FREITAG: Hr. Knepperges, ist der Quereinstieg ins Regiefach, das Drehen ohne schulische Ausbildung, ein Vorteil oder ein Handicap? RAINER KNEPPERGES: Sich einzubilden, ein Außenseiter zu sein, ist jedenfalls schon mal ein wichtiger erster Schritt in die Selbstüberschätzung. Und die ist notwendig zum Filmemachen. Viele Leute, ob sie unseren Film nun mögen oder nicht, nennen mich und Christian Mrasek Laien oder Autodidakten, aber das dient nur eigentlich dazu, einen Verdacht zu umschreiben, den man hat, weil der Film "irgendwie anders" ist. Und diese vermutete Andersartigkeit hat vielleicht damit zu tun, dass uns die Ausbildung fehlte, um vor Beginn des Drehs die ästhetischen Risiken unserer Arbeit abzuschätzen. Es sieht so aus, als ob wir da ganz naiv reingeprescht sind. Doch das stimmt nicht, wir haben vorher viele Kurzfilme gemacht und Tausende von Filmen gesehen. Aber man sieht halt, dass wir keine klassische Ausbildung haben. Ich glaube aber, dass man auch den Werken guter Regisseure, die eine Filmhochschule besucht haben, diese Ausbildung nicht anmerkt. Das Meiste haben wir von großen Regisseuren gelernt, die unseren Filmclub 813 in Köln besucht haben. Von denen färbt so was ab. Das ist nichts, was man einem beibringen kann, sondern eher das, was Klaus Lemke "attitude" nennt. Der Kontakt mit anderen Menschen, die sich selbst überschätzen, das ist an sich schon mal wertvoll.
Klaus Lemkes spielt ja nicht nur eine kleine Rolle im Film, sondern auch eine große bei seiner Entstehung. Wie hat er Sie inspiriert? Klaus Lemke ist ein grandioser Sprücheklopfer. Wenn er einem am Telefon so tröstende Worte sagt wie: "Film ist kein klassischer Mädchensport", dann ist man auch ein bisschen empört, aber es kommen einem auch fast die Tränen. Lemke verheimlicht nicht, dass es eine ungeheure Anstrengung der Selbstbehauptung ist, den nächsten Film machen zu wollen, auch wenn alle anderen sagen, dass man aufhören soll.
Eine Außenseiterposition nimmt im deutschen Kino auch der Genrefilm ein, haben Sie dafür eine Erklärung? Das Problem hat vielleicht etwas mit der deutschen Definition des Autorenfilms zu tun, der klar vom Genrefilm abgegrenzt wurde und bei dem es vor allem darauf ankam, dass der Regisseur das Drehbuch selbst schreibt. Die Regisseure der Nouvelle vague hingegen haben unter dem Autorenfilm gerade das amerikanische Genrekino verstanden, also die Kunst, allem, was man vorgesetzt bekommt, Schauspieler, Budget, Drehbuch, seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Aber damit das funktioniert, damit sich so eine Handschrift entwickeln kann, braucht es eine serielle Produktion, eine ständige Wiederholung derselben Formel, von der man dann abweichen kann, und das hat ja auch etwas Trauriges. Es gibt ja gute Genrefilme im Fernsehen, Dominik Graf ist das beste Beispiel oder früher Zbynek Brynych, der einige tolle Episoden vom Kommissar gedreht hat.
Reden als frohe Tätigkeit spielt eine große Rolle in den "Quereinsteigerinnen". Wie erreicht man diesen Eindruck sprachlicher Spontaneität? Wir haben uns genau ans Drehbuch gehalten und nur sehr wenig improvisiert. Aber wir haben manche Szenen so oft gespielt, bis Fehler kamen. Dann muss der andere reagieren, und dann wird es plötzlich besser und lebendiger. Mitunter kam ein spontanes Lachen auf, das genau an der Stelle passte. Der Zuschauer kann nicht anders, als es für ein Lachen zu halten, das im Drehbuch stand, er muss ja alles als gewollt hinnehmen. In Deutschland gab es ja auch schon mal eine Zeit, als Sprechen als frohe Tätigkeit verstanden wurde. In den fünfziger Jahren wurden die besten Filme, nämlich die amerikanischen, von den Wenzel-Lüdecke Studios verteufelt gut synchronisiert. Dass zum Beispiel Marion Degler sowohl Sophia Loren als auch Audrey Hepburn ihre Stimme lieh, hatte für mich immer etwas von einem erotischen Mysterium. Damals wurde die Trennung von Sprache und Bild aufs Interessanteste vollzogen, weil die vertrauten Stimmen durch die unterschiedlichsten Filme geisterten. Meiner Meinung nach sollte man im Filmmuseum mal eine Reihe aller Filme zeigen, die Rainer Brandt durch seine Synchronisationen verbessert hat, die Bud-Spencer-Filme, Die Zwei usw. Das wären dann endlich mal wieder Ferien für die Sprache als Bedeutungsträger. Aber leider ist die große Zeit der Nachsynchronisation vorbei, wie sie etwa Klaus Lemke in den Siebzigern mit Cleo Kretschmer und Wolfgang Fierek revolutioniert hat. Lemke arbeitet außerdem häufig als Souffleur, ähnlich wie Claude Lelouch in Frankreich. Der gibt seinen Schauspielern oft gar kein Drehbuch, sondern erzählt ihnen nur, wovon die Szene ungefähr handeln wird. Dann souffliert er ihnen ihre Sätze, während die Kamera läuft, jedes einzelne Wort. Das irritiert natürlich, lässt aber auch produktive Fehler entstehen. Dominik Graf lässt die Leute nuscheln, damit man im Film nicht jedes Wort versteht. Das alles sind Möglichkeiten, die hierzulande fast gar nicht genutzt werden. Als einziger gangbarer Weg gilt die Sprechausbildung an einer Theaterschule.
Ist das Hauptproblem deutschen Filmschaffens also ein sprachliches? Ich habe oft den Eindruck, dass man so viel über die Probleme des deutschen Films redet, damit er interessanter wird, als er eigentlich ist. Es ist ja auch möglich, dass anderswo auf der Welt schlicht die besseren Filme gemacht werden. Und vielleicht wird anderswo bald auch wieder besser Fußball gespielt als bei uns. Dieser Anspruch, dass Deutschland immer nur seine Probleme lösen muss, sei es mit der Sprache oder den zu hohen Lohnnebenkosten, um wieder Weltklasse zu werden, suggeriert eine Perfektion, die es ja eh nicht gibt. Man muss nur sehen, dass es immer zu jeder Zeit alle Möglichkeiten gibt. Man glaubt nur, man könne die im Moment nicht nutzen, weil die Mode anders ist. Das ist genau wie mit den gelben Telefonzellen, die ja angeblich deutschlandweit durch die grau-magenta Säulen ersetzt worden sein sollen. Aber man muss nur ein paar Kilometer aus den Städten rausfahren, dann stellt man fest, dass die gelben Zellen noch überall stehen. Die Telekom hat es mit ihrer Kampagne nur geschafft, sie aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen. Wir sind während der Dreharbeiten sogar Dorfbewohnern begegnet, vor deren Haustüren gelbe Telefonzellen standen und die felsenfest davon überzeugt waren, dass es sie nicht mehr gibt.
Das Gespräch führte Volker Hummel
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