Rock ´n´ Roll Niggas Patti Smith setzte unübertroffene Maßstäbe für ein neues Frauenbild in der Rockmusik. Ein Hommage anlässlich ihrer Deutschlandtournee
Im gegenwärtigen Kontrollgesellschafts-Fitness-Gesangsstunden Rhythm and Blues-Wahn" gebe es kaum noch wütende Frauen-Stimmen, keine Gegenkultur, nurmehr Frauen, die sich "selbst verarschen durch Anpassung", schreibt die Musikjournalistin Kerstin Grether in der letzten Ausgabe von Intro, und meint damit die Allgegenwart der schönen (schwarzen) Frauen mit professionell gepflegten Stimmen im kommerziellen Pop-Mainstream, die als neue "Diven" apostrophiert werden - mit all den konventionellen Weiblichkeitsmarkern, die eine solche erfüllen soll: schön, gefällig, froh. Dass es nicht so schlimm um die Vielfalt der Rollenmodelle für Frauen im Musikgeschäft bestellt ist, dass auch unangepasstere Varianten zu finden sind, zeigt eine Mini-Genealogie anläs
ogie anlässlich der Deutschland-Tournee eines der frühen wilden Mädchen im Rock. Patti Smith war Mitte der siebziger Jahre eine Ausnahme im Männerreservat Rock ´n´ Roll, sie hat die dort eng gesteckten Grenzen des weiblichen Stars weiter gedehnt als alle vor ihr und dennoch Erfolg gehabt. Selbstbewusst hat sie Intellekt und die Macht des Wortes mit künstlerischem Ernst für sich in Anspruch genommen, der hypnotisch-wirr delirierende Arthur Rimbaud war ihr poetisches Vorbild. Ihre lyrischen Schöpfungen waren nie gefällig, sondern beschworen mal düstere Visionen, mal konfus-genial anmutende Utopien, und ihre Texte zeigten, dass auch Frauen destruktive Zustände kennen. Ihr Habitus war ebenfalls unkonventionell: Kein Lächeln für die Kamera, statt dessen Achselhaare und ein nicht-wegretuschierter Damenbart auf dem Cover; und zwischen gestisch stark intensivierten Spoken-Word Darbietungen ihrer eigenen Werke hagelte es un-ladylike emphatisch, fast missionarisch vorgetragene Geißelungen gesellschaftlicher Missstände von der Bühne. Sie war herb, ungeschminkt und androgyn-sexy in ihren viel zu großen Männeranzügen. Und sie machte großartig krachende Drei-Akkorde-Rockmusik wie die Jungs damals. Heute setzt sie ihre Sogkraft eher idealistisch ein, um die um soziale Gerechtigkeit bemühten Kräfte in der Welt zu unterstützen. "Wahlt Schroidder", rief sie ihrem Kölner Publikum zu und wurde einige Tage später in Berlin prompt zum Kanzlerfest geladen. Ihr Album Gung Ho (2000) ist allerdings den großen kompromisslosen politischen Utopisten gewidmet, exemplarisch HoChiMinh, und auch für die noch immer ums Glück geprellten Nachfahren der SklavInnen ihres Heimatlandes USA schlägt ihr engagiertes Herz. Keine Frage, Smith war gut und wichtig - Michael Stipe von REM erklärte einst, dass es seine Band nicht geben würde, hätte er nicht in einer entscheidenden Phase das abgefahrene Improvisationsstück "Birdland" auf Smiths erster LP Horses gehört. Aber sie war noch wichtiger für neue weibliche Bilder und Rollen im Rockgeschäft. Nach ihr - und nach Punk - war Frauen der Zugang zu extremeren Positionen leichter möglich, blühten, um Rimbauds role model Baudelaire zu bemühen, großartige weibliche Blumen des Bösen, Giftigen, Ungesunden, Blumen des Widerstands gegen patriarchale Normen und Beschränkungen. Die weiblichen Außenseiter-Images nahmen Konturen an, kaputte Chicks aus Garagenland bemächtigten sich der nicht mehr schönen Künste. Mit "Rock ´n´ Roll Nigger" hat Patti Smith den radikalen Künstler-Außenseitern auf ihrem Album Easter (1978) eine Hymne gesetzt. Weibliche Rock ´n´ Roll Niggas heißen Polly Jean Harvey, Kim und Kelley Deal, Kathleen Hanna, Hanin Elias, Peaches oder sogar Courtney Love - sie alle brechen auf unterschiedliche Weise die stillen Vereinbarungen von (weißen) Geschlechterkonventionen. PJ Harvey zum Beispiel ist die geniale Fortführung der frühen, dunklen Patti Smith mit raffinierteren Mitteln, auch wenn Harvey zehn Jahre Erfolg brauchte, um sich die direkte Verbindungslinie zu Smith durch musikalische Reverenzen einzugestehen (in "Horses in my dreams" und "Kamikazee" auf dem Album Stories from the City). Beide eint eine ausgeprägte Rock ´n´ Roll Animalität bei gleichzeitig diffus auftretendem Kunstanspruch in den übercodierten Texten und den Selbstinszenierungen oder in Nebenprojekten mit anderen Künstlern. Sie eint der Eindruck seelischer und körperlicher Zerbrechlichkeit bei gleichzeitig zähnebleckendem Furor, und die Preisgabe unguter Seelenzustände (Einsamkeit, gekränkter Narzissmus, Egomanie, emotionaler Exzess) weiblich konnotierter Personae. Sie eint auch der Sexappeal des Aparten, ein Tomboy-Image, leidenschaftliche Kühle und Stimmen mit rauchigem Timbre im Altbereich und parodieverdächtigem Schlag ins Hysterische bei hohen Frequenzen. Polly ist, was aus Patti hätte werden können: dunkles, heißes, eigenwilliges Magma noch ungeformter, vielleicht sogar geschlechtsunspezifischer Regungen und Ängste, gegossen in düster funkelnden Rock ´n´ Roll. In der Erbfolge sind ebenfalls Kim und Kelley Deal, The Breeders, zu nennen, die in ihren dynamisch-asketischen lo-fi Sound Gitarrenbretter mischen, die so hart und kantig daherkommen, dass einem schwindlig wird. "Cool as Kim Deal" - so wird die eine schon heute von Nachwuchsbands wie den Dandy Warhols besungen, und cool ist kein Ausdruck für die ehemalige Pixies-Bassistin. Was die rauen Deals zu echten Rock ´n´ Roll Niggas macht, ist ihr exzessiver Lebenswandel zwischen Alkohol, anderen Drogen, Entziehungskur, schlechter Kleidung, Verzweiflung und großartigem Gespür für den richtigen Sound. Ihre lässige Ablehnung femininer Posen und ihre großmäuligen, derben Flüche sind cooler als Patti je sein könnte. Sex and Drugs and Rock´n Roll nun auch für Frauen. Kathleen Hanna, ihre aktuelle Band Le Tigre und ihre Vergangenheit als Fackelträgerin der Riot Grrrl Revolution im Grunge-Rock Anfang der Neunziger ist ein weiteres Indiz für die Etablierung neuer Frauenbilder im Rock. Hanna und ihre Bandkolleginnen stehen für explizit feministischen Aktivismus. Die Texte thematisieren Vergewaltigung, inzestuösen Missbrauch und andere Formen sexueller Gewalt gegen Frauen und rufen zur Gegenwehr auf. Während der Konzerte laufen Videos, die fröhliche Kämpfe und Bilder von feministischen Demos zeigen, und dazu haben die Frauen ein paar Tanzschritte eingeübt, die eher nach Selbstverteidigung als nach Go-Go Girls aussehen. Sie verweigern Erwartungen nicht durch Unterlassung, sondern durch muntere Parodie. Eine weitere Variante wird von Peaches verkörpert, die durch Texte und Performance für eine selbstbestimmte, lustvoll besetzte sexuelle, weibliche Subjektivität steht. Als Antipoden funktionieren Hanin Elias oder die Band Lolita Storm, deren ungefilterte Aggression und Chaos in Wort und Klang die extremste Form, sich als Frau "anders" zu präsentieren, darstellt - Frauen wie Derwische, die sich auf dem Boden winden, sich die Lunge aus dem Leib brüllen vor Klangwänden, die kaum mehr als Musik, sondern als aggressive Bedrohung erfahren wird. Es sind grausam-strapaziöse Parodien auf das alte Klischee von der Angst der Männer vor der Frau. Das Projekt der Rock ´n´ Roll Niggas, der Extremistinnen im Rock entwickelte sich also souverän weiter, während Smith fünfzehn Jahre lang Familienpause genommen hat und als Alt-Hippie zurückgekehrt ist. Danke, Patti.
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