Ist es nicht niedlich, wie sie in Hamburg derzeit von Litfaßsäulen und Plakatwänden gucken? Die kleine Jil, die kecke Ina, der schlagkräftige Alexander und natürlich Jonathan, der ewige Lausbub der Kunst. „Der fünfte Geburtstag ist erst der Anfang“, steht über den Kinderbildern hanseatischer Promis. Es gilt ein Haus zu feiern, das nicht einfach nur eine 789 Millionen Euro teure Philharmonie ist, sondern angeblich „ein Haus für alle“. Ein Gebäude, das, wenn man von der richtigen Seite draufschaut, auch an den Umriss einer Narrenkappe erinnert. „Elphi“ sagen sie zwischen Alster und Elbe liebevoll, als sei das vollverglaste Hochhaus ein muckeliges Wohnzimmer. Für das solvente Bürgertum mag das zutreffen, der Rest fährt mit der Rolltreppe zur zugigen Plaza und genießt den – auch sehr schönen – Blick über den Hafen.
Als die Elbphilharmonie vor fünf Jahren den Konzertbetrieb eröffnete, nach einer 14-jährigen Planungs-, Skandal- und Bauphase, galt es erst einmal, die zahlreichen Kritiker zu beruhigen. Weltstars wie Yo-Yo Ma, Anne-Sophie Mutter und Cecilia Bartoli demonstrierten die künftig zu erwartende Flughöhe; mit zwei Konzerten der Einstürzenden Neubauten machte die Marketing-Abteilung einen smart augenzwinkernden Punkt. „Die Eröffnung der Elbphilharmonie wurde sogar auf dem Times Square in New York gefeiert – die ganze Welt ist begeistert von Hamburgs neuem Wahrzeichen“, jubilierte die Welt nach 100 Tagen Betrieb. Waren wir wieder einmal Weltmeister geworden? Diesmal in Sachen Kultur? Das kommt auf den Standpunkt an. „Die ‚Weltpresse‘ hat seit dem Eröffnungsjahr keine ausführlichen Berichte mehr über die Elbphilharmonie geschrieben“, weiß die Süddeutsche Zeitung. Rund 80 Prozent der Besucher kommen aus dem Großraum Hamburg. Aber auch vielen weit gereisten Schwaben und sonstigen Touristen geht es vor allem ums Gucken und Staunen. Das Architektenbüro Herzog & de Meuron hat tatsächlich einen spektakulären Augenschmaus abgeliefert. Wird es deshalb im großen Saal nie so richtig dunkel? Immerhin erkennt man so, wie viele Besucher sich regelmäßig vor Ende des Konzerts, allein oder in kleinen Gruppen, aus dem Saal schleichen. Im Deutschen Schauspielhaus würde das Publikum wohl meutern, bei so viel gut ausgeleuchtetem Blickkontakt mit den Rängen gegenüber. Und günstig sind die Plätze im großen Saal ja auch nicht. Selbst wenn es auf der Webseite heißt: „Tickets ab 12 Euro“. Kennen Sie jemanden, der mal eins dieser Schnäppchen hoch oben unterm Dach ergattert hat?
Grundsätzlich gilt das Naheliegende: Die Nachfrage nach gediegener Orchester-Klassik ist größer als die nach mutigeren Klängen – Mahler schlägt Zimmermann. Unter dem Motto„Witness! Composed and Directed by Solange Knowles“ versuchte die Pop-Großkünstlerin und Beyoncé-Schwester 2019 den globalen Anspruch des Hauses einzulösen. „Please come fitted in ya finest all black“, wünschte sie sich auf Twitter. Das Publikum war so jung und divers wie noch nie, doch ganze Reihen blieben leer (und die Performance weitgehend hinter den Erwartungen zurück).
Trotzdem sind Konzerte in der Elbphilharmonie etwas, das man sich gerne mal gönnt. Für die meisten ist es die Ausnahme vom Alltag, nicht das kulturelle Wohnzimmer. Musikalisch ist es eher der kleine Saal, der überrascht und auch noch bezahlbar ist: Die Sopranistin Asmik Grigorian – im von Rosemarie Trockel kuratierten Paket mit Kristof Schreuf und der Electro-Band Kreidler – war jedenfalls ganz großes WOW!
Kommentare 5
Warum dieser Spott und Häme? Verstehe ich nicht. Der Bau war natürlich viel zu teuer und skandalös. Dafür kann jetzt aber erstmal weder das Gebäude, noch das Programm, noch die Besucher etwas.Die Elphi ist für die Hamburger zur Landmarke geworden, wie z.B. die Köhlbrandbrücke. Das Gebäude ist kostenlos erfahrbarer, als ich es ansonsten von vielen Landmarken, Achtung: WELTWEIT, kenne. Ja, natürlich, manche Teile des Programmes im großen Saal sind nur für bestimmte Interessengruppen interessant. Ja, wenn man Anne-Sophie Mutter sehen will, ist das nicht billig. Ja, mag sein, dass die Presse weltweit nicht mehr darüber berichtet. Sie insinuieren ja gleich zum Auftakt hämisch "der geplante Weltruhm"... Von da an geht es nur noch abwärts. Und wenn die ausserordentlich hohe Besucherzahl für Saal und kostenlose Plattform hauptsächlich aus Hamburg und dem Umland kommt: Ja und? Das Gebäude ist in Hamburg angekommen.Ihre Häme und Verbreitung von Stereotypen über Bevölkerungsschichten und deren Beurteilung sagt mehr über Sie aus, als über sonst irgendwen.
Der Artikel ruft ein wenig nach das suizidale Programm der protestantischen Kirchen auf: Die Zahlen zählen, der Markt der Möglichkeiten, alle sind eingeladen, alles ist egal. Jung ist toll. "Divers" ist toll. "Anders" ist toll. usw. usf.. Da sind dann die altgebliebenen und die schon vergreisten Jungen und diverse Teil des Mainstreams oder die gemainstreamten Diversen.Spätestens seitdem "Musik" gefunden wurde, die zum das Radio passt, ist die E-Musik im Sterben begriffen.Es gibt eben auch Dinge, die Untergehen - und da gibt es dann, eben zum Schluss noch großes Feuerwerk - wie Prospero es in Shakespeares Sturm es veranstaltet. Mahler/Elfi sind vielleicht ein Teil davon. Dass dieses Feuerwerk dann schon von dem Kommenden, Anderen übernommen wird, ist klar und wohl unvermeidbar.
Der Artikel redet dem wohl unausweichlichen Wort: Der Angriff der Gegenwart auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die zukünftige Zeit (oder wie war das?) Klar scheint mir, dass diese feindliche Übernahme gerade nicht dort beginnt, wo es wirkt als würde das "Neue" vom "Alten" mit freundlich gönnerhaftem Gestus sadistisch angetrieben/vor sich hergetrieben. Hamburg scheint mir - aus der Entfernung (sic!) da irgendwie leer und insofern frei für die Übernahme. Die Elfi ein verzweifeltes Feuerwerk - sprechend, dass der Konzertsaal fast daherkommt wie eine Raubkopie des Urknalls der Moderne in Sachen Klangraum, der inzwischen unter Denkmalschutz steht.Ein Stückchen Trauer umd das, was möglich war oder ist (nicht in Hamburg vielleicht) - eine Streicheinheit - hätte mir da gut getan.
Schöner Kommentar eines hübschen Artikels. Der Trost liegt im letzten Absatz - im Hinweis auf den Kleinen Saal. Im übrigen blüht in Hamburg die alte Musikhalle wieder auf...
Reden wir von Überraschungen:
“Please come fitted in ya finest all black”.
Mann-oh-Mann, die Schwester von Beyoncé.
Großer Fisch in Hamburg, und wie weit vom Fischmarkt?
Echt international. Ganz echt.
Aber in Sao Paolo hat’s keiner gemerkt. Oder in Sydney.
Knallköppe.
Aber einmal ehrlich.
Wir können das sowieso viel besser, oder?
https://www.youtube.com/watch?v=zMrgwLxYCU8
An der Waterkant im Matrosenanzug, natürlich.
Ganz echt.
Mal abwarten: Die fliegende Architekturkritik hat schon so manchen Schandfleck beseitigt. :-D