Schaut man sich die Dauersinger und Einpeitscher in den deutschen Fußballstadien an, stellt man schnell fest: Die Szene ist männlich und biodeutsch dominiert. Das steht im krassen Gegensatz zum Migrantenanteil in deutschen Profimannschaften.
Natürlich trifft man in linken Szenen wie auf St. Pauli oder in Babelsberg einige nichtdeutsche Fans. In traditionell stark migrantisch geprägten Städten wie Frankfurt oder Gelsenkirchen begegnet man auch in den Fanszenen einige Migranten, doch reibt man sich bei einem Blick in die Stadien von Hertha BSC oder Union Berlin verwundert die Augen. Bei beiden Vereinen ist der Anteil von Migranten verschwindend gering, obwohl er in manchen Stadtbezirken bei 30 Prozent liegt.
Am sozialen Engagement der Vereine liegt es nicht. Besonders Union Berlin hat während der Krise in der Flüchtlingspolitik zur Unterstützung von Geflüchteten aufgerufen. Wohlgemerkt: die Geschäftsführung und die Vereinsgremien. Das stieß wiederum bei vielen Fußballfreunden auf wenig Gegenliebe, etliche Beiträge auf der Union-Facebookseite im Herbst 2015 waren schier unerträglich.
Die Fanszene von Babelsberg reagierte schnell und gründete ein Flüchtlingsteam, gesponsert von Fans. Hertha verteilt gern mal Freikarten für Flüchtlinge – wobei das bei meist 20.000 freibleibenden Plätzen im Olympiastadion keine besondere Geste ist. Union machte wiederum vor fünf Jahren sehr schnell reinen Tisch, als sich eine Neonaziszene namens Crimark im Stadion etablieren wollte, die mit Graffitis wie „Juden SVB“ aufgefallen war. Bis vor Kurzem sah sich die Union-Szene noch als große Familie, wo der idiotische Bruder in seinem Jäckchen von Thor Steinar, wenn er besoffen ist, auch mal folkloristisch den Arm hochhebt.
Viele Migranten hingegen haben ihren Verein der alten Heimat mitgenommen, sei es nur als Ankerwurf in die Vergangenheit. Sie sitzen vor ihren Fernsehern und Laptops und schauen Beşiktaş, Fenerbahçe, Galatasaray, Benfica, Lazio oder Roter Stern beim Bolzen zu. Wie werden Menschen aus anderen Ländern Fußballfans hiesiger Vereine? Sie brauchen hier Leute, die sie zu Spielen mitnehmen, und sie müssen vom Kreis der Fans des neuen Vereins angenommen werden. Organisierte Fußballfans sind häufig männerbündische und wenig weltoffene Gruppen, die in strenger Abgrenzung, ja irrationaler Feindschaft zu ihren Gegnern funktionieren. Wenn ein migrantischer Jugendlicher wegen seiner Hautfarbe oder Herkunft auf Ablehnung stößt, wenn er das Gefühl hat, nicht willkommen zu sein, kommt er nicht wieder. Er kann vielleicht versuchen, das eigene Milieu vom Gang ins Stadion zu überzeugen, doch eine rein migrantische Fangruppe ist mir in Berlin noch nicht begegnet.
Eiserne Kreuze am Revers
Beamen wir uns zurück ins Wendejahr 1990, sehen wir in Ost- wie Westdeutschland weitestgehend rechtsdominierte, stark nationalistische Fußballfanszenen. Die Subkultur der Hooligans bestimmte die Kurvenlage, eiserne Kreuze baumelten stolz am Revers. Reichskriegsflaggen und ähnlicher Tinnef waren vielerorts en vogue, von sexistischen Sprüchen ganz zu schweigen. Noch zur Aufstiegsrunde 1992/1993 sangen am 2. Juni 1993 sehr viele Unioner das Hans-Rosenthal-Lied, in dem der Tod des ehemaligen Tennis-Borussia-Präsidenten und Holocaust-Überlebenden gefeiert wurde.
Als ab Mitte, Ende der Neunziger langsam die Jugendkultur der Ultras die deutschen Stadien bestimmte, änderte sich das Liedgut. Schiedsrichter waren nicht mehr per se schwul und Spieler der auswärtigen Mannschaft wurden nicht mehr als Hurensohn begrüßt. Rassismus und Homophobie waren nicht aus den Stadien verschwunden, aber die Hooligans wurden aus den Stadien verdrängt, manch ehemaliger Schläger und Rassist steht heute still auf der Gegengerade.
Bis in die Gegenwart hinein veränderte sich die Kurvenlage, heute geht ein sexistischer oder rassistischer Spruch nicht mehr so leicht von den Lippen, weil es schnell zu einem Ordnungsgong kommen kann. Freilich ist es noch ein langer Weg zu einem diskriminierungsfreien Fußball von Gleichen unter Gleichen – packen wir es an!
Kommentare 3
Wen wundert's? Im alten Rom, so sagt man, waren auch kaum Germanen auf den Rängen des Circus Maximus wenn Germanen an der Reihe waren gefressen zu werden.
Gut und interessant dieses Thema anzureißen. Aber man sollte bei aller Berechtigung für eine Rassismus-Debatte im Fußball aufpassen, wie man argumentiert und welche Rückschlüsse man zieht.
Der Autor muss doch wissen, dass man als Fußballfan sein Herz nur einmal vergeben kann. Und zu 90% aller Fälle ist das der Heimatverein. Fußballfans sind vor allem eines: Lokalpatrioten. Leute, die hierher kommen, schauen vielleicht gerne Fußball, aber sie werden selten so leidenschaftlich einen Verein supporten können, wenn es nicht ihr Heimatverein ist.
Anfang der 90er hatte Türkiyemspor Berlin einen massiven Zulauf von türkischen Bürgern. Als um 1993 die Sattelitenschüsseln aufkamen, waren sie (fast) alle weg, weil sie lieber ihre türkischen Heimatclubs schauten.
Warum der Autor den 1. FC Union hier so zentral in die Thematik einbindet, erschließt sich mir nicht wirklich. Das hätte der Journalist erklären müssen, warum ein Berliner Zweiligist aus dem Stadtteil Köpenick ein besseres Beispiel ist als Hertha, Schalke oder Borussia Dortmund. Köpenick und das Brandenburger Umland hat keinen hohen Migrantenanteil. Ein Blick in die Köpenicker Schulen würde helfen. Bei meinen Kindern ist nicht ein einziger Migrant in der Klasse. Das ist ein anderes Bild als im Wedding oder in Neukölln sicherlich. Darauf hätte man eingehen dürfen.
Der Ordnungsgong kommt übrigens heututage nicht von Offiziellen, sondern von den eigenen Anhängern. Weil es eben nicht mehr "en vogue" ist, rassistsichen Dreck heraus zu posaunen. Ich will das Problem nicht klein reden, aber hier hat sich gerade seit Anfang der 90er sehr viel getan. Ja, auch ich wünschte wir wären noch weiter und es spricht nichts dagegen diese Problematik anzusprechen.
Ich habe in der letzten Saison eine Flüchtlingsfamilie mit in die Alte Försterei eingeladen. Ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Es kam nicht ein dummer Spruch von den um mich herum stehenen Fans. Ich packe es an, aber ich mache mir trotzdem nicht all zu viel Hoffnungen.
Bin gespannt, wie viele Migranten ich bei unserem Gastspiel in Jena antreffe lieber Herr Willmann.
"Wie werden Menschen aus anderen Ländern Fußballfans hiesiger Vereine? Sie brauchen hier Leute, die sie zu Spielen mitnehmen, und sie müssen vom Kreis der Fans des neuen Vereins angenommen werden."
Warum fehlt in nahezu allen Analysen von links das Erste und Offensichtliche? "Menschen aus anderen Ländern" werden nur "Fußballfans hiesiger Vereine" wenn sie das auch werden wollen. Und nur dann.
"Werden wollen" erklärt sich am Thema Fantum zu schön, deshalb Danke für das Aufwerfen des Themas. "Werden wollen", das erkennt man hierbei sofort, kann nicht gemacht werden.
Begeisterung ist nichts Gemachtes das nach Belieben an- und ausgeschaltet werden kann. Sie ist etwas Emotionales und entweder da oder nicht da. Aber sie kann wachsen. Z.b. daraus, zu Spielen mitgenommen zu werden. Und mitzugehen.
Fußballfantum ist zu großen Teilen auf sozialem Wege erblich, habe ich mir erzählen lassen. Wie der Vater so der Sohn, heißt es meist. Gilt auch für Töchter.
Und das ist völlig in Ordnung. Fehlt aber in den Analysen, die von links immer mehr nur gemacht zu sein scheinen, um möglichst viel Schuld auf die biodeutsche Leserschaft zu laden.
Das geht auf Dauer so nicht. Trotzdem ein ganz lesenswerter Text.