Kein geschichtlicher Alzheimer

Im Gespräch Uwe Steimle, Schauspieler aus Dresden, über Ostalgie, die große Kehre und die Attraktivität des sächsischen Dialekts

A: Verabredung

FREITAG: Guten Tag, Herr Steimle, ich möchte gern mit Ihnen ein Interview machen.
UWE STEIMLE: Der begabte Uwe Steimle versuchte der Figur mit Hühnergackern beizukommen. Dies misslang.

Wie bitte? Was meinen Sie?
Eine Theaterkritik.

Wer hat die geschrieben?
Sie. Der Gruftwächter. Kafka. Dresdner Staatsschauspiel. 1988.

Aber 1995 habe ich Ihren Bello in Bulgakows "Hundeherz" auf dem Dresdner Theaterkahn als eine der bemerkenswertesten Darstellungen des Theaterjahres hervorgehoben.
Da haben Sie es wieder gutgemacht.

Sie auch.

B: Gespräch

FREITAG: Vor ein paar Jahren gingen Sie mit einem schwarzen Koffer in die Dresdner Staatskanzlei. Warum?
UWE STEIMLE: Ich habe am Telefon dem verantwortlichen Referatsleiter gesagt: "Ich bin Günther Zieschong, werde 70, und ich möchte wie Herr Biedenkopf zu seinem 70. Geburtstag 50.000 Mark haben. Ich will ooch mal in der Drachenschenke eenen steigen lassen wie Herr Biedenkopf." Und da hat er gesagt: "Hören Sie, Kurt Biedenkopf ist der Bürger Sachsens, und Sie sind ein Bürger Sachsens." Ende des Telefonats. Da wusste ich, ich bin doch noch nicht angekommen in der Bundesrepublik. Und bin´s bis heute nicht.

Für Nicht-Sachsen sei hier eingefügt: "Der Bürger Sachsens" zahlte damals für seine private Residenz am Loschwitzer Elbhang pro Quadratmeter weniger als Mieter in halbsanierten Vorstadtwohnungen. Und die "Landesmutter" forderte bei Ikea und Karstadt Rabatte, die der Normalbürger nur erträumen konnte. - Doch zurück zu Ihnen,Uwe Steimle, warum sprechen Sie in Ihren Programmen mit Leidenschaft Sächsisch.
Für mich ist der Dialekt ein Rückzugsgebiet. In einer Welt, wo alles globalisiert wird, ist der Dialekt nicht globalisierbar. Und Dialekt ist ein Stück Heimat. Ich kann bestimmte Sachen nur im Dialekt denken. Man denkt klarer im Dialekt, glaube ich.

Wie erklären Sie sich, dass Sächsisch auf der Bühne auch außerhalb Sachsens gut ankommt? Dialekt, da steckt das Wort dialektisch drin. Der Sachse sagt nicht alles, was er meint, meint aber immer, was er sagt. Und das ist eine wunderbare Form des Umgangs. Ich finde den Dialekt unglaublich anziehend. Man kann darüber lächeln, und das ist was ganz Weiches, und über das Lachen, wie Dario Fo sagt, öffnen sich die Köpfe.

Sie haben schlechte Erfahrungen?
Es gibt sehr viele Missverständnisse, und ich glaube, die kommen nicht nur aus Vorurteilen, sondern auch aus Angst. Angst, etwas Falsches zu sagen, Angst, etwas Falsches zu denken. Der Christian Grashof hat vor kurzem gesagt, das fand ich sehr bemerkenswert: Noch nie war ein so großes Schweigen wie jetzt.

Im MDR-Fernsehen wurde die von Ihnen geschriebene "Ostalgie"-Folge verboten, in der Sie sagten: "Die Einheit Deutschlands ist vollendet, wenn der letzte Ostdeutsche aus dem Grundbuch gelöscht ist."
Das ist dann doch gesendet worden. Auf Grund des Protests der Bevölkerung. Das fand ich toll. Das ist ja auch ein Stück Demokratie. Wollen wir mal festhalten: Wir leben noch in einer Demokratie, auch wenn die täglich scheibchenweise abgehobelt wird.

Allerdings hat es nie eine Wiederholung dieser sehr populären Serie gegeben. Sie wäre "zu dresdnerisch", hieß es.
Aber jetzt hätten wir eventuell wieder eine Chance, weil ja zuständige Menschen mehr dem Alltag der DDR auf der Pirsch sein wollen, nachdem man jahrelang den Schmutzkübel über uns ausgekippt hat - entweder alles Täter oder alles Opfer, was sowieso niemand mehr hören kann. Aber die werden sich schon was dabei gedacht haben, sagt dann der Sachse.

Was hat Sie bewogen, noch in DDR-Zeiten - als zweiter nach Tom Pauls - Erich Honecker zu parodieren?
Lust am Ausprobieren. Tom machte den eher lauten, ich den eher leisen Erich. Und ich muss sagen im Nachhinein: Ich hatte ein verdammtes Glück, dass die mit anderen Sachen beschäftigt waren. Aber ich bin kein Revolutionär, bitte nicht. Ich habe auch nicht zum Untergang der DDR beigetragen. Das waren andere wichtige Menschen.

Sie haben 26 Jahre in der DDR gelebt.
Gott sei Dank.

Gott sei Dank?
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich will die DDR nicht wiederhaben. Aber, wie der Peter Sodann sagt, man will sie sich auch nicht nehmen lassen. Mich stört vor allem, dass uns ständig erklärt wird, wie wir gelebt wurden. Wir haben die Revolution gemacht, und andre Menschen herrschen jetzt über uns. Ich fühle mich unterdrückt. Und es gibt noch Überlebende der Wende, einer sitzt hier, die sich nicht dem geschichtlichen Alzheimer verschreiben, sondern sagen: Ich kann vergleichen, ich weiß, wie es wirklich gewesen ist. Dieser Staat DDR war daran interessiert, dass sich auch einfache Leute mit der Grundfrage der Philosophie auseinandergesetzt haben: Ist die Welt erkennbar? Und heute wird uns ständig versucht zu erklären, sie sei nicht erkennbar, und es wird uns ständig erklärt, im Namen des Kapitals, dass die Welt nicht veränderbar sei. Und dem widerspreche ich energisch.

Sie hätten aus der DDR vieles mitgenommen, haben Sie gesagt.
Wir hatten - fast im urchristlichen Sinne - so ein Pathos, als ob wir für die Welt mitverantwortlich wären. Und das war ein ungemein schönes Gefühl. "Achte deinen Nächsten", "Schau, dass du helfen kannst" und vor allen Dingen "Vom Ich zum Wir" - das habe ich mit der Muttermilch eingesogen, und das sind Sachen, die mir gut bekommen sind.

Und Utopien, wie steht es damit?
Wenn eine Sache gescheitert ist, heißt das ja nicht, dass die Utopie, die Idee, der man sich annähern soll, allezeit vom Tisch ist. Die Utopie, dass es auch einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz geben muss. Ich würde Geld zum Kulturgut erheben, dann könnte man es nicht so leicht außer Landes schaffen und das Großkapital an die Kandarre nehmen. Sofort.

Sie haben das Wort "Ostalgie" erfunden. Warum benutzen Sie es nicht mehr?
Mit Ostalgie gemeint ist: Aus dem Spannungsverhältnis zwischen der Frau Bähnert, die zwei Diktaturen überlebt hat und Herrn Zieschong, der eine überlebt hat, aus dieser lebendigen geschichtlichen Erfahrung das Hier und Heute zu beurteilen. Und insofern ist "Ostalgie" überhaupt nichts Rückwärtsgewandtes oder "Ach, wie schön wars", sondern der Versuch, sich mit dem Alltag von heute auseinander zu setzen. Und auf diese Fähigkeit der Zuschauer habe ich immer vertraut.

Sie sagen auch nicht mehr Wende", sondern "Kehre".
Das sagt´s am besten. Jetzt geht´s wieder in die Gegenrichtung.

Sie wollten Schauspieler werden, lernten aber Schmied.
Von 80 bis 83 im Edelstahlwerk "8. Mai" - Tag der Befreiung. Es war die Befreiung vom Hitlerfaschismus für alle Deutschen und nicht nur, wie man jetzt gerne behauptet, für die Ostdeutschen.

Und wieso wurden Sie Schmied in Freital?
Zufall. Ich war als 100-Meter-Läufer Leistungssportler in einer Gesellschaft, die angeblich keine Leistungsgesellschaft war. Und da ich abtrainierte und alle Arbeitsplätze vergeben waren, wurde mir in der Schule geraten, ich sollte doch mal reinriechen, wie Arbeiter eigentlich arbeiten. Und da habe ich praktische Erfahrungen im Umgang mit Menschen gesammelt, und die prägen mich heute noch. Einzustehen dafür, was man sagt und was man tut. Ich habe immer versucht in der Brigade "Rosa Luxemburg" herauszustellen, dass ich bald etwas Besseres sei, nämlich Schauspielstudent. Und mir wurde klar gemacht, im Moment wäre ich doch aber Industrieschmied, und ich hätte mich ins Kollektiv einzufügen. Und als ich das begriffen hatte, die waren ja auch zahlenmäßig überlegen, von da an haben sich auch der Pressenführer und der 1. Ofenmann für mich interessiert, für meine Arbeit. Das war was ganz Berührendes.

Sie kehren von der Kabarettbühne und vom Film immer wieder zum Theater zurück. Macht Kunst die Menschen besser?
Unbedingt. Wer sich mit Kunst und Kultur beschäftigt, haut in der Regel keine Ausländer tot. Wer eine Geige in der Hand hat, hat schon mal keine Axt in der Hand. Ich hab ja die Gleichung aufgestellt: 21 Prozent Zunahme des Rechtsradikalismus, 55 Prozent mehr Gewinn der Deutschen Bank. Ich erinnere mich noch an ein Plakat von John Heartfield, das hieß "Millionen stehen hinter mir". Da war Adolf Hitler zu sehen und hatte die Hand zum Hitlergruß erhoben, aber es wurden Geldscheine draufgelegt. Wenn die Rechten erst wieder richtig salonfähig sind, dann machen die Deutsche Bank und alle, die bereitstehen, wieder mit. Hundertprozentig.

Durch "Polizeiruf 110" sind Sie bis nach Österreich und in die Schweiz populär. Kürzlich waren Sie für den Bayrischen Fernsehpreis nominiert.
Wenn ich den bekommen hätte, hätte ich gesagt: "Dass ich als Sachse, arbeitend in Mecklenburg-Vorpommern für den Norddeutschen Rundfunk, der in Hamburg sitzt, in Bayern einen Preis bekomme, wenn das kein Zeichen für Globalisierung ist, dann weiß ich auch nicht mehr." Es wurden dort über hundert Sendungen eingereicht, und unser Team kam unter die letzten drei. Das ist eine wunderschöne Wertschätzung.

Was interessiert Sie an Ihrer Figur, dem Hauptkommissar Hinrichs?
Der Mann tritt zwar nach unten und buckelt nach oben, besitzt aber gleichzeitig eine große Liebenswürdigkeit. Er setzt sich nämlich mit philosophischen Fragen auseinander und beobachtet wichtige Kleinigkeiten. So fällt ihm bei einer Fahrt durch Mecklenburg-Vorpommern auf, dass im Hintergrund auf einer Leine sieben Schlüpfer hängen, getragen von einer Wäschestütze, und er weiß, dass dort die Welt in Ordnung ist. Und wenn das der Zuschauer mitbekommt, dann ist das, was da hinten abläuft, wichtiger als das, was ich erzähle. Und da kann ich nur sagen: Danke, Norddeutscher Rundfunk, dass solche Filme möglich sind. Denn wir sind ja der Gegenpol zu diesen riesigen Schinken wie Dresden, wie Sturmflut und diesem ganzen Schwachsinn, wo die Geschichte auf den neuesten Stand der Lüge gebracht wird.

In Edgar Reitz´ Fernsehfilm "Heimat 3" spielten Sie den Gunnar, der nach der Wende vom Leipziger Gewandhaustechniker zum Millionär und Knastbruder wird. Sie sagten, die Rolle habe viel mit Ihrem Leben zu tun.
Ich konnte mich da einbringen, auch mit kleinen Beobachtungen. Bei dem Gunnar, den ich spielen durfte, ist eben diese große Unsicherheit - zu glauben, man hat´s geschafft und fällt wieder auf die Nase und fängt wieder von vorne an. Und so ist das bei mir jeden Abend. Ich werde mit jedem Auftritt ängstlicher. Lampenfieber im Sinne von: Wird s denn gut gehen?

Für viele Menschen sind Sie eine selbstbewusste Stimme aus dem Osten. Wie vereinbaren Sie diese Haltung mit Ihrem Bild von Deutschland, das Sie als Ihre große Heimat ansehen?
Mit dem Mut des Verzweifelten. Ich wünsche mir, es gäbe mehr Leute, die für dieses Land einstehen. Viele denken schon das Richtige, haben aber oft nicht den Mut, den Mund aufzumachen.

"Das Richtige" - was ist das?
Aus dem Bauch heraus spürt jeder, was Unrecht ist. Dass man dagegen aufstehen muss. Das kann man manchmal auch mit Kleinigkeiten, man kann helfen, man kann spenden, man kann immer schauen, dass es dem andern gut tut, und das tut einem selber auch gut. Und was heißt Ostdeutscher. Es ist für mich was Wunderbares, bei meinen Programmen festzustellen: Es gibt auch in Bayern Menschen, die ticken ähnlich wie ich, auch in Ludwigshafen, in Kiel. Es gibt keine besseren Menschen, weder in Ostdeutschland noch sonstwo.

Und Heimat?
Heimat ist Trachau in Dresden, der Hinterhof, wo meine Mutter unsere Schlüpfer aufgehängt hat. Und ich möchte immer jemand haben, der sagt: Uwe, flieg mal nicht ab. Wie meine Frau, wenn ich mal anfange zu spinnen, was ich noch alles machen könnte, mich selber lobe - auch eine dumme Eigenschaft von mir - und die sagt dann: Geh doch mal in den Keller, wir brauchen noch Marmelade.

Das Gespräch führte Lothar Ehrlich

Der nächste Polizeiruf 110 mit Uwe Steimle als Hauptkommissar Hinrichs zu sehen am 3. September, 20.15 in der ARD


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