Kein Platz auf der Arche Noah

Kuba Der »comandante en jefe« wird 75 - am 13. August

Fidel Castro Ruz verkörpert in der heutigen Welt ein unentschuldbares Sakrileg. Er hat Fehler und Irrtümer eingestehen müssen, aber er hat nicht abgeschworen. Er könnte damit mancher Galionsfigur auf der postkommunistischen Arche Noah, die durch Osteuropa treibt, das Gewissen ersetzen, sollte sich das irgendwann einmal als nützlich erweisen. Nur wird, wer sich auf dieses Floß nach dem Schiffbruch retten konnte, Castros Überzeugungstreue wie einen Aussatz verabscheuen. Denn wer um die Macht - vor allem die Umstände derselben - vor einem Jahrzehnt so gründlich erleichtert wurde und zum Trost entdecken durfte, dass (und wie) es sich gehörte, dem Marxismus abzuschwören, für den ist Castro ein lästiger Anachronismus. Hätte man die Gorbatschows, Jelzins, Tschernomyrdins, Kwasniewskis oder Horns zwei Jahrzehnte früher um ihre späten Einsichten gebeten, wäre das eine Straftat gewesen - mindestens ein ideologischer Angriff auf den Marxismus-Leninismus.

Castro hatte gar keine Chance zu derartiger Selbstreinigung. Kuba sah sich nach 1990 so blitzartig von all seinen sozialistischen Freunden verlassen, dass es in der periodo especial einen Existenzkampf sondergleichen führen musste. Kein Land des Ostblocks ist so gnadenlos nach unten durchgereicht worden wie der Karibikstaat. Wer Kuba seinerzeit - möglicherweise zu Recht - vorwarf, es habe sich jahrzehntelang geradezu hemmungslos von seinen osteuropäischen Partnern alimentieren lassen, vergaß in der Regel zu erwähnen, dass der »Vorposten des Sozialismus« vor der Küste Floridas viel zu wertvoll war, um ihn durch eine, an strenge Auflagen gebundene Wirtschaftshilfe zu reglementieren oder gar in Gefahr zu bringen. - So blieb der »Leuchtturm der Karibik« 1990 einfach übrig, ein Outlaw, den kein Transformationsversprechen mästete, sondern die Aussicht auf einen hündischen Kniefall vor den Amerikanern schreckte. Hätte die Führung in dieser Situation an den Segen des Opportunismus geglaubt und abgeschworen, wäre die Kapitulation unvermeidlich gewesen.

Seither schreiben eine selbstgewisse Publizistik und Politikwissenschaft besonders hier zu Lande gern vom »alten Mann und der Insel«, als ob da ein verhaltengestörter Eremit die Reize seines Autismus auskosten wollte. Man mag der Metapher vom »alten Mann« zugute halten, dass sie darauf anspielen könnte, welchen Kampf Hemingways »alter Mann« durchstand. Wie er sich durchsetzte und gewann. Damit dieser Vergleich nicht in Bewunderung ausartet, riskieren die Castro-Kritiker sogleich den verhaltenen Aufschrei über die »Rückkehr des Caudillo«. Ja, natürlich. Als Caudillo wurde einst Spaniens General Franco bezeichnet wie noch früher mit dem Ruf »Duce« Italiens Benito Mussolini. Caudillo Franco hatte noch Mitte der sechziger Jahre Gegner aus der Zeit des spanischen Bürgerkrieges mit der Garotte, einem mittelalterlichen Würgeeisen, hinrichten lassen. Das sei nur deshalb erwähnt, weil selbstverständlich totalitären Systemen und ihren Diktatoren gestern wie heute nichts geschenkt werden darf. Schließlich verdanken wir Gabriel García Márquez einen Hinweis darauf, welchen Überzeugungstäter wir vor uns haben. Der Dichter schrieb 1978 in seinem Essay zum 30. Jahrestag der kubanischen Revolution über Castro: »Ich glaube, er ist einer der großen Idealisten unserer Zeit, und vielleicht ist gerade das seine größte Tugend, wenn es auch seine größte Gefahr gewesen ist.«

Castro wollte ihr nie entgehen. Schon damals nicht, im Oktober 1953, als er in einem Hospital von Santiago de Cuba vor Gericht stand, um für den Angriff auf die Moncada-Kaserne (eine der Zitadellen des Batista-Regimes) drei Monate zuvor, am 26. Juli 1953, verurteilt zu werden. Kurz vor dem Spruch der Richter erhielt der Angeklagte Gelegenheit zu einem Schlusswort. Es war in Santiago wie immer um diese Jahreszeit extrem heiß und feucht, Castro schwitzte unmäßig in seinem Anzug, den er der Ordnung halber vor Gericht tragen musste. Er kam nicht wie gewohnt in Schwung - da erbarmte sich sein Anwalt, nahm ihm das Jackett ab und legte ihm einen Talar über die Schultern. Rein äußerlich unterschied sich Castro nun nicht mehr vor seinen Richtern und redete vier Stunden lang, ohne dass im Gerichtssaal jemand auf die Idee gekommen wäre, ihn zu unterbrechen. Er schloss mit dem Satz »La Historía me absolverá« - »Die Geschichte wird mich freisprechen«.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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