Mit einer Beinverletzung kehrte Zeljko Vukelic aus dem Bürgerkrieg nach Hause zurück. Inzwischen hat ihn verletzter Stolz auf einen ganz anderen Kriegspfad geführt. Die Front bei diesem Gefecht fühle sich an wie eine offene Wunde – es sei wie 1995 in der Krajina, beschreibt der Sekretär des Veteranenbundes SVS den Kampf, den er derzeit mit der Regierung in Belgrad austrägt. „Manches erinnert an das Schlachtfeld, auf dem ich vor 20 Jahren kroatischen Truppen gegenüberstand. Man sitzt herum und wartet darauf, dass etwas passiert. Irgendwann geht die Geduld verloren, und man sagt: ‚Bringen wir uns doch einfach gegenseitig um‘.“
Die Männer, die einst zu den Waffen griffen, um in Kroatien für Serbien zu kämpfen, werf
pfen, werfen dem serbischen Staat Verrat vor, weil er ihnen Pensionen und Sozialleistungen vorenthält. „Ich könnte innerhalb von zwei Stunden 20 Mann zusammenbringen, die bereit wären, ihr Leben zu geben, wenn ich es befehlen würde“, sagt Vukelic. Nur noch verzweifelt seien seine Kameraden.In Zagreb nimmt der kroatische Veteranenführer Mirko Ljubiciv die Nachricht von der Not der einstigen serbischen Gegner mit unbewegter Miene zur Kenntnis. Ein gelegentliches Schnalzen mit der Zunge könnte man als Zeichen des Mitgefühls deuten. Ljubiciv muss sich keine Sorgen machen, sein Veteranenverband HVIDRA hat nichts an Einfluss eingebüßt. Im Gegenteil, der ist größer denn je. „Nur Veteranen können in Kroatien heute noch über 50.000 Menschen auf einem öffentlichen Platz versammeln“, freut sich Ljubiciv und spielt auf den Protest an, der jüngst anschwoll, als Ortsschilder in serbischem Kyrillisch aufgestellt werden sollten.Im Unterschied zu Vukelic lobt Ljubiciv den Umgang seiner Regierung mit ehemaligen Soldaten. Für „standhafte Patrioten“ wie sie führe der Weg oft in die oberen Sphären von Geschäftswelt und Politik. Da mögen die früheren Feinde viel von ihm lernen. „Von dem, was wir erreicht haben, können serbische Veteranen nur träumen.“ Sie können es in der Tat, viel Mitgefühl erfahren Hunderttausende von Serben, die zwischen 1992 und 1999 gekämpft haben, in der Regel nicht. Im Ausland ist ihr Image unauslöschlich mit Gräueltaten verbunden, selbst ihre Landsleute sehen sie inzwischen eher mit Argwohn. In Kroatien dagegen werden Leute wie Ljubiciv als Branitelji (Verteidiger) gefeiert.Als Krieg nicht anerkanntIn den Balkankriegen, die von Jugoslawien so gut wie nichts übrig ließen, erklärten sich jene zu Siegern, denen es gelang, nationale Selbstständigkeit zu erringen – Kroatien, Slowenien, Mazedonien, das Kosovo oder die Republik Srpska in Bosnien-Herzegowina. Veteranen, die für die Souveränität dieser Territorien ihr Leben riskierten, erfreuen sich heute großzügiger Pensionen, sozialer Anerkennung und eines gewissen öffentlichen Einflusses.Derart mit ihnen umzugehen, verlangt schwachen Volkswirtschaften viel ab. Dennoch hat sich die Politik in Zagreb, Ljubljana, Sarajevo oder Priština – ganz gleich, wie gern sie das tat – entschieden, diesen Preis zu zahlen. Männer, die bei den Wählern als Freiheitskämpfer gelten, will man gnädig stimmen. Aber einer maroden serbischen Ökonomie fehlen die Substanz und der Rückhalt in der EU, um mit eigenen Veteranen ebenso verfahren zu können. Eine Regierung in Belgrad nach der anderen hat es versäumt, Gesetze zu erlassen, die Veteranen als gesellschaftliche Instanz würdigen.Verlierer des BürgerkriegsEnde der neunziger Jahre konnte es keinen Zweifel geben, dass Serbien der größte Verlierer des Bürgerkrieges war. Innerhalb eines Jahrzehnts hatte die serbische Armee gegen Kroaten, Bosniaken, Kosovo-Albaner und schließlich die NATO gekämpft. Das von Belgrad kontrollierte Gebiet wurde dezimiert und zerstückelt. Durch die Vertreibung aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien oder dem Kosovo mussten ethnische Serben Gebiete verlassen, in denen sie jahrhundertelang gelebt hatten. Sie alle strömten ins serbische Kernland, in dem etwa 300.000 Vertriebene aufgenommen wurden, gut vier Prozent der 7,2 Millionen Menschen, die der serbische Staat an Einwohnern zählt.Allerdings wird in Belgrad nur einer der vielen Konflikte jener Jahre zwischen 1992 und 1999 als Krieg anerkannt: Die Konfrontation mit der NATO im Frühjahr 1999. Alles, was es sonst an Kampfhandlungen gab, wird offiziell als Aufstand, Zusammenstoß oder Manöver gewertet – getreu der Argumentation, Serbien habe nur gekämpft, um die Einheit Jugoslawiens zu wahren. „Es scheint so, als sei es von Anfang an darum gegangen, Verwirrung zu stiften“, erzählt Milan Zivic. „Ich wurde seinerzeit zwar an die Front beordert – doch hieß es in meinem Einberufungsbescheid, ich hätte an einer Militärübung teilzunehmen.“Für Zivic wie andere ergibt sich daraus: Für Kriege, die offiziell nie geführt wurden, und das von einem Staat, der im Jahrzehnt nach 1990 nicht in seiner jetzigen Form existierte, können nicht einfach Leistungen verlangt werden. Ohnehin gibt es keine verbindliche Definition dafür, wer als Veteran zu gelten hat, da Soldaten und Milizionäre einst von verschiedenen Instanzen rekrutiert wurden. Dafür infrage kamen Warlords wie Željko Ražnatović (genannt Arkan), obgleich es sich bei den von ihm geführten Hardcore-Nationalisten um die Ausnahme handelte. Die Regel waren paramilitärische Gruppierungen, die vorzugsweise aus serbischen Bevölkerungsgruppen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina formiert wurden, teilweise unterstützt von der serbisch dominierten jugoslawischen Volksarmee mit ihren Berufssoldaten.Wie in der AnstaltBis heute gibt es in Serbien – anders als in Kroatien – kein Gesetz, das sich auf die vor zwei Jahrzehnten Rekrutierten und Einberufenen anwenden ließe. Veteranen genießen keinerlei Sonderstatus. Es gibt noch nicht einmal belastbare Schätzungen über die Zahl der Betroffenen. Veteranenverbände sprechen von 800.000 ehemaligen Kämpfern, während die Soziologin Olivera Markovic meint, es dürften sehr viel weniger sein, möglicherweise nur halb so viel. „In der serbischen Gesellschaft werden Kriegsheimkehrer noch immer mit Slobodan Milošević in Verbindung gebracht, dem Staatschef aus Kriegszeiten, aber weder dessen Anhänger noch Kritiker haben viel für diese Ehemaligen übrig. Wer gegen Milošević war, der betrachtet die Veteranen als angeheuerte Killer“, sagt Markovic. „Und wer Milošević liebte und verehrte, der ist der Auffassung, die Veteranen hätten den Krieg verloren und verdienten keine Privilegien.“Ljudevit Kolar, früher Sanitäter bei der Volksarmee, betreut Veteranen, die an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Viele seiner alten Kameraden fänden sich in der Gesellschaft nicht mehr zurecht. „Sie haben schlimme Dinge erlebt, die sie noch immer verfolgen, doch niemand versteht sie oder hört ihnen wenigstens zu.“ Er selbst habe einst Gefallene identifiziert und sei nach seiner Rückkehr von der Front monatelang „öfter betrunken als wach“ gewesen. Es bringe nichts, über den Krieg zu reden. „Was soll man schon erzählen? Dass ich gesehen habe, wie eine Kugel einen Holzbalken neben meinem Kopf zertrümmert hat? Die Leute würden mich angucken, als sei es mein Kopf gewesen, der zertrümmert wurde.“ Er erwarte nicht viel von den Behörden. „Es gibt keinen verantwortungsbewussten Staat, also steht den Veteranen das gleiche Schicksal bevor wie Verrückten in einer psychiatrischen Anstalt. Man tut so, als würde man sie behandeln, wartet tatsächlich aber nur darauf, dass sie den Löffel abgeben.“Der Veteranenverband SVS will von solcherart Fatalismus nichts wissen. Er streitet mit der serbischen Regierung über den noch ausstehenden Sold für Soldaten und Milizionäre, die 1999 im Kosovo eingesetzt waren, als die NATO ihre Luftangriffe flog. Der Konflikt wird gerade vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt. Eine Ironie, findet Mile Milošević, der das Verfahren mitverfolgt. „Es gibt in dieser Kammer 17 Richter aus 17 Ländern, bei denen es sich fast ausschließlich um Bürger aus Mitgliedsländern der NATO handelt, die uns seinerzeit bombardiert hat. Und jetzt müssen wir diese Leute um juristischen Schutz vor unserem eigenen Land bitten.“Priorität EU-BeitrittEin Anwalt, der serbische Militärs verteidigt hat, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden, sagt – gegen die Zusicherung von Anonymität –, Belgrads Wunsch, der EU beizutreten, wirke sich möglicherweise auch auf den Umgang mit den Veteranen aus. Sollte man sich mit den ehemaligen Soldaten einigen, könnte das in einigen EU-Hauptstädten schlecht ankommen. Möglich, dass Konzessionen an die Nationalisten als stillschweigende Anerkennung ihres Anteils an den Balkankriegen aufgefasst würde. Dem Staat Serbien falle es leichter, seine Veteranen zu ignorieren, als erklären zu müssen, warum er sie versorgt. „Dabei geht es der Regierung in Belgrad vermutlich weniger um Rechtsfragen als um die Außenwirkung“, glaubt der Anwalt.So besteht eine paradoxe Lage – während Serbiens Ex-Soldaten rechtlich in eine Grauzone abgedrängt werden, ist den kroatischen Veteranen ein Platz in der Geschichtsschreibung ihres Landes sicher. „Ihre Namen werden ewig weiterleben. Wir wollen diese Menschen auf besondere Weise ehren“, so der zuständige Minister Pedrag Matić, der auch die Bedeutung eines weit gefassten Gesetzes hervorhebt, das die Fürsorge durch den Staat regelt – und über das Serbien eben nicht verfüge.„Eine gesetzliche Definition, wer als Kriegsveteran gelten kann, ist wichtig. Sie schützt Männer, die im Gefecht standen, ebenso wie ihre Frauen und Kinder“, so Matić. So haben Kroatiens Ex-Kombattanten Anspruch auf eine bevorzugte Behandlung, wenn Sozialwohnungen, Ausbildungs- oder Arbeitsplätze vergeben werden. Wer im Bürgerkrieg verletzt wurde, erhält eine einmalige Beihilfe von umgerechnet 800 Euro, dazu eine monatliche Mindestrente von 260 Euro, die jedem Veteranen gewährt wird. Derartige Leistungen sind für Serbiens Frontkämpfer tabu, es sei denn sie gelten als Kriegsversehrte oder dienten vor Ausbruch der Balkankriege als Berufsmilitärs in der Armee.„Vanja“, der nicht mit seinem richtigen Namen erwähnt werden will, hat sich mit 19 freiwillig zum Kriegseinsatz gemeldet und als serbischer Paramilitär in Bosnien-Herzegowina und Kroatien gekämpft. Völlig verarmt und von einem Zittern der Hände geplagt, bettelt er in der Stadt Bačka Palanka um Almosen. „Ich wünschte, ich wäre verwundet worden“, sagt er. „Dann hätte ich jetzt wenigstens ein kleines Einkommen.“
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