Kein Mesut in der Kurve

Fans In manchen Fußballstadien sind weniger Migranten auf den Rängen als auf dem Rasen. Doch das kann sich ändern
Ausgabe 30/2018
Macht die Kurve voll!
Macht die Kurve voll!

Foto: Valery Hache/AFP/Getty Images

Schaut man sich die Dauersinger und Einpeitscher in den deutschen Fußballstadien an, stellt man schnell fest: Die Szene ist männlich und biodeutsch dominiert. Das steht im krassen Gegensatz zum Migrantenanteil in deutschen Profimannschaften.

Natürlich trifft man in linken Szenen wie auf St. Pauli oder in Babelsberg einige nichtdeutsche Fans. In traditionell stark migrantisch geprägten Städten wie Frankfurt oder Gelsenkirchen begegnet man auch in den Fanszenen einige Migranten, doch reibt man sich bei einem Blick in die Stadien von Hertha BSC oder Union Berlin verwundert die Augen. Bei beiden Vereinen ist der Anteil von Migranten verschwindend gering, obwohl er in manchen Stadtbezirken bei 30 Prozent liegt.

Am sozialen Engagement der Vereine liegt es nicht. Besonders Union Berlin hat während der Krise in der Flüchtlingspolitik zur Unterstützung von Geflüchteten aufgerufen. Wohlgemerkt: die Geschäftsführung und die Vereinsgremien. Das stieß wiederum bei vielen Fußballfreunden auf wenig Gegenliebe, etliche Beiträge auf der Union-Facebookseite im Herbst 2015 waren schier unerträglich.

Die Fanszene von Babelsberg reagierte schnell und gründete ein Flüchtlingsteam, gesponsert von Fans. Hertha verteilt gern mal Freikarten für Flüchtlinge – wobei das bei meist 20.000 freibleibenden Plätzen im Olympiastadion keine besondere Geste ist. Union machte wiederum vor fünf Jahren sehr schnell reinen Tisch, als sich eine Neonaziszene namens Crimark im Stadion etablieren wollte, die mit Graffitis wie „Juden SVB“ aufgefallen war. Bis vor Kurzem sah sich die Union-Szene noch als große Familie, wo der idiotische Bruder in seinem Jäckchen von Thor Steinar, wenn er besoffen ist, auch mal folkloristisch den Arm hochhebt.

Viele Migranten hingegen haben ihren Verein der alten Heimat mitgenommen, sei es nur als Ankerwurf in die Vergangenheit. Sie sitzen vor ihren Fernsehern und Laptops und schauen Beşiktaş, Fenerbahçe, Galatasaray, Benfica, Lazio oder Roter Stern beim Bolzen zu. Wie werden Menschen aus anderen Ländern Fußballfans hiesiger Vereine? Sie brauchen hier Leute, die sie zu Spielen mitnehmen, und sie müssen vom Kreis der Fans des neuen Vereins angenommen werden. Organisierte Fußballfans sind häufig männerbündische und wenig weltoffene Gruppen, die in strenger Abgrenzung, ja irrationaler Feindschaft zu ihren Gegnern funktionieren. Wenn ein migrantischer Jugendlicher wegen seiner Hautfarbe oder Herkunft auf Ablehnung stößt, wenn er das Gefühl hat, nicht willkommen zu sein, kommt er nicht wieder. Er kann vielleicht versuchen, das eigene Milieu vom Gang ins Stadion zu überzeugen, doch eine rein migrantische Fangruppe ist mir in Berlin noch nicht begegnet.

Eiserne Kreuze am Revers

Beamen wir uns zurück ins Wendejahr 1990, sehen wir in Ost- wie Westdeutschland weitestgehend rechtsdominierte, stark nationalistische Fußballfanszenen. Die Subkultur der Hooligans bestimmte die Kurvenlage, eiserne Kreuze baumelten stolz am Revers. Reichskriegsflaggen und ähnlicher Tinnef waren vielerorts en vogue, von sexistischen Sprüchen ganz zu schweigen. Noch zur Aufstiegsrunde 1992/1993 sangen am 2. Juni 1993 sehr viele Unioner das Hans-Rosenthal-Lied, in dem der Tod des ehemaligen Tennis-Borussia-Präsidenten und Holocaust-Überlebenden gefeiert wurde.

Als ab Mitte, Ende der Neunziger langsam die Jugendkultur der Ultras die deutschen Stadien bestimmte, änderte sich das Liedgut. Schiedsrichter waren nicht mehr per se schwul und Spieler der auswärtigen Mannschaft wurden nicht mehr als Hurensohn begrüßt. Rassismus und Homophobie waren nicht aus den Stadien verschwunden, aber die Hooligans wurden aus den Stadien verdrängt, manch ehemaliger Schläger und Rassist steht heute still auf der Gegengerade.

Bis in die Gegenwart hinein veränderte sich die Kurvenlage, heute geht ein sexistischer oder rassistischer Spruch nicht mehr so leicht von den Lippen, weil es schnell zu einem Ordnungsgong kommen kann. Freilich ist es noch ein langer Weg zu einem diskriminierungsfreien Fußball von Gleichen unter Gleichen – packen wir es an!

Frank Willmann trainiert die deutsche Autorennationalmannschaft. Zuletzt gab er (zusammen mit Jan Böttcher) den Band Alles auf Rot: Der 1. FC Union Berlin heraus

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