Die Erleichterung ist verfrüht, die entscheidenden Fragen bleiben offen. Der deutsche Bundestag hat sich am 30. Januar 2002 mehrheitlich für die embryonale Stammzellenforschung in Deutschland entschieden. Die zentrale Frage: wie weit reicht die Menschenwürde beim Embryo? ist nicht beantwortet. Im Gegenteil. Jetzt muss das Votum des Bundestags in ein Gesetz gegossen werden. Und das muss dem obersten Verfassungsprinzip der unteilbaren Menschenwürde standhalten. Wie soll das gehen?
"Ich kann mir menschliches Leben in seiner Einzigartigkeit nicht ohne die Mutter denken; ich will es auch gar nicht", hat Wolfgang Schäuble die utilitaristische Sichtweise in der Bundestagsdebatte auf den Punkt gebracht. Er plädierte zudem dafür "die Freiheit der Forschung im Zweif
g im Zweifel möglichst nicht durch gesetzliche Einzelregelungen zu beschränken". Dies zeigt exemplarisch, worum es ging. Es handelt sich eben nicht um einen Kompromiss, sondern um eine verdeckte Form, ethische Begrenzungen der Forschungsfreiheit aufzuheben, um sich vom prinzipiellen Instrumentalisierungsverbot menschlichen Lebens zu verabschieden. Dies lässt sich in der Tat nur realisieren, wenn der Weg dahin mit einer partiellen Entscheidung für eine Nützlichkeitsethik geöffnet wird. Das ist jetzt erfolgt. Ist dieser Weg aber gangbar? Wird die pragmatische Kurzformel lauten: Wo kein Uterus ist, da ist auch kein Mensch? Noch schärfer: Wird aus dem Embryo ein Produkt oder ein Mensch, je nach dem, ob er ex-vitro entstanden ist und zum Objekt von Forschungs- und Verwertungskalkülen wird? - oder eben von der Verschmelzung der Ei- und Samenzelle an im Dunkel des Körpers der Frau sich entwickelt und - einzig - durch Schwangerschaft und Geburt Mitglied der Gesellschaft wird? Scheinbar plausibel bricht die utilitaristische Option in den Sachverhalt ein, dass der Embryo 14 Tage außerhalb des Uterus existiert - die biologistische Einfallstür für die Aufhebung eines ganzheitlichen Menschenbildes, eines ganzheitlichen Menschenwürdeparadigmas, wie es unserer Verfassung zugrunde liegt. Wir hätten, das ist die Konsequenz, neue abgestufte Lebensschutzgarantien zu akzeptieren, die sich danach richten, ob der Embryo als Zweck an sich oder zum Zweck für andere gedacht und gemacht ist.Dagegen ist das aufklärerisch-emanzipatorische Menschenbild zu setzen mit einem unwiderrufbar ganzheitlichen Menschenwürdepostulat und einem nicht hintergehbaren Verzweckungsverbot. Zu verweisen ist zudem auf das Leiblichkeitskonzept der feministischen Philosophie. Beim Embryonenverbrauch geht es nicht um den Embryo allein. Es geht auch um die Frau. Die jetzt erhoffte Etablierung des neuen Forschungs- und Wirtschaftszweiges hat die Indienstsetzung des Frauenkörpers als eigentliche, wenn auch unausgesprochene Prämisse. Vor der Embryonenvernutzung steht die Ausnutzung der Fruchtbarkeit der Frau für fremde Zwecke. Ohne entleiblichte Fruchtbarkeit, ohne entsinnlichte Fortpflanzung, ohne entsexualisierte Fertilisation ist weder die Forschung noch der ihr unterstellte biomedizinische Fortschritt zu machen.Schon heute ist überdies absehbar, es wird nie genug überzählige Embryonen geben, die in der gewünschten Qualität zur Verfügung stehen. Bliebe dieser neue Forschungszweig auf den Zugriff auf "überzählige" Embryonen aus dem Ausland beschränkt, könnte sich daraus schwerlich eine profitable Branche entwickeln. Der wachsende Ressourcenbedarf wird bereits bei uns in Deutschland in unmissverständlicher Klarheit formuliert.Grenzüberschreitungen bezüglich der ungeteilten Würde menschlichen Lebens sind nur dann zu verhindern, wenn das Neue in die Menschenrechtsdogmatik eingebunden wird. Das deutsche Embryonenschutzgesetz (EschG) weist ein hohes Schutzniveau auf. Mit der erfolgten Billigung des Imports von embryonalen Stammzellen wird auch die Art der Gewinnung des importierten Produkts gebilligt. Daran führt kein Argumentieren mit dem Mittelweg vorbei. Die Legalisierung und Förderung des Forschungsschwerpunktes embryonale Stammzellen in Deutschland muss konsequenterweise auf eine Änderung des EschG hinauslaufen. Dieses Gesetz verhindert die Erzeugung überzähliger Embryonen und stellt die fremdnützige Verzweckung unter Strafe. Noch ist diese Prämisse gültig. Der Gesetzgeber hat 1991 nicht etwa deshalb von einer Strafbewehrung des Imports und/oder Forschung mit embryonalen Stammzellen abgesehen, weil er dieses Tun straffrei stellen wollte, sondern weil nach Stand des Wissens damals die heutige Realität nicht absehbar war.Weil die Importentscheidung so zentral für die grundrechtliche Bewertung des Embryonenverbrauchs ist, muss darauf bestanden werden, sie als Menschenrechtsfrage in all ihrer Komplexität zu behandeln. Die Entscheidung für die Forschung mit embryonalen Stammzellen in Deutschland ist die Entscheidung für die zweckgeleitete Vernichtung von durch künstliche Befruchtung entstandene Embryonen. Die Umsetzung in ein Gesetz im Sinne und im Rahmen des fundamentalen Menschenwürdegebots unserer Verfassung und im Geiste des EschG ist die Quadratur des Kreises.Die Entscheidung vom Mittwoch voriger Woche war subjektiv eine Gewissensentscheidung. Aber jetzt wird der Menschenrechtskonflikt, der mit der getroffenen Entscheidung behoben werden sollte, um so deutlicher. Jetzt muss ein Gesetz gemacht werden, um zu etablieren, was für verwerflich gehalten wird. Den beschlossenen pseudopragmatischen Mittelweg in eine schlüssige Argumentationskette zu überführen und in ein Gesetz zu gießen, ohne dass die alte Konfliktlage wieder im Kern aufbricht, halte ich für unmöglich. Die Grundfragen der Menschenwürde sind mit dem Datum der Bundestagsentscheidung mitnichten erledigt oder beantwortet.Monika Knoche ist Mitglied im Gesundheitsausschuss, Obfrau der Bundtestagsfraktion B´90/Die Grünen in der Enquete-Kommission Recht und Ethik in der modernen Medizin und Initiatorin des parlamentarischen Gruppenantrags gegen den Import von ES-Zellen für die Bundestagsentscheidung am 30. Januar 2002.