Bürgerrechtsorganisation EFF im April 2001 die Open Audio License für Musiker. Französische Künstler haben eine Free Art License ins Leben gerufen. Manch ein Autor experimentiert auch damit, seine Texte einfach unter den Bedingungen einer der Software-Lizenzen zu veröffentlichen. Breitere Akzeptanz unter Kreativen fanden diese Ansätze bisher jedoch nicht. Viele haben Angst davor, so radikal auf ihre Urheberrechte zu verzichten. Ihnen gehen diese Lizenzen schlichtweg zu weit. Oder sie finden, dass die auf Software zugeschnittenen Lizenzen nicht auf ihre Werke anzuwenden sind. Was, fragt sich so manch ein Musiker, ist zum Beispiel der Quellcode eines Songs? Und warum sollte ein Maler eine Weiterverarbeitung seiner Bilder erlauben, wenn er die Version 1.0 eigentlich für perfekt hält?Creative Commons geht auf diese Vorbehalte ein, indem es individuelle Lizenzen anbietet, die sich an den spezifischen Interessen von Autoren, Musikern und Künstlern orientieren. Jeder kann sich auf der Website die Nutzungsrechte aussuchen, die am besten zu den eigenen Werken passen. Das Endprodukt gibt es dann in drei verschiedenen Versionen: Als bindenden Lizenzvertrag, in einer einfach verständlichen Textfassung für Nicht-Juristen und als maschinenlesbare Version. Letztere soll es beispielsweise Suchmaschinen ermöglichen, in Zukunft speziell nach Werken mit einer bestimmten Lizenz zu suchen. Auch Tauschbörsen-Programme könnten diese Daten dazu nutzen, nach Werken zu fahnden, deren Weiterverbreitung vom Autor ausdrücklich erlaubt wurde.Vorsitzender und geistiger Vater der Creative Commons-Plattform ist Lawrence Lessig, der als Jura-Professor an der Stanford-Universität lehrt. Lessig hat es mit seinen Büchern zur Zukunft des geistigen Eigentums mittlerweile zu weltweiter Berühmtheit gebracht. In seinem letzten Werk The Future of Ideas gibt er einen bedrückenden Ausblick auf die Zukunft. Das Internet, so Lessig, habe allein aufgrund seiner technischen Gestaltung ursprünglich das Potenzial zu einem kulturellen und sozialen Freiraum gehabt. Niemand habe irgend jemanden um Erlaubnis bitten müssen, um einen Dienst anzubieten oder Inhalte zu veröffentlichen. Doch mittlerweile werde das Netz zunehmend von wenigen großen Unternehmen kontrolliert, die Innovationen unterdrückten, um ihre Geschäftsmodelle zu sichern.Ein Dorn im Auge sind Lessig insbesondere die alten Medien- und Telekommunikationskonzerne, die AOLs und Vivendis dieser Welt. Glaubt man seiner Analyse, dann nehmen diese Big Player in den neuen Medien die gleichen Positionen ein, die sie auch schon in der traditionellen Medienlandschaft inne hatten. Sie werden zu Kontrolleuren des Zugangs, bestimmen, wer welche Inhalte zu welchen Bedingungen über ihre Leitungen vermarktet, wer welche Dienste zu welchen Zwecken anbietet. Ihre Mittel sind dazu regulierte Internet-Zugänge und Kopierschutz-Formate, die bestehende Nutzungsrechte technisch aushebeln.The Future of Ideas ist vielfach als pessimistische Utopie interpretiert worden. Doch für Lessig war das Buch vor allen Dingen ein Aufruf, aktiv zu werden und für eine freiere Informationsgesellschaft zu kämpfen. Ein Aufruf, dem sich auch sein Autor nicht entziehen konnte. In den letzten Monaten machte Lessig damit Schlagzeilen, dass er vor dem obersten Gerichtshof der USA gegen die derzeitige Copyright-Gesetzgebung prozessierte (siehe auch: Befreit die Maus!, Freitag, 48/2002). Creative Commons ist nun der Versuch, zu zeigen, dass es auch anders geht.Unterstützung bekommt Lessig dabei nicht zuletzt von zahlreichen Kollegen aus dem Universitätsbetrieb. Wissenschaftler mussten in den vergangenen Jahren weltweit mit ansehen, wie ihre Ressourcen zunehmend privatisiert werden. Wertvolle Informationsquellen verschwinden in kostenpflichtigen Datenbanken, technische und zunehmend auch biologische Entdeckungen werden durch Patente monopolisiert. Zu den ersten Nutzern der Creative Commons-Lizenzen gehört deshalb das Massachusetts Institute of Technology, das seinen Studenten seit dem September kostenlos Kursmaterialien zum Download im Netz anbietet.Noch ambitionierter ist ein Projekt der Rice-Universität, das ebenfalls von den Creative Commons-Lizenzen Gebrauch macht. Anstatt sich weiter auf die altbewährten Lehrbücher zu verlassen, entschied sich Informatik-Professor Rich Baraniuk vor drei Jahren dafür, Lehrmaterial ganz neu aufzubereiten. In einer modularen Netz-Umgebung sammelt er nun Texte von Mitarbeitern auf der ganzen Welt, die gemeinsam eine Art stetig wachsende Enzyklopädie ergeben.Als sich Baraniuk an die Realisierung machte, stand er jedoch plötzlich vor einem großen Problem: Die Rechtsabteilung seiner Universität wollte der freien Vergabe von Texten nicht zustimmen. Kollegen zögerten, eigene Werke in das System einzuspeisen, da sie dort von anderen verändert werden konnten. Die Lösung: Nutzungsverträge der Creative Commons-Plattform. "Die Leute verstehen wirklich, dass sie mit diesen Lizenzen nicht ihre Urheberrechte aufgeben und ihre Ideen einem potenziell sehr großen Publikum öffnen", sagt Baraniuk.http://www.creativecommons.org
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